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Hans Unstern - The great Hans Unstern swindle

Hans Unstern- The great Hans Unstern swindle

Staatsakt / Rough Trade
VÖ: 26.10.2012

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Begriffe stutzen

Im alltäglichen Weltuntergangsnachrichtenrieseln sind Gedanken daran, dass Deutschland mal als Land der Dichter und Denker galt, zunehmend abwegig. Man hätte in den letzten Wochen und Monaten schon eher den Verdacht bekommen können, von Deutschland gingen vor allem noch mutwillige Sprachverstümmelungen wie "Europäische Finanzstabilisierungsfazilität", "Leistungsschutzrecht" und "Freie Demokratische Partei" aus. Da kommt doch eine sprechsingende Identitätskrise wie Hans Unstern doch gerade recht. Denn der Berliner hat Begriffe für Dinge, die sich manche Zuhörer nicht mal hypothetisch vorstellen könnten. Oder wollten.

Vor zwei Jahren hatte Unstern die Popnation mit dem erstaunlichen "Kratz Dich raus" und seiner heliumartigen Stimme irritiert. Es stellte sich heraus, dass sein "Paris" weiterhin das mit Abstand beste Stück bleiben wird, das seine überschätzten Kumpels von Ja, Panik jemals spielen werden. Im Vorfeld der Veröffentlichung von "The great Hans Unstern swindle" macht er dann über einen obskuren Youtube-Kanal gewohnt bizarr weiter. Erst kündigt er Lauch schneidend seinen Burnout an und sein zweites Album ab, will kurz danach aber schon als grinsender Hansi Stern mit dem Weihnachtsalbum "Viel Gebimmel" zurückkehren. Alles Lüge, zum Glück. Weil Unstern aber kein skrupellos künstelnder Künstler ist, heißt die dickbackige Eröffnung seines Zweitlings "Ich schäme mich".

Der Berliner poltert mit Stabreimen, Widersprüchen und Wortspielen durch mundgeblasenen und handgeklöppelten Tumult. Freunde des gepflegten Stereotons werden mit deren eigenen Mitteln in die Flucht geschlagen. In "Entweder&oder" sägen wirre Phrasen an den Resten des Nervenkostüms, das im Opener durch die eklatante Kombination aus Tuba, Maultrommel und Gospelchor erheblich derangiert wurde, damit Unstern weiter exzessivstes Dada zelebrieren kann: "Wenn der Sprung in der Schüssel mein Gesicht wird." Das herrliche "Ergiebig und erschwinglich" kübelt fäkale Romantik über Orgelschwellen und allgemeines Geschepper. Es geht um Tod und Teufel und Körperflüssigkeiten. "Fische prügeln sich / Um Dein Erbrochenes." Und die Geigen bemalen den Himmel mit dem Blut ausgeweideter Spex-Leser in hübschen Rottönen.

Immer wieder leisten sich Unsterns Songs tiefgründige Besinnlichkeiten und sogar herrliche Minimalmelodien, die sich von der entnervenden Kakophonie nicht aufreiben lassen wollen. Er hält beharrlich mit Rezitationen, Fußnoten und Schabernack dagegen. "Du zitierst wie Espenlaub." Wie sich die gesprochene Sprache hier um sich selbst windet, ist der Musik selbstredend ein Vorbild. Arrangements bleiben rudimentär, Disharmonie umklammert die Songstrukturen, wenn die mal Folk, Blues, Industrial oder irgendetwas Selbstreferenzielles sein wollen. Selbst eingängige Melodien führen am liebsten Eigenleben, lassen sich von parasitären Klängen überwältigen und gehen in herrlich falschem Kitsch unter. Am Ende artet dann treibendes Gerumpel wie "Bea Criminal" in revolutionären Digitalrock aus. Unstern stellt adäquate Fragen für die Welt der zehner Jahre: "Wann ist Autosanzünden endlich Street Art?" oder "Seit wann bedeutet Rotsehen Stehenbleiben?" Ist der fabulierende Avantgardist am Ende gar noch ein Anarchist? "Klaut dieses Album nicht online / Klaut es im Kaufhaus." Huch! So etwas gibt's noch?

(Oliver Ding)

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Highlights

  • Ich schäme mich
  • Entweder&oder
  • Ergiebig und erschwinglich
  • Bea Criminal

Tracklist

  1. Ich schäme mich
  2. Entweder&oder
  3. Mit schwarzen Lippen sitzen wir hinten
  4. Ergiebig und erschwinglich
  5. Unbenannte Datei
  6. Hülle
  7. Posterboy
  8. Bea Criminal

Gesamtspielzeit: 40:22 min.

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