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Ja, Panik - DMD KIU LIDT

Ja, Panik- DMD KIU LIDT

Staatsakt / Rough Trade
VÖ: 15.04.2011

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Das kleine Ich-bin-ich

Das einzige Entkommen aus der Referenzhölle ist die Dekonstruktion. Und so halten sich Ja, Panik an ihren Landes- und Leidens-Genossen Thomas Bernhard, der da einmal in "Der Untergeher" schrieb: "Lange vorausberechneter Selbstmord, dachte ich, kein spontaner Akt von Verzweiflung." Ja, Panik machen mit bewundernswertem Eifer all das kaputt, was sie kaputt macht: die eigenen Songs, die eigene Identität, die Metropole. Um ihre Plagiate im Schutz des Tumults weiterhin zu perfektionieren, sind die burgenländischen Grantler längst nach Berlin verzogen. Dort schimpfen und polemisieren sie mindestens noch pointierter, als sie es schon auf den drei Vorgänger-Alben betrieben haben. Ja, Panik sind mittlerweile so vielschichtig, dass sie kaum mehr zu fassen sind.

Front-Dandy Andreas Spechtl war kürzlich bei der Echo-Verleihung zu sehen. Er saß neben Christiane Rösinger und sah aus wie ein Vampir, als er in die Kamera blickte. Es ist vielleicht das einzig zu gebrauchende Bild des Sängers: ein Mensch, der seine Umwelt anzieht und komplett aussaugt. "Wohin ich blicke / Sehe ich jemand / Der sich für jemand anderen zum Trottel macht" ist die erste Zeile von "DMD KIU LIDT", und nicht nur Spechtl weiß, dass dieses Spiel gespielt werden muss. Vor kurzem war die gesamte Band als Medizin-Studenten im "Tatort" zu Gast. Ja, Panik spielen "Das kleine Ich-bin-ich".

Es ist die Beziehung zur eigenen Identität, die sich die Band von Bob Dylan abgeschaut hat. Wo wird Fiktion zur Wahrheit, und wie wahrhaftig ist eine Lüge? Spechtl singt so arrogant wie Falco und verfällt immer dann ins Englische, wenn die Distanz zwischen Dichtung und Wahrheit ausgeweitet oder zumindest gewahrt werden muss. Im abschließenden Titelsong "DMD KIU LIDT" ist die Band nicht nur stilistisch ganz bei Bob Dylan. Spechtl singt 14 Minuten lang über das zum Scheitern verurteilte Leben, alles bricht aus ihm heraus, ein beklemmender Gedankenstrom, um am Ende zu singen: "Lass mich mein seltsames Lied jetzt zu Ende singen / Du kannst zuhören oder gehen [...] / Da kommen noch ein paar Strophen / An denen mir mehr als an allen anderen liegt." Es kommt nichts mehr.

Irritierend ist, dass die Musik von Ja, Panik auch an der Oberfläche funktioniert. Der scheppernde Gitarren-Pop mit eingängigen Melodien gefällt auch Menschen, die in Download-Börsen stetig nach dem nächsten Hit Ausschau halten - ein Clou. Denn tatsächlich sind mindestens "Trouble", "The horror" oder "Time is on my side" Popsongs, die auch noch hinter eindimensionalen American-Apparel-Sonnenbrillen strahlen können. Dass die Gitarre hier gespielt wird, als hätten Blixa Bargeld und John Cale mitgemacht, ist die Perfektion der Referentialität.

"DMD KIU LIDT" heißt angeblich "Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit", doch ist auch das nur ein weiteres Ablenkungsmanöver. Das Thema von Ja, Panik war nie Geld und auch nicht die Beziehung des Menschen dazu. Bei Ja, Panik geht es um Abhängigkeiten, um menschliche und materielle Hörigkeit. Selbstbestimmung ist der Schlüssel zur Freiheit. Im schönsten Stück der Platte, "Nevermind", singt Spechtl: "Vielleicht weil es Dich nur als den einen gibt / Hinter dem das Viele liegt / Bist Du fürchterlich verängstigt / Aber Stefan: Nevermind." Ironie, Reisen, Liebe - "DMD KIU LIDT" ist unerschöpflich. Kaum vorstellbar, dass da in nächster Zeit ein spannungsreicheres Stück Popmusik in deutscher Sprache kommen wird.

(Christian Preußer)

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Highlights

  • This ship ought to sink
  • Trouble
  • The horror
  • Nevermind
  • DMD KIU LIDT

Tracklist

  1. This ship ought to sink
  2. Trouble
  3. The horror
  4. Barbarie
  5. Run from the ones that say I love you
  6. Nevermind
  7. Surrender
  8. Bittersweet
  9. Grey & old
  10. Time is on my side
  11. Mr. Jones & Norma Desmond
  12. Modern life is war
  13. Suicide
  14. The evening sun
  15. DMD KIU LIDT

Gesamtspielzeit: 75:38 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Gordon Fraser

Postings: 2361

Registriert seit 14.06.2013

2021-11-24 10:36:31 Uhr
Eindeutig grandios, hat auch den Langzeittest locker bestanden. Entdecke da auch immer wieder noch neue Lieblinge.

fakeboy

Postings: 3719

Registriert seit 21.08.2019

2021-11-24 07:14:44 Uhr
Ich schwanke auch heute noch zwischen „grandios“ und „was für n prätentiöser Mist“, je nach Stimmungslage

saihttam

Postings: 2203

Registriert seit 15.06.2013

2021-11-24 00:35:26 Uhr
Meine eigentlich ursprünglich auch nicht. Konnte mit deutschem Gesang früher nicht so viel anfangen und mit diesem komischen Mischmasch noch weniger. Aber der Song hats mir dann doch angetan. Mag den Rest mittlerweile auch recht gerne.

VelvetCell

Postings: 5540

Registriert seit 14.06.2013

2021-11-23 23:41:02 Uhr
Würde meine ja verticken, wenn ich nicht zu faul wäre.
Nicht meine Musik.

saihttam

Postings: 2203

Registriert seit 15.06.2013

2021-11-23 23:31:35 Uhr
Allein für den Titeltrack müsste ich mir das Album jetzt eigentlich mal holen. Immer noch Wahnsinn!
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