Cat Power - Sun

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 31.08.2012
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die Hoffnungsträgerin
Schnipp, schnapp, Haare ab. Abseits jeglicher Plattitüden, die irgendwas von alten Zöpfen erzählen wollen, ist umgehend klar, dass einiges neu ist bei Chan Marshall. Das Foto auf dem Cover ist zwar schon rund 20 Jahre alt, aber so sieht Marshall mittlerweile wirklich wieder aus. Eine modische Kurzhaarfrisur, die weder Marshalls eigene Schönheit noch die ihrer Musik beeinträchtigt. Neben der neuen Matte hat sich Marshall auch in Sachen Sound eine Runderneuerung gestattet. Früher Lo-Fi und mit allem Zerbrechlichen, was Stimme und Sound zu bieten haben, danach voller, erwachsener Singer-/Songwriter-Pop und nun Elektrosoul mit einer kleinen Portion Pop. Marshalls Cat Power passt sich trotz der neuen Richtung immer noch nicht an irgendeinen Zeitgeist an, ist seine ganz eigene Nische. Marshall schwebt erhaben über allen anderen Frolleinwundern des Soul und verpasst ihrer Kreativität keinerlei Fesseln, produzierte das Album selbst und ist nun an einem Punkt, an dem das Wort "Narrenfreiheit" zu leuchten beginnt.
Die neue Leichtigkeit auf "Sun" hat laut Marshall einen für die Frau gewohnt deprimierenden Hintergrund. Eine weitere frustrierende Trennung von einem Lover irgendwann nach "The greatest" und vor "Jukebox" war der Anlass, sich mit bösen, melancholischen Liedern den Frust von der Seele zu schreiben, diese Songs kurzerhand wegzuschmeißen und ein paar Jahre später nochmal aufs Neue anzufangen. Mit neuer Energie und frischem Lebensmut, mit etwas mehr Sonne im Leben, "Sun" eben. Am Ende des Prozesses standen für Marshall fast fröhliche Stücke, die sie in ein neues, oft recht schmissiges Soundgewand mit Drum Machine und anderem elektronischen Schnickschnack kleidete. So kann Problembewältigung auch aussehen, ganz ohne sich mit sich selber, Alkohol und Zigaretten einzuigeln. Okay, Alkohol und Zigaretten gibt es immer noch zuhauf bei Chan Marshall, aber die elf Songs auf "Sun" sind wunderbar offene und starke Songs, trotzdem düster und verdammt sexy, über die Liebe uns das Leben.
Diesmal hat Marshall wieder alle Stücke selbst geschrieben und fast sämtliche Instrumente eigenhändig eingespielt. Lediglich am Mischpult gab Marshall Verantwortung an Philippe Zdar von Cassius ab, und dessen elektronischer Einfluss ist auf "Sun" deutlich zu hören. Einzig das nun mit kraftvollem Beat und schneidender Gitarre ausstaffierte "Silent machine" ist kein dezidiert neues Stück, sondern ein Geist, der Marshall seit 15 Jahren verfolgt, sich bislang allerdings nie in passendem Kleid materialisierte. Auf "Sun" schlägt nun aber auch dessen Stunde. Und egal, ob das geschmeidig funkige "Ruin", der vor sich hin träumende knisterknuspernde Abgesang "Manhattan" oder auch die eher zäheren, experimentelleren Stücke wie "Always on my own" oder "Human being" - Marshall trifft immer den richtigen Ton und macht es sich und den Songs zum Glück nie zu einfach.
Das größte Ereignis ist aber "Nothing but time", nicht nur weil es knapp elf Minuten lang ist. Nicht nur, weil Iggy Pop hier wunderbar die zweite Stimme gibt. Nicht nur, weil es nach acht Minuten im Grunde schon erledigt ist und mit einer Reprise nochmal das Licht der Welt erblickt. Nicht nur, weil Marshall so wunderschön "Your world is just beginning and I know this life seems neverending" singt. Aber auch deswegen und weil diese einzelnen Versatzstücke die elf Minuten so fabelhaft positiv und nach vorne blickend tragen. Marshalls kleine Neuerfindung von Cat Power, die ja immer schon mehr als nur Marshall selbst war, ist auf wunderbare Weise gelungen. So viel Licht wie hier schien noch nie durch die trotz neuer Stärke weiterhin seltsam fragilen Songs, so viel Hoffnung hätte man Marshall gar nicht mehr zugetraut. Doch auch für Marshall stirbt diese eben zuletzt. Obwohl sie da oben schwebt, ist sie anscheinend nur eine von uns hier unten, aus Fleisch und Blut. Wer hätte das gedacht?
Highlights
- Ruin
- Manhattan
- Silent machine
- Nothing but time
Tracklist
- Cherokee
- Sun
- Run
- 3,6,9
- Always on my own
- Real life
- Human being
- Manhattan
- Silent machine
- Nothing but time
- Peace & love
Gesamtspielzeit: 49:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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VW Golf Muzak |
2014-08-05 18:05:46 Uhr
Schöner Radiopop mit melancholischem Touch für die Gabis und Rolfs dieser Welt. |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20166 Registriert seit 10.09.2013 |
2014-08-05 18:00:59 Uhr
Ihr bestes Album, ich liebe diesen Sound. Cherokee, Ruin, Human Being, Manhattan, Nothin But Time... Alles Kracher. |
bazilicious Postings: 2909 Registriert seit 27.06.2013 |
2014-01-27 19:18:07 Uhr
das habe ich damals echt sehr anders empfunden. Die Songs waren eine absolute Macht und die Atmosphäre war sehr gut. Dass Chan auf der Bühne jetzt nicht die selbstsichere Rampensau ist, kann ich bestätigen, aber ich finde nicht im Geringsten, dass die Songs bzw. die Live-Drabietung darunter gelitten haben. Ihr Gesang war schon absolute Weltklasse. Vielleicht war das in Hamburg auch anders, das kann ich nicht beurteilen... für mich war das jedenfalls eines der Konzert-Highlights letztes Jahr. |
Mr Oh so Postings: 3272 Registriert seit 13.06.2013 |
2014-01-27 18:16:06 Uhr
Hab sie in Hamburg gesehen, und es war echt enttäuschend. Schwer zu beschreiben, aber die Bühne ist irgendwie nicht ihr zuhause. Man fühlte dauernd so eine Art Unsicherheit, die Songs waren dementsprechend, naja, einfach nicht überzeugend. Das war echt teilweise wirklich schlimm. |
bazilicious Postings: 2909 Registriert seit 27.06.2013 |
2014-01-27 18:05:04 Uhr
hab sie in München in der Theaterfabrik gesehen und es war wirklich überragend. Wo hast du sie denn gesehen und was war denn so grauenhaft? Also von "grauenhaft" war der Auftritt hier wirklich Welten entfernt. |
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Referenzen
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