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Susanne Sundfør - The brothel

Susanne Sundfør- The brothel

Grönland / Rough Trade
VÖ: 20.05.2011

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Eine Frau für gewisse Stunden

Kann denn Sünde Liebe sein? Susanne Sundfør erläutert diese höchst spannende Frage im Laufe einer ausgesprochen ereignisreichen Dreiviertelstunde. Das bereits dritte Album der 25-jährigen Norwegerin trägt den hübschen Titel "The brothel" - zu Deutsch: "Das Bordell". Um Missverständnissen vorzubeugen, sei vorangeschickt, dass dieses Werk - zumindest im Hinblick auf seine Stimmung - kein Freudenhaus ist. Auch die schnelle Nummer sucht man weitgehend vergeblich, dafür wird hier und da hingebungsvoll geblasen. Auf Holzblasinstrumenten, wohlgemerkt. Die größte Überraschung ist allerdings, dass Sundførs engelsgleiche Stimme sich auch mit Industrial-Elementen und diversen elektronischen Spielgefährten einlässt. Teilweise so exzessiv, dass man denken könnte, im Eros-Center wäre zu viel Ramazotti ausgeschenkt worden. Da ergibt eine Zeile wie "We are ruins within ruins" gleich doppelt Sinn.

Dabei hatte Sundførs Musikerbiografie durchschnittlich brav begonnen: mit einer Kindheit in der idyllischen Kleinstadt Haugesund an der norwegischen Westküste, mit klassischem Klavierunterricht und Kassetten von Cat Stevens und A-Ha. Letztere haben sich mittlerweile für das frühe Interesse der jungen Künstlerin an ihrem Schaffen erkenntlich gezeigt - mit einem dicken Scheck über umgerechnet 125.000 Euro. Sundfør ist glückliche Gewinnerin des A-Ha-Stipendiums, das die Band anlässlich ihres Karriere-Endes an vier talentierte Nachwuchs-Musiker(innen) aus ihrer Heimat vergeben hatte. Schon zu diesem Zeitpunkt lag ihr halb Norwegen zu Füßen, was schließlich dazu führte, dass "The brothel" dort das zweitmeistverkaufte Album des Jahres 2010 wurde. Dies ist allerdings nicht nur Sundførs hervorragenden Talenten als Sängerin und Songschreiberin zu verdanken, sondern auch der extravaganten Produktion von Lars Horntveth, Mitglied der geschätzten Bands Jaga Jazzist und The National Bank.

Das Schäferstündchen für die Ohren beginnt mit elektronisch generierten Geistertönen, die wissen, wie man eine Gänsehaut provoziert und an welchen Stellen sich die Fingernägel am schönsten hineinbohren lassen. Natürlich nur rein theoretisch, denn trotz aller Unheimlichkeit bleibt das Vorspiel ein sanftes. Ein gefühlvolles E-Piano bettet eine ergreifende Melodie zwischen die Laken, und dann kommt Sundførs himmlische Stimme dazu, die einem nicht nur die Schuhe auszieht, sondern gleich alle Kleider vom Leib reißt. Sphärisch, schwebend, berührend, hauchzart und doch außerordentlich eindringlich. Dieser unglaubliche Gesang ist es, der hier über allem thront, gerne auch vervielfacht tirilierend, von hinten, von vorne, von ganzem Herzen. Wer sich schon für den Opener sechs Minuten Zeit nimmt, Elektronik, Vibraphon, Holzbläser und Streicher aufs Betörendste miteinander verschmelzen lässt und schließlich noch eine traumhafte Coda dranhängt, macht eben keine halben Sachen.

"It's all trouble / Until you turn off the red lights in your window", lautet das Resümee von "Lilith", durch das sich äußerst dominante, fleischeslüsternde Industrial-Sounds pflügen. "Black widow" besänftigt mit großartigem A-cappella-Intro und zartem Piano, auch wenn beides nach einer guten Minute einem gruselfilmischen Instrumental den Vortritt lässt. "It's all gone tomorrow" beginnt mit einem dramatischen Streicher-Arrangement, das immer schwererziehbarer wird und Sundfør zu Bekenntnissen wie "If I wanted to jump out of a window / I'd probably change my mind between the eighth and seventh floor" hinreißt. Nur ein Lied später inszeniert sie ein Historiendrama namens "Knight of noir" mit Klavier, Paukenschlägen, Streichern und Militär-Getrommel. Die arabischen Harmonien in "Turkish delight", das gespenstisch meditative Instrumental "As I walked out one evening" mit der Bassklarinette in der Hauptrolle, das grandiose "O Master" oder auch der hymnische Choral "Father father" sorgen nicht nur für offene Münder, sondern vor allem auch dafür, dass niemand Sundførs Bordell unbefriedigt verlassen wird. Sex sells? Außergewöhnliche Musik manchmal auch.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • The brothel
  • It's all gone tomorrow
  • Knight of noir
  • O Master

Tracklist

  1. The brothel
  2. Lilith
  3. Black widow
  4. It's all gone tomorrow
  5. Knight of noir
  6. Turkish delight
  7. As I walked out one evening
  8. O Master
  9. Lullaby
  10. Father father

Gesamtspielzeit: 44:58 min.

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