Maximilian Hecker - Mirage of bliss
Blue Soldier / Rough Trade
VÖ: 27.07.2012
Unsere Bewertung: 5/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Das alte Lied
Kunst braucht keinen Rahmen, keine Zähmung, keine Zivilisation. Kunst ist ein multikompatibles Biotop, das sich jederzeit überall platzieren und auf sich selbst verlassen kann, auch unrasiert, auch ohne Make-up, auch ohne Taschenlampe und Landkarte. Maximilian Hecker ließ auf seinem letzten Album "I am nothing but emotion, no human being, no son, never again son" die Kunst gewähren. Er verpackte seine Lieder zwar wie ein behutsamer Antiquitätenhändler altes Porzellan, das Gefühl stets mit "Vorsicht, zerbrechlich!"-Aufklebern versehen, aber man wusste: Diese Emotionen sind haltbar. Hecker hatte das besagte Album, sein sechstes, nur mit einem einzigen Raum-Mikrofon aufgenommen, zufällige Geräusche, improvisierte Textzeilen, also jegliche Auswüchse des multikompatiblen Biotops, waren herzlich willkommen und verliehen dem Werk eine beeindruckende Atmosphäre.
Wie würde er nun die Songideen für den Nachfolger einfangen? Mit einem rauschenden Kassettenrekorder? Mit der Tonspur einer alten Super-8-Kamera? Mit einem Anrufbeantworter, der irgendwo am anderen Ende der Welt stehen würde? Vielleicht sogar mit einem sprechenden Papagei? Er hat sich dann doch bloß für ein Diktiergerät entschieden, Klavier und Gesang aufgenommen und seine Demos an eine Handvoll Produzenten geschickt. So kam es, dass Martin Glover alias Youth, Gründungsmitglied von Killing Joke, musikalischer Partner von Paul McCartney bei The Fireman und Produzent von The Verve und Embrace, sich dem Projekt annahm. Zum ersten Mal seit Jahren überließ Hecker also das Produzieren wieder jemand anderem, spielte jedoch wie gewohnt alle Instrumente selbst ein, bis auf den Bass. Zwei Wochen in Youths südspanischem Studio und "Mirage of bliss" war fertig.
Der gravierendste Unterschied zum in jeglicher Hinsicht authentischen und wunderbar intimen Vorgänger, ist der hochglänzende Studiosound mit Vanillegeschmack, der abrundet und retuschiert, der in die üppige Breite statt in die berührende Tiefe geht, der das Dutzend Lieder in ein zuckerwatteweiches Matratzenlager aus schwelgerischem, merklich entschleunigtem Britpop gleiten lässt. Es lässt sich auch nicht verleugnen, dass Hecker immer und immer wieder auf die selben Harmonien, Melodieverläufe und Muster zurückgreift; dass die - vielleicht sogar bewusste - Negierung musikalischer Veränderung umso mehr auffällt, wenn die Umsetzung künstlich optimiert und dadurch beinahe beliebig wirkt.
Die melancholischen Texte bilden einmal mehr einen deutlichen Kontrast zur zuckersüßen Musik, drehen sich aber interessanterweise nicht selten um jene ermüdende Wiederholung. Und um das erleuchtete Bewusstsein, das die Unbeweglichkeit des Lethargikers dennoch nicht lösen kann: "Let me out / But soon back in / Back to what I'm used to / This flawless isolation", verkündet Hecker in der ersten Single "The whereabouts of love"; "Sad to say I chose my common route", heißt es in "Treasure trove". Und auch wenn die Idylle seiner gewohnten Pfade dieses Mal nur allzu schnell verblasst, gibt es doch auch erfreuliche Ausnahmen: Das märchenhaft mystische "Silent, lucid flashes", das spätsommerlich beschwingte "The times we shared in blaze and laughter" und vor allem das kristallklare, angenehm britpopbefreite "The forsakenness of raging love" - mit hinreißend traumverlorenen Streichern und einer Aura, die für einen Moment an "Bright eyes" von Art Garfunkel erinnert. Und spätestens jetzt ist klar: Hecker kann es natürlich immer noch. Aber so eine "Bridge over troubled water", die fehlt ihm nach wie vor.
Highlights
- The times we shared in blaze and laughter
- The forsakenness of raging love
Tracklist
- The whereabouts of love
- Head up high
- Treasure trove
- Silent, lucid flashes
- Mirage of bliss (Part I)
- The time we shared in blaze and laughter
- If only I could see
- Heavenlies
- Why the world has turned for us
- Mirage of bliss (Part II)
- The forsakenness of raging love
- Dogenzaka
Gesamtspielzeit: 55:18 min.
Referenzen
Embrace; Aqualung; David Gray; Monta; Belasco; A Fine Frenzy; Art Garfunkel; The Swell Season; Saybia; Vega 4; Andreas Johnson; A-Ha; Richard Ashcroft; The Verve; Lorien; Elbow; Yann Tiersen; Roman Fischer; Get Well Soon; The Veils; Starsailor; Patrick Watson; Jens Lekman; Damien Rice; Cat Stevens; Coldplay; Travis; Keane; John Lennon; The Beatles
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