Gabriel & The Hounds - Kiss full of teeth
Communion / Cooperative / Universal
VÖ: 20.04.2012
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
Hoch gepokert
Obwohl Gabriel Levine bisher noch nicht in das kollektive Bewusstsein vorgedrungen ist, kann man behaupten: Der Typ ist ein Hans Dampf in allen Gassen. Und so liest sich seine Freundesliste wie angeberisches Brooklyn-Geklüngel quer durch die Szene und wieder zurück. Man meint, Levine schon einmal irgendwo über den Weg gelaufen zu sein, und möglich wäre das. Als Sänger der Band Takka Takka beispielsweise oder als Busenkumpel von The Nationals Bryan Devendorf. In dessen Garage, so munkelt man, sei sogar ein Teil von "Kiss full of teeth" entstanden. Sehr sympathisch. Und um die Trefferzahl zu erhöhen, hier noch ein paar Fakten und Namen: Kate Bushs "Hounds of love" ist der Namenspatron für sein Debüt als Gabriel & The Hounds und Roy Orbison die klangliche Anlehnung, die sich laut Statement auf das Gros der elf Stücke anwenden lässt. Bonus: eine Philip-Glass-Huldigung bei In- und Outro. So will es Levine, so hat er sich das gedacht.
"A beginning (Rethinking the human agenda)" eröffnet epochal - die Pforten zur modernen Klassik sind weit geöffnet, und die Aufforderung im Titel, die Tagesordnung des Menschen doch einmal zu überdenken, ist weniger ein unbeholfenes "Huch, hier komm‘ ich" als ein selbstbewusster Levine auf einer Empore: "Lauschet! Höret, was ich zu erzählen habe!" Am Ende gibt es sogar Trompeten. Wir sind ganz Ohr. Bei "What good would that do" hat man den Hügel wieder verlassen, ein leicht irritierender Bruch zwar, aber die Glass-Referenz beschränkt sich laut Ankündigung ja lediglich auf die Rahmenhandlung. "I wish I was like you", offenbart Levine, die Trompeten sind wieder da, Sänger und Instrumentarium bäumen sich auf. "And the sun /And the sun / And the sun keeps shining on" - dazu Flameco-Gitarren, Bläser, das volle Programm. Wieder wach, richtig gut! "Wire and stone" hält die Erregung, besonders im letzten Drittel - bedrohlichem Streichwerk sei Dank.
In "Lovely thief" gibt sich Levine anfänglich allein die Ehre - Mann und Gitarre - aber damit ist's natürlich nicht genug. Denn da sich "Kiss full of teeth" mehr und mehr als Wundertüte entpuppt, sind auch die kleinen Jon-Brion-Melodien nicht fern: säuselnd, süß, melancholisch, stets organisch und weltfremdelnd. Auf den großen Kammerwurf wird nicht verzichtet. Nie. Na ja, fast nie - "The world unfolds" ist eine nicht weiter störende Pop-Rock-Nummer, ein Strahlesong, dem man nicht böse sein kann. Vorherrschend aber: der Walzerschritt, auf dem sich "Kiss full of teeth" seinen Pfad durch emotionales Geäst bahnt. Oft schwelgend, manchmal harsch: "When we die in South America" knüpft in seiner Dramatik tatsächlich an das vielzitierte "Just like honey" von The Jesus & Mary Chain an, ohne dabei abzuschmieren, "Who will fall on knees" erinnert an Deerhunter auf einer Waldbühne, und "An in-between (Full where you are)" ist schönste Filmmusik. Die vermeintliche Glass-Blaupause ist zugänglicher als der Opener, verblasst mit einem Nachhall der Saiten und entschwindet ins Bambi-Land für urbane Eskapisten. Wer hätte das gedacht? Groß getönt und Versprechen gehalten. Ein Bienchen für Gabriel Levine.
Highlights
- Lovely thief
- Who will fall on knees
Tracklist
- A beginning (Rethinking the human agenda)
- What good would that do
- Wire and stone
- Lovely thief
- The world unfolds
- When we die in South America
- Talk of the town
- Photos of the end
- An in-between (Full where you are)
- Who will fall on knees
- An ending (between friends)
Gesamtspielzeit: 30:35 min.
Referenzen
The National; St. Vincent; Roy Orbison; Philip Glass; Jon Brion; Joni Mitchell; Deerhunter; Beirut; The Grays; Sufjan Stevens; Takka Takka; Kate Bush; Beach House; John Adams; Jean-Michel Bernard; The Jesus & Mary Chain; My Bloody Valentine; Andrew Bird; Iron & Wine; Bob Dylan; Fleet Foxes; Nils Frahm; Frightened Rabbit; The Antlers; Kevin Shields; Ricky Nelson