Slag In Cullet - Splinter

Reel / Revolver / Cargo
VÖ: 25.02.2011
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

So Neunziger
Manchmal ist das sterbende Medium Fernsehen doch ganz nett, obwohl die Playlist nicht personalisierbar ist und die Interaktivität sich darauf beschränkt, von ProSieben auf 3Sat umzuschalten, wenn die Simpsons vorbei sind. Warum? Weil dort "Kulturzeit" läuft. Es sind nicht vorwiegend die Moderatorinnen, die so interessant sind (auch wenn das Plattentests.de-Forum anderes behaupten würde): Kultur, Politik, Kunst und Philosophie werden in handlichen vierzig Minuten abgehandelt, und es sind immer wieder Überraschungen möglich. Die vorgestellten Musiktipps sind nämlich erfreulich unkonventionell für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn der Drei-Länder-Proporz dafür sorgt, dass dem Publikum mit der Schweizer Band Slag In Cullet die Ohren wackeln dürfen, zahlt man gerne GEZ-Gebühren.
Schon mit seinem Debüt "Time to explode" hatte der Dreier aus Basel so manches Trommelfell mit, ähem, explosiven Grunge-Grooves erschüttert. Grunge? Ist das nicht noch gestriger als Fernsehen? Blödsinn! Denn Slag In Cullet vergeuden das durchgepauste Sounddesign von Nirvana und Soundgarden nicht, um damit weinerliche Langhaardackel zu geben. Weil auf "Splinter" auch Screamo und Metalcore ihre Spuren hinterlassen haben, blasen die Basler stattdessen mit donnernden Riffs und aufbrausenden Emotionen den Staub aus dem vorgestrigen Genre. Und entfachen dabei den einen oder anderen unvermuteten Orkan.
Das famose Titelstück demonstriert dann sogar, dass die Schweizer auch an ihrem Songwriting geschraubt haben. Unterschwellige Leidenschaften und ein Ein-Finger-Klavier zögern die fällige Explosion erst lange hinaus, dann überwältigt der Frust Andreas Rööslis Stimmbänder. Wie der in "That way" oder "If I had a heart" seine Desillusionierung herausbrüllt, erinnert ebenso an Jörg Schröder von Sun wie die in "Tasteless shade" mit Schwefelsäure behandelte Sentimentalität. Auch die mulmige Spannung, mit der sich die schwergewichtigen Grooves von Rafaela Dieu und David Burger mit zerfasertem Moll und Rööslis nöliger Aggression verbinden, erinnert an die unterschätzten Mönchengladbacher.
Auf "Splinter" jedoch bleibt keine Zeit für nostalgische Rückblenden. Die gerne von saftigen Breakdowns unterminierten Riffkaskaden haben einen unwiderstehlichen Vorwärtsdrang, der Ritalin-Junkies anfixt und Aufmerksamkeit gefangen nimmt. Unverschämten Nebenbei-Hörern brüllt es ein rabiates "Nice to meet you" ins Gesicht. Aufkommende Fluchtreflexe unterbindet das unbarmherzige "Run away" mit tonnenschwerer Melancholie, die sich über elastisch synkopierte Rhythmen schiebt und den Ausweg verbaut. Auch wenn der Fuß vom Verzerrer rutscht wie bei "These times" oder "Believe" sich im 6/8-Takt verzehrt, halten Slag In Cullet das Energielevel oben. Weil sich Röösli seiner Dämonen erwehrt, seine Narben leckt und überhaupt sein Seelenleben öffentlich verhandelt. Das ist zwar soooo Neunziger, aber trotzdem verdammt gut.
Highlights
- Tasteless shade
- These times
- Splinter
- Things that seem so plain
Tracklist
- That way
- Tasteless shade
- If I had a heart
- These times
- Splinter
- Nice to meet you
- The masochist
- Run away
- Believe
- Bruise
- Things that seem so plain
Gesamtspielzeit: 53:18 min.
Referenzen
Glass; Sun; Navel; GURD; Chevelle; Nirvana; Stone Temple Pilots; Pearl Jam; Mudhoney; Soundgarden; Silverchair; Bush; Foo Fighters; Trust Company; Incubus; Queens Of The Stone Age; Favez; Wilt; Kinesis; Serafin; Hundred Reasons; Shihad; Placebo; My Vitriol; Beatsteaks; Empty Trash; Union Youth; Jonas; Ampersand; Ken; Blackmail; Scumbucket; Harmful; Amplifier; Tool