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Calexico - Algiers

Calexico- Algiers

City Slang / Universal
VÖ: 07.09.2012

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Jenseits der Wüste

Strudelnde Magie und endloser Klang. 2003 öffnete der "Sunken waltz" eine Weite in eine Welt der unendlichen imaginären Freiräume. Es war der Anfang einer Überschreitung. Wie schwarzes Licht brach sich dieser Zauber im Kristall nicht vorhandener Grenzen, zerstreute nach allen Seiten und legte den Grundstein für ein Meisterwerk, vor dem die Ohnmacht des Wortschatzes im Dunkeln dämmerte. Das Überfluten von Klang, sein bis ins Unendliche verlaufendes Zersplittern, seine in die Tiefe gerinnende Schönheit bannte der Kalifornier Victor Gastelum in die Sichtbarkeit von Farbe und Form, unnachahmlich mit Spray Paint. Damit schenkte er Calexico ein Gesicht, gab ihrer seit "The black light" sich aufbauenden Perfektion eine surreale Identität, ein Gefühl kalter Wüsten und des Lebens im Staub des Westens.

Calexico verließen 2006 die Wüste Arizonas. Die Magie wich Schönklang, brach sich am fernen Horizont und setzte sich in "Garden ruin" die Gartenmauer als Grenze. Zwei Jahre später konnten Erschöpfung und Ohnmacht zu Staub getragen werden. Ein Flirren regte sich erneut. Der Schönklang bekam innere Dunkelheit, das schwarze Licht erstrahlte, eine Unruhe bewegte sich in der nächtlichen Welt der Wüste. Der melancholische Abgrund, den Calexico mit "Carried to dust" auftaten, vermochte zwar nicht die Leere ihrer Ruine zur Gänze zu überbrücken, aber Gastelum verlieh der Suchbewegung der Band erneut Transparenz und schenkte Calexico ihrer zu sich findenden Identität Relevanz.

Für "Algiers" ließ die Band wieder die Wüste hinter sich, ebenso Gastelum, und verlegte sich in die Gegenwart, die Schwüle von New Orleans. Wartet ein zweites "Garden ruin" in "Algiers", am Ende des vierjährigen Schweigens?

Das holzschnittartige Cover von "Algiers" zeigt überflutende Wellen, deren unbezwingbare Strudel sich in Statik auflösen, am Grau einer Festland-Marke sich verlierende Wogen. Die auf das Ufer zulaufenden, verwirbelnden Linien erwecken die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit von 2005, an ein Post-Katrina-New Orleans. Das Leben geht weiter, nach "Garden ruin" und nach Katrina. Statt Wüste lautet das Bild: Flut. Die Geschichten überkreuzen sich wie die Statik der rollenden Strudel in der ungestalten Bildlichkeit. Algiers ist ein historischer Stadtteil von New Orleans, und Joey Burns sowie John Convertino aus Tucson, Arizona, das Herz Calexicos, mittendrin - als eines der vielleicht kreativsten Duos seit Lennon/McCartney. Wie "Two silver trees" entnehmen sie ihre Kreativität aus dem musikalisch geschichtsträchtigen Boden mit ihren Giant-Sand-Wurzeln, machen es sich zueigen und befruchten den Staub ihres Vorgängers mit neuen, unbegrenzten Möglichkeiten. Die Gegenwart von Eingrenzungen weitet sich erneut. "Algiers" ist keine Rückbesinnung, sondern mehr die Öffnung in Richtung Zukunft. Und greift wieder nach dem Geist der Magie.

Der Opener "Epic" – nomen est omen – lotet die elegischen Tiefen von "Victor Jara's hands" in Nachdenklichkeit, ohne politischen Subtext, aus, öffnet den Raum mit hintergründigen Chören atmosphärisch weiter und erzeugt ein dicht gewobenes, fast orchestrales Netz, dessen Groove sich vor dem großartigen "Quattro (World drifts in)" nicht zu verstecken braucht. Vom beschwingten "Splitter" durchschreiten Burns/Convertino langsam den noch offenen Schlund von "Carried to dust"mit faszinierender Abgründigkeit: "Sinner in the sea" grenzt an unheimliche Orte, an verwahrloste Stadtteile, eilt im Schritttempo einem emotionalen Höhenflug entgegen und zeigt, dass der Horizont der Wüste auch über New Orleans zu finden ist. Aus "Service and repair" wird auf "Algiers" ein "Story teller", dessen simple, zu Tränen rührende Einfachheit an die Geschichte des – Unmögliches möglich machenden – Protagonisten aus "Sunken waltz" gemahnt. Aus der emotionalen Wuchtbrumme "Black heart" von 2003 wird die neue Single "Para", der Sirenen-Gesang verlorener Nächte einer verschlingenden Leere, bei dem die Piano-Fetzen verhallend davon treiben.

Diese Abgründigkeit zieht sich weiter, wie Risse in alten Südstaatenstraßen. Ob in "Maybe on monday" mit Lenny-Kravitz-Einlagen, dem beißenden "Puerto" mit bekannten und geliebten Mariachi-Parts oder "No te vayas": Das gleißende schwarze Licht brennt wieder. Das besänftigende "Hush" platziert sich gleich in seiner unbenannten Suche nach Schönheit in der "Crystal frontier" von "Hot rail" und erreicht Tiefendimensionen, wie sie zuletzt Portishead mit "The rip" anstrebten. Die Grenzen sind fließend. Überall brodelt es unter der Oberfläche, es zeigen sich Kämpfe und Versöhnungen, Offenheit und Weite, Reduktionen und Komplexitäten. Ebenso präsentieren sich Calexico 2012 – grenzenlos, überwältigend.

(Peter Somogyi)

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Highlights

  • Epic
  • Sinner in the sea
  • Fortune teller
  • Para
  • Better and better

Tracklist

  1. Epic
  2. Splitter
  3. Sinner in the sea
  4. Fortune teller
  5. Para
  6. Algiers
  7. Maybe on monday
  8. Puerto
  9. Better and better
  10. No te vayas
  11. Hush
  12. Solstice of a vanishing mind

Gesamtspielzeit: 44:04 min.

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User Beitrag

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 33903

Registriert seit 07.06.2013

2020-08-12 14:26:40 Uhr
Spielt sich langsam bei mir auf Platz 3 ihrer Diskographie.
The MACHINA of God
2012-10-31 20:09:32 Uhr
Also ich fand den Vorgänger schon irgendwie besser. Aber live schau ich mir das nochmal an.
Mich_!
2012-09-30 12:10:00 Uhr
Live der Oberhammer. Grüße an alle die auf dem Berlin-Konzert waren. Ihr seid wunderbar.
Hogi
2012-09-26 10:14:35 Uhr
live nochmal deutlich besser als im Studio. Ganz starker Auftritt gestern in HH!
musie
2012-09-26 08:20:00 Uhr
Epic und Fortune Teller: 10/10

Para, Sinner in the Sea, The Vanishing Mind: 9/10

Hush, No the vayas, Splitter: 8,5/10

Dieses Album ist für mich die Überraschung des Jahres und kratzt an einer 9/10, eine solide 8/10 ists auf jeden Fall.

Das Konzert in Zürich mit Fortune Teller als erstem und Epic als zweitem Lied grossartig. Auch Laura Gibson als Vorband sehr nett.
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