Philip Selway - Familial

Cooperative / Universal
VÖ: 27.08.2010
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Nicht lustig
Witz komm' raus, das Becken klingelt! Wenn Drummer eines Bandkollektivs plötzlich zu dem Schluss kommen, auf eigenen Beinen stehen zu wollen, erwartet der gemeine Leser von der Musikkritik bestimmte Reflexe zur Befriedigung aller Spaßbedürfnisse. Mindestens mehrmals sollte Ringo Starr genannt werden, um den karnevalistischen Tusch perfekt zu machen. Wer es ganz geschickt anstellt, wird in seinem Satzbaukasten auch noch Phil Collins unterbringen können. Wer also möchte sich an Radiohead-Drummer Philip Selway vergreifen? Hier jedenfalls wird nichts dergleichen getan, denn wenn ein begnadeter, gleichwohl bescheidener Akteur wie Selway in eigenem Namen zu handeln gedenkt, dann steckt dahinter eine gewisse Überlegtheit.
Dafür sprechen auch die Gäste, die außerordentlich gut ins bedächtige und minimalistische Konzept passen, das Selway für die zehn Songs seines ersten Soloalbums "Familial" gestrickt hat. Zum einen wäre da die leider zu sehr in den Underground gedrängte Lisa Germano, der mehr Medienrummel zu wünschen wäre. Gewichtiger aber ist auf „Familial“ die Rolle von Glenn Kotche (Wilco), einem ebenso klugen Drummer und Percussionisten wie Selway, der aber auch als Arrangeur zu brillieren weiß und mehr noch als Selway Avantgarde und Jazz zu seinem Tagewerk zählen kann. Zwei Künstler also, die sich vor allem als Leisetreter verdient gemacht haben und Selway in dieser überlegten Zurückhaltung unterstützen.
"Don't look down", der längste Tracks dieses an sich kurzen Albums, vereint alle Stärken der beteiligten Musiker. Selways hübscher Gesang kommt hier wie in jedem Stück des Albums einem Wispern gleich. Akribie und Freispiel stolpern nicht über-, sondern binden sich fest aneinander: Ein losgelassenes, nicht aber überforderndes oder gar störendes, vielmehr zart angeschlagenes Piano, die feste Akkordfolge der akustischen Gitarre und ein anhaltendes, Tiefe verleihendes Keyboard-Dröhnen bilden mit Germanos fast experimentellen Backgroundgesangsübungen ein lückenloses, einnehmendes Konstrukt. Präzision und spärlich instruierte, an Melodiösität gebundene Improvisation - "Familial" besticht vor allen Dingen dann in Schönheit, wenn diese beiden Parteien sich die Waage halten.
Mit dem an Nick Drake und dem Soloschaffen von Archer Prewitt orientierten "Familial" schafft Selway einen äußerst gelungenen Einstand im Bereich der Solokünstler. Selten zwickt und zwackt es, etwa wenn "A simple life" und "All eyes on you" zu ausgefranst erscheinen und wegen überbordendem Liebreiz nicht zum Endpunkt kommen wollen. Songs wie "The ties that bind us" oder "Falling", die mit dem gleichzeitigen Spiel von mehreren Elementen den Spannungsbogen aufrechterhalten, verweisen die Schwachpunkte aber in die Ecke der nötigen Spielübungen. "Familial" ist letztlich ein zu hübsches und zu gut ausgearbeitetes Kleinod, um die Zeit für traditionell grenzwertige Drummer-Witze zu verschwenden. Ringo Starr und Phil Collins würden dem wohl zustimmen.
Highlights
- The ties that bind us
- Falling
- Don't look down
Tracklist
- By some miracle
- Beyond reason
- A simple life
- All eyes on you
- The ties that bind us
- Patron saint
- Falling
- Broken promises
- Don't look down
- The witching hour
Gesamtspielzeit: 32:07 min.
Referenzen
Archer Prewitt; Mojave 3; Neil Halstead; East River Pipe; Nick Drake; Sun Kil Moon; Elliott Smith; Sodastream; Tindersticks; Pajo; Papa M; Edith Frost; Smog; Lou Barlow; Wilco; The Kingsbury Manx; Adem; Ola Podrida; Tunng; The Acorn; Nina Nastasia; Adrian Crowley; Mia Doi Todd; Idaho; Jason Molina; Shearwater; Horse Feathers; Iron & Wine; Low; Califone; Radiohead; Laura Veirs; Winterpills
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