Tammar - Visits

Suicide Squeeze / Cargo
VÖ: 21.10.2011
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kraut gewachsen
Immer wenn Besuch kommt, stellt sich die gleiche Frage: Ist Musik erwünscht? Wenn ja, was für welche? "Wobble Pop" scheidet wahrscheinlich von vornherein aus, da sich die Gäste nach zehn Minuten Durchgerütteltwerden auf der Couch vermutlich unter fadenscheinigen Ausreden davonmachen würden. Rätselhaft also, dass Tammar aus Bloomington, Indiana, für sich beanspruchen, ebendiesen "Wobble Pop" zu fabrizieren und ihr Studiodebüt dann ausgerechnet "Visits" nennen. Das ist allerdings weit mehr als eine Stippvisite wert - wer nun bei sieben Songs disqualifizierende Plattitüden wie "In der Kürze liegt die Würze" von sich gibt, fliegt sogar schon nach fünf Minuten raus. Und verpasst so das meiste von diesem Album. Selbst schuld.
Den drei Jungs und zwei Mädels aus Bloomington stattet man nämlich gerne einen Besuch ab, wenn sie gemeinsam aus der Fülle ihrer musikalischen Inspirationen schöpfen. Monotonie ist zwar Trumpf bei dem Song-Septett, aber auch die Grundlage für diese halluzinogen treibende Rockmusik, deren komplexe Texturen Tammar aus orchestralen Shoegaze-Gitarren, kosmischen Keyboards und Dave Walters verhuscht sprechgesungenen Vocal-Mantras weben. Damit alles einigermaßen auf dem Teppich bleibt, verschweißt das weibliche Percussion-Duo Josephine McRobbie und Sarah Wyatt Swanson die Mechanismen des Krautrock mit unscharf gestelltem Post-Punk und erdet "Visits" so mit einem maschinell pumpenden Rhythmusgerüst.
Und bald fällt einem dazu ein, dass die Briten Appliance vor einigen Jahren fragten "Are you earthed?" An deren hypnotische Mixtur aus Drone-Pop, Electronica und New Order auf Beruhigungsmitteln erinnert "Visits" nämlich an allen Ecken und Enden. Bei den schräg sirrenden Leads des Openers "Heavy tonight" genauso wie in den um sich selbst rotierenden Riffs von "Summer fun" oder den repetitiven Melodiemustern. Und so ist dieses Album wie die Naturaufnahmen im Artwork praktisch durchgängig mit einem altrosa Farbfilter überzogen, der sich wie ein barbiturierender Schleier über das Donnergrollen der Rhythmusgruppe, die massiven Gitarrenmauern und die glühende elektronische Grundierung legt.
Trotz der Tendenz zur Gleichförmigkeit im dynamisch blubbernden Sound wissen Tammar zudem stets noch einen draufzusetzen. Zuweilen rauschen die kreiselnden Harmonien später Wire-Alben durch, das sich zunächst behäbig gebende "Deep witness" wächst allmählich zu einem tosenden Rocker heran, und der hochmelodiöse Kraut-Pop von "The last line" und "Yung jun" hängt in einer Endlosschleife fest, in der man gut und gerne den restlichen Tag zubringen möchte. Doch dann weht es plötzlich kalt zum Fenster herein, und "Frost meter" bringt dem Hörer in verträumter Psych-Zeitlupe behutsam bei, dass diese hinreißende Dreiviertelstunde bereits vorbei ist. Danach möchte man sich auf der Stelle Gäste einladen, damit auch sie in den Genuss von "Visits" kommen. Besuch macht klug.
Highlights
- Heavy tonight
- The last line
- Yung jun
Tracklist
- Heavy tonight
- Summer fun
- The last line
- Deep witness
- Arrows underwater
- Yung jun
- Frost meter
Gesamtspielzeit: 44:30 min.
Referenzen
Appliance; Viva L'American Death Ray Music; The American Analog Set; Calla; Film School; Amusement Parks On Fire; Darker My Love; The Warlocks; The Electric Soft Parade; Galaxie 500; Loop; Spacemen 3; Spiritualized; The Velvet Underground; Moon Duo; Wooden Shjips; Autolux; Bridge And Tunnel; White Daughter; Clinic; Wire; Public Image Limited; Echoboy; Electrelane; Sonic Youth; Stereolab; Can; Neu!; Fujiya & Miyagi; Siinai; Torpedo; Maps; Lali Puna; Tarwater; To Rococo Rot; A. R. Kane; Mobius Band; Seachange; Editors; Joy Division; Ride; New Order; Union Of Knives; Singapore Sling; The Radio Dept.; The Blue Angel Lounge; Escapologists; Secret Machines; The Besnard Lakes; Silversun Pickups; Surf City; Six.By Seven; Enon; Yo La Tengo; Experimental Pop Band; Trans Am; The Sea And Cake; School Of Seven Bells