K.I.Z. - Urlaub fürs Gehirn

Vertigo / Universal
VÖ: 03.06.2011
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Kannibale und Liebe
Es wird wieder einmal mächtig diskutiert. Was darf populäre Musik, was nicht? Wo sind die Grenzen des vermeintlich guten Geschmacks? Nun, egal wo man diese imaginäre Frontlinie verortet, K.I.Z. überschreiten sie mit stolzer Brust und ohne mit der Wimper zu zucken. Auch auf ihrem vierten Langspieler "Urlaub fürs Gehirn" reihen Maxim, Tarek, Nico und DJ Craft Zote an Zote an Zote und machen sich damit einmal mehr für Freunde von Bret Easton Ellis interessant: K.I.Z. malen nach Zahlen - mit Blut, Gehirnmasse und Sperma. Das Ergebnis ist logischerweise eine unfassbare Sauerei. Möchte man als wohlerzogener Mensch meinen. Doch nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Soll heißen: K.I.Z. beweisen trotz ihres oberflächlich grobschlächtigen Proletengestus ein feines Händchen für Satire und schwarzen Humor. Ob Sarrazin, schwarzrotgeile Eventfaschisten oder FDP-wählende Yuppies: Alle bekommen ihr Fett weg. Natürlich muss man als Hörer mit Fäkalhumor, Gruselgeschichten und chronisch-ironisch gebrochener Weltsicht klarkommen, andernfalls könnte man "Urlaub fürs Gehirn" leicht als tourettekranken Nonsens missinterpretieren. Empörung und Ekstaste liegen auch im Wörterbuch nur wenige Seiten auseinander.
Mit allerlei Tamtam blasen die Kannibalen in Zivil ihr viertes akustisches Attentat in den Äther. So erschien wenige Tage vor dem offziellen Release ein Art Fake-Album im Netz, das von dem ein oder anderen vorschnellen Hörer bereits gefeiert wurde. Oder eben nicht. Jedenfalls haben die vier Berliner dadurch erneut genau die Aufmerksamkeit erregt, die sie natürlich benötigen. Wobei "Urlaub fürs Gehirn" auch ohne jeglichen Mumpitz für viel Gesprächsstoff zu sorgen vermag. Da wäre zum Beispiel das kontroverse "Doitschland schafft sich ab", welches auf humorvolle Weise Sarrazins Thesen auf die Schippe nimmt. Im gleichen Schachzug dürfte Alice Schwarzer ihr Bio-Dinkelbrot hochkommen, denn K.I.Z. lassen kein gutes Haar am weiblichen Geschlecht. Daran kann man sich aufreiben, aber schlussendlich ist das Satire, und die darf laut K.I.Z. alles. Im besten Track der Platte, dem kapitalismuskritischen "Abteilungsleiter der Liebe", heißt es so auch wundervoll lakonisch: "Hey Leute, das hier tut mir jetzt mehr weh als euch / Ich meine, ihr, ihr verliert nur einen Job / Ich, ich verliere Freunde / Aber wie Spiderman schon sagte: Große Macht bringt große Verantwortung mit sich." Sie spielen rücksichtslosen Punkrock mit den Mitteln des Rap, lachen ihr fratziges Lachen und grillen die geldgeilen Heuschrecken zum Frühstück.
Die beiden Proll-Stücke "Raus aus dem Amt" und "Der durch die Scheibeboxxxer" erinnern an das letzte Dendemann-Album, nur dass sich Nico - der für die beiden Songs verantwortlich zeichnet - selbstverständlich keinen Oberlippenbart wachsen lassen muss, um überzeugend den Unterschichtler zu geben. Diskussionswürdig ist der blutige "Neuruppin"-Nachfolger "Lauf weg": Gemäß dem Motto "Die Axt im Haus ersetzt den Serienkiller" wird hier gemeuchelt, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Das ist derbe Unterhaltung für die Saw-Generation, gehört im Album-Kontext aber eher zu den Fillern. Hier liefern K.I.Z. eben das ab, was man gemeinhin von ihnen erwartet. Am Ende von "Urlaub fürs Gehirn" findet eine kleine Zeitreise statt. Ziel ist der schwarzrotgeile Partysommer 2010, mit all den Flaggen und Fähnchen, den Poldi-Trikots und dem wiedererstarkten Nationalgefühl. "Biergarten Eden" ist schlicht und ergreifend die beste Antwort auf die Eventgesellschaft, zynisch und bissig, aber den Kern der Sache treffend. Und, da alle zwei Jahre ein Fußballgroßturnier ansteht, natürlich stets aktuell. Am Ende bleibt folgende Erkenntnis: K.I.Z. sind die stinkenden Socken, der müffelnde Atem und das schlechte Gewissen dieser Nation. Schön ist anders, aber irgendjemand muss diesen Scheißjob doch übernehmen, nicht?
Highlights
- Doitschland schafft sich ab
- Abteilungsleiter der Liebe
- Der durch die Scheibeboxxxer
- Biergarten Eden
Tracklist
- Küss mir den Schwanz
- Urlaub fürs Gehirn
- Doitschland schafft sich ab
- Heiraten
- Raus aus dem Amt
- Abteilungsleiter der Liebe
- Fleisch
- In seiner Mutter
- Fremdgehen
- Lauf weg
- Tsetsefliegenmann (Skit)
- Mr. Sonderbar
- H.I.T.
- Der durch die Scheibeboxxxer
- Lach mich tot
- Koksen ist scheiße
- Biergarten Eden
Gesamtspielzeit: 66:07 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
beste Zeile |
2012-06-06 00:51:17 Uhr
Ich bin nicht cool, dafür aber schwul. |
beste Zeile |
2012-06-06 00:36:56 Uhr
Den Juden das Geld, den Schwarzen die Mädels.Weil wir brauchen bloß unseren Spargel aus Beelitz. :))) |
Frägerich |
2012-01-13 15:34:54 Uhr
Warum sind die Fake-Versionen der Albumtracks (siehe Youtube und co.) eigentlich so viel besser als das eigentliche Originalalbum? Ich war nach dem Kauf total enttäuscht, weil ich bei Youtube probegehört habe.Nennt man das nun Fanverarschung oder Abzocke? |
Kulturnahsehen |
2011-12-14 23:17:45 Uhr
Nein, das sind bekanntlich "Klosterschüler im Zölibat".@gepeinigter Vielleicht war der Typ ja einfach immer noch ein bißchen frustriert, weil seine Nachgeburt das bessere Zimmer bekommen hat? Oder er hat einfach schlechte Erfahrungen, weil in seiner Mutter öfter mal siebzig Männer drin sind wie beim trojanischen Pferd? |
mysoginist |
2011-12-14 20:03:29 Uhr
sind das PUAs? |
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Referenzen
Tarek & Massimo; Dendemann; Prinz Pi; Deichkind; Casper; JAW; Sido; Deine Lieblingsrapper; Harris; Marteria; Marsimoto; Die Orsons; Kool Savas; Samy Deluxe; Dynamite Deluxe; Tua; Huss & Hodn; Maeckes & Plan B; Favorite; Kollegah; Fünf Sterne Deluxe; Creutzfeld & Jakob; Olli Banjo; Bushido; B-Tight; Tony D; Frauenarzt; King Orgasmus One; Bass Sultan Hengzt; Fler; Taktloss; Ferris MC; Die Atzen; Frittenbude; Bratze; Egotronic; Supershirt; Kraftklub; Saalschutz; Die Ärzte; Die Kassierer
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