Mikroboy - Eine Frage der Zeit
Embassy Of Music / Warner
VÖ: 24.06.2011
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Vom Suchen und Finden
"Mit fettbeflecktem Unterhemd, vollgeschwitzt und ungekämmt." Als Joseph von Eichendorff den "Weltschmerz" als romantisch-deutsche Eigenschaft erfand, klang das irgendwie poetischer. Doch auch wenn Mikroboy auf "Eine Frage der Zeit" nicht von Zauberworten oder zwitschernden Nachtigallen singen: Was die Stimmung betrifft, die Sehnsucht nach etwas Unbestimmtem und den Wunsch, dem Alltag zu entfliehen, sind sie der Welt der Romantik näher, als man denken könnte.
Der Name Mikroboy bleibt irreführend, noch immer geht es um die Makro-Themen des Lebens, und zwar mehr als auf dem Debüt Nennt es, wie Ihr wollt in ihren schattigen Facetten: Von stumpfer Lethargie ist da die Rede, vom Ertrinken im Mittelmaß und Herzen aus Holz. So ziehen sich Leere und Erschöpfung durch die Texte, während die Musik trotzig dagegen nach vorne drängt und unruhig, fast getrieben, unbekannten Zielen entgegenstrebt.
"Es hat sich einiges getan", verkündet einer der stärksten Songs des Albums. Auf die Band selbst bezogen heißt das: Zwei Mitglieder sind gegangen, die eine wegen der eigenen Karriere, der andere wegen der Gesundheit. Ein Auftritt bei Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest" brachte danach zwar keine gute Platzierung, aber einen nicht unwesentlich gesteigerten Bekanntheitsgrad. Wem die Mischung aus Nüchternheit und Pathos schon davor, auf Nennt es, wie Ihr wollt, auf die Nerven ging, der wird sich für die neuen Stücke kaum mehr erwärmen können. Denn mehr als je zuvor proben Mikroboy den befindlichkeitsfixierten Aufstand. Dabei bleibt "Eine Frage der Zeit" allerdings erstaunlich spröde, geradliniger als erwartet: Nirgends finden sich die kleinen Abschweifaktionen, für die sich zum Beispiel der tolle Erstlings-Opener "Glück reimt sich auf Augenblick" Zeit nahm. Mikroboy lassen schlichte Strukturen dominieren und nehmen weniger Abwechslungsreichtum für ein atmosphärisch geschlossenes Gesamtbild in Kauf.
Die oben erwähnte leergebrannte Monotonie-Wüste des Alltags hat dabei entscheidenden Anteil und ist doch nur eine Seite der Medaille. "Da ist immer noch viel Hoffnung drin", betont die Band nicht umsonst: Nicht nur, dass "Lass mich irgendwas sein" in kämpferischem Gitarren-Stakkato das Gegenteil von Resignation abfeuert: "Solang der Mut den Zweifel schlägt" steht zur Notfallversorgung an jeder Ecke ein Arsenal aus Durchhalteparolen und akustischen Euphoriespritzen bereit, das auch an den trostlosesten Flecken noch wiederergrünende Blätter, gelöste Knoten und nun doch mutige Herzen zutage befördert. "Wo zuhause ist, schlafen wir ein", besingt "Angekommen" zwischen Fluchtfantasien und Rastlosigkeit in seinen theatralischen Hallwänden plötzlich die Sehnsucht nach dem Gegenteil und findet fast so etwas wie Frieden. Doch auch wenn der Weltschmerz letztendlich ein versöhnlicher ist: Dass das musikalische Zuhause von Mikroboy im dieses Jahr von ihnen bestrittenen Vorprogramm von Lena Meyer-Landrut liegen soll, bleibt eine entschieden merkwürdige Vorstellung.
Highlights
- Es hat sich einiges getan
- Lass mich irgendwas sein
- Atmen und aushalten
Tracklist
- Immer auf der Suche
- Herzen aus Holz
- Wann bleibst du endlich
- Irgendwie unangenehm
- Es hat sich einiges getan
- Solang der Mut den Zweifel schlägt
- Ein einzelnes Atom
- Du oder ich (oder wir alle)
- Angekommen
- Lass mich irgendwas sein
- Alles was du brauchst
- Atmen und Aushalten
Gesamtspielzeit: 45:07 min.
Referenzen
ClickClickDecker; Kettcar; Reminder; Jupiter Jones; Astra Kid; Herrenmagazin; Dorfdisko; Jona; Hansen Band; Tomte; Neuser; Madsen; Bosse; Virginia Jetzt!; Schrottgrenze; Samba; Anajo; Kleinstadthelden; Jimmy Eat World; The Notwist; The Postal Service; Something Corporate; The Juliana Theory; Bakkushan; Angelika Express; Muff Potter; Klez.E; Die Sterne; Ghost Of Tom Joad; Captain's Diary; Fertig, Los!; Emma6; Radiopilot; Johansen; Schein23; Tele; Niels Frevert
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