Lambchop - Mr. M

City Slang / Universal
VÖ: 24.02.2012
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Von nah und fern
Zum Dahinschmelzen schön für die einen, ohne Schnuller kaum auszuhalten für die anderen: Die Liste der Adjektive, die Lambchop auf ihrem bisherigen Weg begleiteten, ist ebenso lang wie widersprüchlich. Zwischen nachhaltig und langweilig, intim und träge, berauschend und zahm hörte man schon so einiges. Doch aus welcher Richtung der jeweilige Kommentator auch kam, stets war er gezwungen, ein "ungemein" vor sein Urteil zu setzen. Kein "ziemlich", kein "irgendwie", kein "halbwegs" - und kein Wunder eigentlich, denn Kurt Wagner und seine Big- bis Fat-Band waren immer schon eine Truppe der kleinsten gemeinsamen Extreme. Wenn sie nun ihr elftes Album "Mr. M" mit allerlei Nachtschattengroove, Uh-Huu-Chören, Klavieren, Flöten und vor allem einer Menge Fünfziger-Jahre- und Soul-Streichern ausstatten, wird das an der Grundausrichtung wohl kaum etwas ändern. Trotzdem hat Wagner einige der besten, behutsamsten und brillantesten Songs seiner Karriere für "Mr. M" freigespielt.
Die verzärtelten Instrumentals "Gar" und "Betty's overture" gehören ebenso zu diesen wie die an Freund und Mitmusiker Vic Chesnutt (R.I.P.) gerichtete Hommage "2B2", die ganz Wagner-like kein Lamento anstimmt, sondern zu sehr wohl traurigen, doch wunderschönen Akkorden den Abend dokumentiert, an dem die Trauerphase erstmals aufgebrochen wurde. Dämmerung in der Wohnung, ein flimmernder verwaister Fernseher im Hintergrund, ein Telefonat, die Zubereitung des Abendessens - Erinnerung wird hier zu einem sanft schreitenden Exorzismus, und doch ist der Hörer nie sicher, ob hier tatsächlich Alltag das Gedenken vertreibt oder ganz im Gegenteil die Erinnerung in jedes einzelne Inventar, in jeden Gedanken und jede Handlung gerufen wird. Ein Meisterstück, auf so vielen Ebenen.
Der runtergedampfte Country-Takt von "Gone tomorrow" schließt sich mit Leichtigkeit an, bringt aber auch ein paar Jazz-Hoffnungsschimmer in den minutenlang ausflimmernden instrumentalen Schlusssatz. "Buttons" wird dramatisch gestrichen, bevor sich ein zaghafter, jedoch glasklarer und spröde knackender Rhythmus darunterschiebt. Und die Verlaufskurve des Beinahe-Titelsongs "Mr. Met" schreibt sich einen periodisch wiederkehrenden Zwischenpart, der ebenfalls zum Edelsten und Zauberhaftesten der jüngeren Lambchop-Geschichte gehört. Wenn dann weder Hörer noch Rezensent von derart halbseidenen Adjektiven lassen können, dann ist eben erneut vieles sehr richtig gelaufen bei Lambchop und ihrem Panoptikum des zartbesaiteten Enthusiasmus.
Denn jeglicher Spleen gerinnt auf "Mr. M" zu einem florierenden, perfekt arrangierten letzten Tanz. Wehmütig, erschöpft, voll klarer Gefühle, doch nebelhafter Gedanken. Ob Wagner für "Kind of" sein Tremolo in die Stimme packt oder "The good life (is wasted)" auf einer behutsam flirrenden Flanger-Gitarre durch den Country fliegt: Stets spürt der Hörer heilsame Distanz und Nähe zugleich. So wie auch die Arrangements die Instrumente zwar perfekt zusammenbringen, sie zugleich aber in Bewegung präsentieren, ebenso viele Knoten lösen wie zusammenbinden. Oder Wagners Texte stets vom Konkreten ins Abstrakte springen, und dies teils nur durch eine Betonungsverschiebung oder ein einzelnes weggelassenes oder hinzugefügtes Wort. Bis alles getreu dem Motto "two be two" im doppelten Widerspruch eins wird. Beziehungsweise: ungemein eins wird, selbstverständlich.
Highlights
- 2B2
- Gone tomorrow
- Mr. Met
- Gar
- The good life (is wasted)
Tracklist
- If not I'll just die
- 2B2
- Gone tomorrow
- Mr. Met
- Gar
- Nice without mercy
- Buttons
- The good life (is wasted)
- Kind of
- Betty's overture
- Never my love
Gesamtspielzeit: 55:58 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
IFart |
2012-03-11 09:44:31 Uhr
über welchen Zeitraum kann man ein Album eigentlich abschreiben? |
captain kidd |
2012-03-11 09:39:24 Uhr
habe das album auch noch nicht abgeschrieben... |
kingsuede |
2012-03-05 23:04:30 Uhr
Ein Album, das bei mir wahrlich Zeit brauchte, bis es so richtig zündete. Aber wenn man einmal von diesem langsamen Rhythmus gefangen ist, wird man durch die Melodien getragen. Und "Gone tomorrow" sowie "The good life (is wasted) sind richtige Uptempo-Hits im Stile von "Up with people". Geduld benötigt es aber, wie an anderer Stelle zu lesen war... |
Hogi |
2012-02-23 14:23:43 Uhr
@Tylerversuch mal die neue Tindersticks. Die trauen sich wenigstens auf ihrem neuen Album, mal ein bißchen was neues auszuprobieren, ohne dabei ihre musikalische Identität zu verlieren. Neutral gesehen, da ich eigentlich beide Bands sehr schätze: Ein großer Witz, das deren Album schlechter als das von Lambchop bewertet wurde. |
Tyler |
2012-02-23 13:58:52 Uhr
"Gone tomorrow" fängt ja noch ganz nett an, aber nach 3 Minuten ist das nur noch so spaciges Zeug und das 4 Minuten lang. Boah, da braucht man wirklich Geduld. Eigentlich bin gerade auf der Suche nach ruhigem Singer/Songwriter Material, aber man sollte nicht dabei einschlafen. Dann doch lieber D. Ri.ce oder Downpilot.Waren die mal besser? Oder ist das eben so, wie besagtes Lied? |
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Referenzen
Joe Henry; Richard Buckner; Stuart A. Staples; The National Trust; Will Oldham; The Pernice Brothers; Josh Rouse; Jeb Loy Nichols; George Jones; Marvin Gaye; Curtis Mayfield; Terry Callier; The Black Heart Procession; Archer Prewitt; Richard Hawley; William Elliott Whitmore; Elliott Smith; Souled American; Missouri; Fink; Wilco; Howe Gelb; Ron Sexsmith; Loudon Wainwright III; Elvis Costello; David Poe; Neil Young; Gram Parsons; Bruce Cockburn; Leonard Cohen; Randy Newman; Hank Williams; Jack Logan; Salomon Burke; Damien Jurado; Dolorean; Hobotalk; Ox; Nat King Cole; Peggy Lee; Frank Sinatra; Ella Fitzgerald; Bing Crosby; Tony Bennett
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