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Nils Koppruch - Caruso

Nils Koppruch- Caruso

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 13.08.2010

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

König der Fischer

Es war kein Spaß. Als Nils Koppruch nach dem Ende der wunderbaren Fink "Den Teufel tun" veröffentlichte, stand die Luft vor Hitze, und Dreck lähmte die Empfindungen. Wo Fink am Wasser gebaut hatten (oder wenigstens in der Nähe von Hafenbecken und Flussläufen), stand Koppruch allein auf dem Festland. Seine Lieder gaben sich ausgesprochen naturalistisch. Wald, Wüste, Einöde. Reichlich unerfüllte Sehnsucht steckte in der Lyrik, und nur manchmal rappelte sich eine kreischende Gitarre auf. Doch Koppruch hat das Vertrauen zur Zivilisation wiedergefunden. Der Zweitling wagt mehr Dur, mehr Groove, mehr Mehr. Diese Musik ist entschieden süffiger, und nicht nur der Vorabvideosingle "Kirschen (Wenn der Sommer kommt)" scheint die Sonne aus dem Sitzfleisch.

Mit "Caruso" gelingt Koppruch die Versöhnung des wuppigen Indie-Pops von "Haiku Ambulanz" mit dem von Fink letztmalig auf "Fink" zelebrierten Dunkelfolk. Die gekonnt verrätselte Poesie ist längst Markenzeichen, aber auch musikalisch koppelt Koppruch wieder beim Werk seiner ehemaligen Kollegen an. Er folgt der Idee, die seine Ex-Band so unverzichtbar gemacht hatte: Ausgerechnet durch Bezüge auf amerikanische Überlieferungen verschafft er diesem künstlerisch enttraditionalisierten Land eine neue, eigenständige Volksmusik. Man könnte Germanicana dazu sagen, wenn das Wort nicht einen widerlichen Beigeschmack hätte. Und ohnehin hatte sich Koppruch auf "Den Teufel tun" mit dem störrischen "Heimweh" klar in Sachen Vaterlandsverachtung positioniert.

"Caruso" trennt nicht mehr, es hat den Ausgleich im Sinn. Doch der ist nicht so leicht zu haben, und schon das eröffnende Saitenschrubben von "Armer Junge weint, armes Mädchen auch" sorgt für spröde Melancholie. Koppruchs Barmen gemahnt an Dave Eugene Edwards oder gar an den großen Bob. Jenseitige Geigen und knöcherne Perkussion spuken durch diesen Opener, und im Refrain wippt die Apokalypse. Dass Koppruch bei aller Finsternis die Ironie nicht vergessen hat, zeigt sich jedoch schon im Titelstück. Der Künstler türmt Katastrophen aus dem Leben eines tourenden Künstlers aufeinander und schlussfolgert, dass sich Namenspate Caruso wegen solcher Umstände aufgehängt hätte. Gospelnde Backinggesänge und ein tirilierendes Klavier spendieren dem trockenen Groove eine leckere Spritzigkeit. Warum Helge Schneider seine Mitwirkung an dieser Großtat mit dem Verweis ablehnte, das Lied sei "zu traurig", verwundert. Von solcher Skepsis ungerührt lässt Koppruch auf das Couplet "Du kannst das Tier zum Brunnen bringen / Du kannst es nicht zu Trinken zwingen" eine Beschwerde über mieses Catering folgen.

Zwar kann Koppruch bei weitem nicht so gut singen wie Enrico Caruso, wie der trällernde Namensgeber ist "Caruso" aber eine überaus runde Sache. Auf einen streicherseligen Schlussstrich wie "Wort im Wasser" folgt das tänzelnde "Die Aussicht", in dem die Pedalsteel seufzt, die Mundharmonika zwitschert und Koppruchs Kumpel Gisbert zu Knyphausen die Zweitstimme gibt. Er selbst schwelgt zu Wunschvorstellungen und bleibt doch ganz Realist: "Der Vogel singt nur, bis Du nach ihm greifst." Die Abschiedsbekundung "Hamburger Berg" bringt die Platte mit ganz unsentimentalen Bekenntnissen nach Hause. Das abschließende "Stadt in Angst" zitiert einen Filmklassiker mit Spencer Tracy, doch statt um verblendeten Rassenhass geht es um den schlichten Wunsch nach Geborgenheit. "Mein Herz wird weich / Armer Junge weint." Was kein Grund fürs Mitjammern ist: Das Prinzip Hoffnung hat sich gefälligst durchzusetzen, das Gute siegt immer - wenigstens perspektivisch. Es sind diese versöhnten Gegensätzlichkeiten, die den Reiz von "Caruso" ausmachen: Wohl und Wehe. Luft und Liebe. Country & Western und Rhythm & Blues.

