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Liturgy - Aesthethica

Liturgy- Aesthethica

Thrill Jockey / Rough Trade
VÖ: 15.04.2011

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Im gleißenden Schwarz

Am Ende löst sich der Streit womöglich in Harmonie auf. Aber so weit sind wir nicht. Wer heute über Liturgy spricht und schreibt, der tut dies in scharfen Gegensätzen, just so als marschierte die Hoch- respektive Subkultur zum letzten Gefecht gegen die Massen auf. Bei Liturgy scheint es um mehr zu gehen als den schnöden Geschmack. Die Metal-Community keilt gegen all die opportunistischen Hipster, die urplötzlich in den Ikonographien der norwegischen Polarnacht ihr liebstes T-Shirt-Motiv ausmachen. Der musikalischen Nachbarschaft stößt die Großkotzigkeit der Herren aus New York auf. Und nicht zuletzt zeigt so mancher Kritiker hier erst die Geringschätzung der eigenen Leserschaft: Wer Liturgy missachtet, versteht sie nicht.

Man kann die Kontroversen um das ehemalige Ein-Mann-Projekt des Sängers Hunter Hunt-Hendrix auf den ambitionierten Anspruch zurückführen, den die Band für sich auch fernab der Bühne ausformuliert: in Interviews, in denen Hunt-Hendrix Bezug nimmt auf Nietzsche und Deleuze, oder auch in einem eigens verfassten – und sehr amüsanten – Manifest namens "Transcendental Black Metal", in dem er das eigene musikalische Werk argumentativ gegen den nunmehr obsoleten "Hyperborean Black Metal" abzugrenzen versucht. Da ist sie, die Gegnerschaft. Und natürlich spiegeln die heftigen Reaktionen zuerst bloß den Antiintellektualismus einer halben Szene. Liturgy führen große Worte im Munde, während sie auf "Aesthethica" ein Monument von strahlender Schönheit errichten, gebaut aus Ideen von körperlicher Präsenz. Dieses Album ist tatsächlich mehr Architektur denn Musik.

Aber treten wir zunächst einige Schritte zurück. Eigentlich nämlich, entgegen den wütenden Beschimpfungen der Szenepolizei, zitieren Liturgy ausgiebig aus ihrer schwarzen Plattensammlung. Es bleiben die Erzähltechniken des Extremismus von Emperor, Mayhem und Kollegen, wenn "Aesthethica" flirrend hohe, kreischende Gitarren über rasende, omnipräsente Drums spannt. Und selbst der manische Hunt-Hendrix, dessen Gesang mehr euphorisches Jauchzen als ein Kreischen ist, wird in seinen Teeniejahren mal Corpsepaint getragen haben.

Es ist der Gesamtkontext, der Wille zum Ganzen, der aus "Aesthethica" weit mehr macht als eine schnöde Platte zwischen Black Metal und Math Rock: der glasklare und bis in den letzten Winkel ausgeleuchtete Sound, die hoffnungsfroh enthassenden Lyrics und dieses allgegenwärtige Weiß, mit dem Liturgy ihre Artworks, ihren Klang und ihre künstlerische Haltung getüncht haben. Der Death-Metal-Boom der letzten Jahre röchelt, auch daher kommt wohl die erstaunliche Präsenz des Black Metal in jüngster Zeit. Im Gegensatz zu den technisch versierten, aber schlussendlich doch schrecklich wertkonservativen Deathcorelern von A bis Z stoßen Bands wie Wolves In The Throne Room, Mount Eerie oder eben Liturgy tatsächlich Diskussionen an. In der Szene wie im Feuilleton. Wer wissen will warum, der kann sich mit Liturgy beschäftigen.

Wer jedoch trotz allem vom eigenen Ressentiment übermannt wird ob des ganzheitlichen Projekts, an dem Liturgy arbeiten, der soll sich einfach von der Wucht des Songmaterials überrollen lassen - und sich am überlebensgroßen "Generation", das sieben Minuten lang auf einen einzigen Akkord einhackt, eine blutige Nase holen. Ein Song gemauert aus ausgehärteten Tönen, kantig, raumgreifend. Dieses Stück Musik überdauert. "Harmonia" könnte am Ende einer ganzen Karriere stehen, als Inbegriff des eigenen Sounds: Greg Fox' Schlagzeug zerschießt flirrende Gitarrenwände, der Song stürzt in die Raserei, Hunt-Hendrix hyperventiliert und zurück bleibt, nach einem letzten, schlicht perfekten Aufbäumen, die blanke Euphorie. "Aesthethica" malt dem traditionellen Black Metal in ausladenden Strichen ein weißes Herz auf die Stirn. Musikalisch ist es bis zuletzt eine Liebeserklärung, die Liturgy auf diese Platte von größtmöglicher Kohärenz und strahlender Schönheit pressen.

Transzendental an diesem Black Metal ist vor allem die Weigerung, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, um Grenzen zu überschreiten. Wo Meshuggah in den Eingeweiden wühlen, stechen Liturgy Akupunkturnadeln ins Trommelfell der Hörerschaft. Jede Zeile über den Größenwahn und die Abgehobenheit dieser Band scheint wahr. Und "Aesthethica" ist nichts weniger als ein Meilenstein.

(Nicklas Baschek)

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Highlights

  • Returner
  • Generation
  • Tragic Laurel
  • Red crown
  • Harmonia

Tracklist

  1. High gold
  2. True will
  3. Returner
  4. Generation
  5. Tragic Laurel
  6. Sun of light
  7. Helix skull
  8. Glory bronze
  9. Veins of God
  10. Red crown
  11. Glass earth
  12. Harmonia

Gesamtspielzeit: 68:21 min.

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User Beitrag

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31773

Registriert seit 07.06.2013

2020-12-29 14:35:16 Uhr
"Generation" ist schon echt geil. Sonst ist es mir bisschen zuviel BlackMetal-Gebimmel. Laune macht es trotzdem.
GV
2014-12-07 05:27:52 Uhr
Was ist denn mit dem Gesang/Sänger passiert?
Klingt ziemlich furchtbar...

Nicklas

Postings: 69

Registriert seit 14.06.2013

2014-11-27 17:39:57 Uhr
Sorry, viel bessere Aufnahme hier:
http://www.youtube.com/watch?v=hSX8Opme_iQ

Nicklas

Postings: 69

Registriert seit 14.06.2013

2014-11-27 17:34:10 Uhr
http://www.youtube.com/watch?v=wTf4pROihIQ

Die komplette Band wiedervereint, erste Auftritte in den USA gespielt. Das neue Album soll im Frühjahr kommen.
werft
2013-04-05 09:16:35 Uhr
der sänger ist der hit.

wer guckt sich diese schiessbudenfigur live an.
mit dem rücken zur bühne geht ja noch und wenn es instrumental wäre, aber so...

bitte sofort wolves in the throne room konsumieren
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