The Great Bertholinis - Gradual unfolding of a conscious mind - part 3
Hazelwood Vinyl Plastics / Rough Trade
VÖ: 22.10.2010
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Ungern in Ungarn
The Great Bertholinis - eine ungarische Zirkusfamilie? Puszta-Kuchen! Natürlich ist der charmante Fake-Hintergrund um die acht fränkischen Musiker längst entlarvt. Sinn hatte und hat er jedoch, hilft er schließlich bis heute zuverlässig, die wahnwitzige Inkarnation einer Indie-Osteuropa-Folk-Brass-Band einzuordnen. Trotzdem bleibt es erstaunlich, was da alles herbeigeschleppt wurde, um die Band zu charakterisieren: Bayern und Balkan, Polka und Pop, die ganze Referenz-Bandbreite von Tom Waits und Beirut über Django Reinhardt und Kurt Weill bis hin zu den Beatles - und alle hatten sie irgendwie Recht. Beziehungsweise haben, denn erst mit "Gradual unfolding of a conscious mind - part 3" füllt die Band das große Klangkostüm wirklich aus, das ihr von Presse und Fans geschneidert wurde.
Nicht nur, dass das Oktett mittlerweile den Klassenbesten in Sachen bläsergestützter, Folk-infizierter Indie wie Kaizers Orchestra oder Calexico auf Augenhöhe begegnet. Irgendwie gelingen inzwischen auch die unmöglichsten Konstellationen, ohne dass ein einziges der reich instrumentierten Prunkstücke auch nur um einen Glockenspielschlag überladen klänge. "Puzzle with a million thoughts" streift im Walzertakt den leichtfüßigen Pop-Entwurf, um im nächsten Moment Gypsy-Seele und Sinatra-Showtunes auf einer Bühne zu versammeln. Oder "I am can", das schon fast bösartig ambivalent zwischen Beck'schem Antifolk und düster-süßem Indierock balanciert. Ständig wartet man dabei auf die ganz Großen, darauf, dass die psychisch gefährlich instabilen Geigen und Posaunen des Karnivals-Indie von "The things I gave" von Tom Waits zerkrächzt werden, bevor dann die beatleske Versöhnung einsetzt, oder endlich Amanda Palmer von den Dresden Dolls die Cabaret-Seele in der garstigen Balkan-Melancholie von "Zucker Serenade" sichtbar machen möge.
Unmöglich, all die kleinen Details und Wendungen innerhalb der Songs aufzulisten. Im Gegensatz zu dem stärker vom Folk geprägten Vorgänger "Planting a tree next to a book" fällt bei diesem dritten Album neben all der überbordenden folkloristischen Staffage der deutliche Neigung zu weitschweifigem Pop auf, und auch die latente Nähe zu englischem Indierock in Songs wie "Resetera" stört nicht. Selbst eine aufgeweckte Nummer wie "Lucky pinto" zwischen Ska und Folk fügt sich nahtlos in den Rahmen des Albums ein. So selbstverständlich, wie Great Bertholinis das schaffen, muss man erst einmal fließend von rotweinschwerer Walzer-Traurigkeit zu schwelgerischem Pop weiter zu aufbrausenden Orchester-Gewittern und zurück zu introvertierter Akustik wechseln.
Genau jene Abfolge gibt es zu Beginn im Meisterstück "Run to hide" vollständig zu hören. Da ist man dann richtiggehend froh, wenn einem das spröde "Bright days" in Intro und Outro aufgeteilt die nötige Zeit gewährt, um den Übergang zwischen Alltag und "Gradual unfolding of a conscious mind - part 3" zu erleichtern. Spätestens derjenige, der die kleinen Mellotron- und sonstigen elektrischen Verzierungen der Songs entdeckt, muss begeistert sein von so viel Qualität bei gleichzeitig großer Bandbreite. Zu der dann auch noch zählt, dass die beiden Sänger Todor und Ozkár von Falsett bis Croonen eine gute Figur machen. Die üppige Ausstattung könnte einen auf die Idee bringen, The Great Bertholinis würden hier mit Gulaschkanonen auf Spatzen schießen. Dabei bieten diese Pseudo-Schausteller einfach nur, womit man hätte rechnen müssen: große Kunst.
Highlights
- Run to hide
- String puppets and bees
Tracklist
- Bright days (Intro)
- Run to hide
- I am can
- The things I gave
- Puzzle with a million thoughts
- Who do you trust
- Lucky pinto
- String puppets and bees
- Resetera
- Zucker serenade
- Lost the key
- Bright days
Gesamtspielzeit: 42:59 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
carsten* |
2010-10-29 12:21:12 Uhr
Tolle Review, tolles Album und live noch viel toller:02.11.10 DE – Dresden, Societätstheater 04.11.10 DE – Leipzig, Moritzbastei 13.11.10 DE – Coburg, Sonderbar 19.11.10 DE – Babensham, Club Leonhard 25.11.10 AT – Graz, Autumn Leaves Festival 26.11.10 AT – Innsbruck, Treibhaus 04.12.10 DE – Köln, Sonic Ballroom 09.12.10 DE – Nürnberg, K4 Festsaal 11.12.10 DE – Gießen, Ulenspiegel 16.12.10 DE – Magdeburg, Moritzhof 17.12.10 DE – Braunschweig, Nexus 15.01.11 DE – Marburg, KFZ 11.02.11 DE – Frankfurt, Brotfabrik 18.02.11 DE – Fulda, Kulturkeller 29.03.11 DE – Hannover, Café Glocksee 30.03.11 DE – Hamburg, Hafenklang 31.03.11 DE – Krefeld, Kulturrampe 01.04.11 DE – Bielefeld, Falkendom 10.06.11 DE – Beverungen, Orange Blossom Special |
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Referenzen
Kaizers Orchestra; Calexico; Tom Waits; Beirut; Botanica; Kocani Orkestar; Boban Markovic Orkestar; Devandra Banhart; The Dresden Dolls; Geoff Berner; Mardi Gras.bb; Gogol Bordello; Modest Mouse; Tortuga Bar; O'Death; Man Man; A Hawk And A Hacksaw; Andrew Bird; Matt Elliott; Friska Viljor; Eläkeläiset; Leningrad Cowboys; Mambo Kurt; 16 Horsepower; Woven Hand; Friends Of Dean Martinez; Firewater; Element Of Crime; Poems For Laila; Elliott Smith; The Decemberists; Get Well Soon; The Broken Beats; The Notwist; The Shins; The Pogues; LaBrassBanda
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