In "Verrückte Liebe" sorgen gut geölte Bläser für schlüpfriges Mardi-Gras-Gefühl, und für "Weil's möglich ist" kommt Koppruchs Schnodderschnauze zu lässigen Beats und knarrenden Gitarrenresten in Bestform. Im entzückenden "Wissen musst du es doch" weht dann wieder wie ein wehmütiges Gitarren-Lüftchen um das Lagerfeuer, weil ein Brief doch bitte niemals ankommen möge und Koppruch dazu philosophisch wird: "Kein einziges Wort kennt die Wahrheit / Und kein einziger Satz, den ich schrieb / Erklärt, was die Worte nicht sagen / Kein einziges Wort reicht so weit." Dann klirren für das abgründige "Vergessen, was ich wusste" Banjo und Dobro um die Wette. Auch im Verlieren ist der Sieger jedes Mal Koppruch. Der hatte schließlich für dieses Album einiges auf sich genommen: Er ging tausend Meilen, aß die Suppe mit der Gabel, wurde vom Teufel verfolgt, sang im unnachlässigen Regen, ließ sich tätowieren, vergaß prompt, wer die Tätowierte war, und dann nahm man ihm gemeinerweise auch noch den Teller weg. "Es ist gar nicht zu beschreiben / Ist ein furchtbar altes Leiden / Typhus, Masern, Pocken, Husten, Pest." Doch nicht mal der wuchernde Bart kann Koppruchs Grinsen darüber verdecken: "Ich bin verrückt vor Liebe, und seitdem zieh ich in Betracht / Dass im Tal des Todes am Jüngsten Tag die Sonne lacht." Das Wort mit den fünf Buchstaben. Ausgerechnet.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • Caruso
  • Die Aussicht
  • Weil's möglich ist
  • Vergessen, was ich wusste
  • Stadt in Angst

Tracklist

  1. Armer Junge weint, armes Mädchen auch
  2. Caruso
  3. Kirschen (Wenn der Sommer kommt)
  4. Wort im Wasser
  5. Die Aussicht
  6. Verrückte Liebe
  7. Hamburger Berg
  8. Wien 91/5
  9. Weil's möglich ist
  10. Wissen musst du es doch
  11. Vergessen was ich wusste
  12. Stadt in Angst

Gesamtspielzeit: 43:21 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Martin Armbrecher
2011-03-17 19:14:42 Uhr
Wundert mich auch. Den Gisbert kulten alle ab und der Nils bekommt nichts ab vom Glamor, obwohl er sich so ins Fahrwasser hängt.
Bonanza
2011-03-16 15:04:14 Uhr
Wirklich großartige Platte. Komisch, dass das hier niemanden interessiert.
caruso
2010-08-25 17:28:46 Uhr
Tolle Platte, leider Scheißlabel
Denniso
2010-08-16 14:34:45 Uhr
Tolles Album!
Lässt das in der Länge eher schwache Solodebüt vergessen.
Nils zurück in Fink-Form, großartig!
Mein Highlight ist "Verrückte Liebe".
naur
2010-07-23 13:38:45 Uhr
Erscheint am 13.08. und ein Video gibts auch schon: http://www.youtube.com/watch?v=VC8OR5okTTo.

Trackliste:
1. Armer Junge weint, armes Mädchen auch
2. Caruso
3. Kirschen (Wenn der Sommer kommt)
4. Wort im Wasser
5. Die Aussicht
6. Verrückte Liebe
7. Hamburger Berg
8. Wien 91/5
9. Weil’s möglich ist
10. Wissen musst du es doch
11. Vergessen was ich wusste
12. Stadt in Angst

Endlich wieder was neues vom Fink-Sänger. :)
Achja, Gisbert zu Knyphausen ist auch mit dabei, zumindest bei einem Song.
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