Next Stop: Horizon - We know exactly where we are going
Tapete / Indigo
VÖ: 26.08.2011
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Senk ju vor träwelling
Es ist ein Jahrtausende alter Trick: Der Unsichere muss einfach nur so tun, als ob ihn nicht der Hauch eines Zweifels quält, und sich die Ohren zuhalten, wenn der interne Pessimist das Wort ergreift. Irgendwann rennt jener nämlich als frustrierte Stummfilm-Figur aus dem Saal, und die Gelassenheit setzt sich auf das angewärmte Plätzchen. Szenenwechsel: Man kann es sich prima vorstellen, wie Next Stop: Horizon im vergangenen Winter in ihrem Göteborger Studio herumlungerten, mit einem Knäuel aus Vaudeville, Cabaret, Folk und Zirkusmusik in den Ohren und einer beträchtlichen Menge Theaterschminke und Fragezeichen in den Gesichtern. Fieberhaft wurde vermutlich überlegt, wo ihr bizarres Gemisch musikalischer Kuriositäten sie wohl hinführen würde. Und dann kam jemand auf die kluge Idee, dass sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit das Allerwichtigste ist. "We know exactly where we are going" heißt nun also das Debüt-Album der Schweden.
Weil die interessantesten Verrücktheiten immer in Paararbeit entstehen, sind Next Stop: Horizon auch eigentlich nur ein Duo: Jenny Roos und Pär Hagström, der aussieht, als wäre er der Herman-Dune-Dynastie entsprungen. Allerdings haben die beiden sich diverse mitmusizierende Freunde eingeladen - was auch die Vielzahl an Instrumenten erklärt. Hunderte Fußnoten ließen sich in diesen 48 Minuten entdecken, eine resümierende Überschrift für das Spektakel zu finden, ist aber schon etwas schwieriger. Versuchen wir's mal hiermit: Reise in ein nostalgisches Phantasialand. Man steigt zunächst in die "Iron train", betört von einem traumverlorenen Muster aus Glockenspieltupfern und Klavierkristallen. Dieser Zug ist eine alte Dampflok, deren charmante Rumpeligkeit einen Weirdo-Blues im Schlepptau hat, dazu Jazz-Bläser und eine flüsternde, hauchende und theatralisch croonende Jenny Roos: "Got tickets in my pocket / To steam away tonight."
Dass dieser Ausflug keine Kaffeefahrt wird, ahnt man schon bei "Wild escape" - der Kontrabass übernimmt das Steuer und rauscht in halsbrecherischem Tempo durch ein vorwitziges Jazzmotiv, das Besenschlagzeug kommentiert souverän, und Hagström singt, als würde er für eine sehr dramatische Theaterrolle vorsprechen. "She's a ghost" hingegen widmet sich der Balkan-Folklore samt obligatorischem Akkordeon, aber auch verziert von Klavier, Klarinette und Klezmer-Flair - die Fiddle selbstverständlich ebenfalls an Bord. Der Gesang klingt dabei meistens so weit entfernt, als wäre er auf ein Beiboot ausgelagert oder zumindest durchs Telefon eingesungen. Der Intensität der Stücke kann dieser Umstand jedoch nichts anhaben, man höre sich nur einmal das zart pianierte "Ship in a bottle" oder das darauf folgende Matrosen-Lied "Telekinesis" an, das mit kunstvoll gesampelten Alltagsgeräuschen aufwartet.
"Mysterious grace" ist so etwas wie die Visitenkarte der Firma Next Stop: Horizon: ein Vaudeville-Kleinod mit opulenter Instrumentierung, ambitioniertem Saxophon-Solo und der denkwürdigen Zeile "I guess it's too early to tell yet / If I'm a survivor or a joke". Dass man nur ein Lied später eine vollkommen ungeschminkte Folkrock-Nummer namens "One of those nights" zu hören bekommt, ist ebenso wenig voraussehbar wie das von einer simplen Akustikgitarre angeführte "Up in the air" oder das zuckersüße, in Richtung Beatles zwinkernde Pop-Schmankerl "Love is all", das nicht nur einen unerwartet großen Chor zu bieten hat, sondern mittendrin auch noch ein Zirkuszelt aufstellt. Das Finale "Mountain bells" bittet noch einmal Glockenspiel, Akkordeon und Balkan-Gesänge auf die Bühne und packt dann seinen Koffer für das nächste Abenteuer - hinter'm Horizont geht's schließlich weiter.
Highlights
- Wild escape
- Telekinesis
- Mysterious grace
- One of those nights
Tracklist
- Iron train
- Wild escape
- She's a ghost
- Reed organ song
- Ship in a bottle
- Telekinesis
- Up in the air
- Tiny wings
- Mysterious grace
- One of those nights
- Love is all
- Mountain bells
Gesamtspielzeit: 48:13 min.
Referenzen
Kurt Weill; The Tiger Lillies; The Dresden Dolls; Amanda Palmer; Evelyn Evelyn; The Fiery Furnaces; Dark Dark Dark; Tom Waits; The Irrepressibles; The Divine Comedy; Antony & The Johnsons; Rufus Wainwright; Beirut; The Book Of Daniel; Montmorensy; Richard Kapp & The Gowns; Clare & The Reasons; Duke Special; Max Raabe; A Hawk And A Hacksaw; Chris Garneau; Wild Beasts; Devotchka
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Next Stop: Horizon - The grand still (2 Beiträge / Letzter am 12.04.2017 - 11:53 Uhr)