Medications - Completely removed
Dischord / Al!ve
VÖ: 09.04.2010
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Häschen schlüpf
Dass Plattentests.de ein Album aus dem Hause Dischord Records beinahe verschlafen hätte, wäre vor knapp 20 Jahren sicherlich noch ein anständiger Aufreger gewesen. 2010 hingegen wird er von dem weitaus größeren überschattet, dass es nur eine einzige reguläre Album-Veröffentlichung des Washingtoner Labels gab, die man überhaupt hätte verschlafen können. Irgendetwas stimmt also nicht im amerikanischen Postcore-, Noise- und Math-Rock-Staat. Führte bereits die selbstverordnete Schlankheitskur einer Institution wie Touch And Go dazu, dass eine ganze Armada an hervorragenden und stilprägenden Bands zwar schnell neue Labels fand, nun aber größtenteils ohne deutschen Vertrieb dasteht, so lassen Dischord neben der Pflege des Backkatalogs mittlerweile lediglich die Ausnahme die neue Regel bestätigen. Die alten Hasen Medications sind da natürlich Grund genug.
Denn mit ihren Zweit- und Ex-Bands Smart Went Crazy, Faraquet und Beauty Pill waren und sind Devin Ocampo und Chad Molter die treuen Husaren der Washingtoner Szene und, eben, von Dischord Records. Nach der Demission von Schlagzeuger Andy Becker wurden für "Completely removed" nicht nur die Drums demokratisch aufgeteilt, sondern auch die wütenden Kanten merklich abgetragen. Geblieben sind die Gitarrenfiguren, die zwar in typischer Math-Rock-Manier zugleich fließen und beben, aber auch zu klareren Harmonien umgearbeitet werden. Eben dies macht "Completely removed" zur bandübergreifend freundlichsten Platte dieser beiden Ausnahmemusiker.
Gleich die Anfangsdublette "For WMF" und "Long day" spinnt sich in einen Kosmos ein, den Medications' vielleicht einzige Brüder im Geiste, Karate, vor Jahren schon einmal beschritten haben. Während Geoff Farina und seine Mitgleiter jedoch irgendwann so tiefenentspannt vor sich hin bluesten und jazzten, dass sie beinahe ihre eigene Auflösung verschusselt hätten, besteht bei "Completely removed" diese Gefahr zu keiner Sekunde. Die Soli sind nach wie vor aufgekratzt, werden aber nicht mehr derart giftig in die Songs gespuckt. Für die Texte gilt ähnliches. Ein trauerndes kleines Sahnestückchen wie "Brasil '07" hingegen darf inklusive Vibraphon und Trompeten auch einfach mal so vorantrippen, bis außer einem wunderschönen kleinen Song nichts davon übrigbleibt.
Eine Menge Soul und Beatmusik zieht in die Satz- und Duett-Gesänge von "Seasons", "Country air" und "Rising to sleep" ein, jeweils mit Spitzen und Tiefen durchsetzt sowie derart perfekt vorgetragen, dass sie nur von den nach wie vor krumm gedachten Arrangements befreit werden können. Und wenn die Gitarren dann doch einmal aufbegehren, so ergeben sie auf "Seasons" und "Kilometers and smiles" eher proggende und klassisch rockende Schichten, wie sie etwa auch Field Music zum schizophrenen Genregespräch veredeln. Der Unterschied: Ocampo und Molter waren stimmlich wie musikalisch im Grunde schon immer nahe dran am geschmäcklerischen Hochkult - jedoch stets zu wütend auf Gott und die Welt, um das ungebrochen zuzulassen. "Completely removed" befreit sich von dieser Wut und spielt dennoch einfach immer weiter. Es legt Potenzial frei, allerdings mit einem Fingerschnippen. Neue Regeln? Können alten Hasen halt nichts anhaben.
Highlights
- For WMF
- Long day
- Rising to sleep
- Brasil '07
- Home is where we are
Tracklist
- For WMF
- Long day
- Seasons
- We could be others
- Rising to sleep
- Brasil '07
- Kilometers and smiles
- Country air
- Home is where we are
- Postcards
- Tame on the prowl
Gesamtspielzeit: 39:51 min.
Referenzen
Faraquet; Beauty Pill; Smart Went Crazy; Yamon Yamon; Six Gallery; 31Knots; Q And Not U; Field Music; Fugazi; Les Savy Fav; So Many Dynamos; Minus The Bear; Maps & Atlases; Pele; Shudder To Think; Karate; The Got To Get Got; Minus The Bear; The Sea And Cake; The Dismemberment Plan; I Heart Hiroshima; North Of America; Cursive; Maritime; From Monument To Masses; The Mercury Program; Sterobate; Hurl; Taking Pictures; Built To Spill; Pinback; Engine Down; Art Of Fighting; The Van Pelt; The Lapse; Cap'n Jazz; Joan Of Arc; Dianogah; The American Analog Set; Early Day Miners; Monster Movie; Ride; Teenage Fanclub; Jullander; Delbo; Chavez; Jawbox; Juno; Castor; The Joy Circuit