Rowland S. Howard - Pop crimes
Infectious / PIAS / Rough Trade
VÖ: 28.05.2010
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Der Inorzist
Seine derart von sich selbst entwurzelte Seele, gemeinhin auch Soul genannt, machte Rowland S. Howards Musik schon immer so schwierig. Nach dem Punkfeuer von The Birthday Party Anfang der Achtziger Jahre kannte er kaum ein überbordendes Element. Die Ruhe, die insbesondere bei den genialen These Immortal Souls durch die dennoch beständig kreischenden und jammernden Gitarren floss, entpuppte sich als echtes Monstrum. Ein Monstrum, das sich weder im Exzess noch im Gehorsam zügeln ließ. Das seine Anwesenheit ganz real machte. Einfach da war. Damit ließ und lässt sich ungleich schwerer klarkommen als mit der vergeistigten Version einer eigentlich sehr ähnlich heimgesuchten und besessenen Musik, die sich Nick Cave mit seinen Bad Seeds erarbeitete. Und das trifft auf den Hörer mutmaßlich ebenso zu wie auf Howard selbst.
Während Cave seine Dämonen bei The Birthday Party und in der Frühzeit der Bad Seeds beständig anschrie, auslachte oder sonstwie aus sich herausfeuerte, um sie schließlich bis zur Unkenntlichkeit zu sublimieren (Pop nennt man das wohl), schaute ihnen Howard in aller Ruhe dabei zu, wie sie lauerten, ihn anstarrten und in dieser nahezu schweigsamen Existenz zu Wegbegleitern wurden. Weil dieser innere Druck niemals aufhörte, bohrte sich seine Musik über die Jahrzehnte in einen Gleichstrom hinein, der keinerlei Entwicklung notwendig machte. Deshalb klingt auch "Pop crimes" unverwechselbar nach Howard, nach den Achtzigern - und nach wie vor besonders und beeindruckend.
Als hätten sich Sergio Leones "Nobody" und die strohig-zottelige Vogelscheuche aus "Sexy Beast" zu einem weiteren auktorialen MacGuffin gekreuzt, spielt sich "Pop crimes" durch Blues, Western, Mariachi, Goth, Punk und weiteren Tod und Teufel. Die Tiefe in Howards Stimme und Musik wirkt dabei nie prätentiös. Hier ist so viel Dylan zugegen wie Cash, Pop und natürlich Cave - dort zeigen die zugleich schlierenden und kratzenden Gitarrenfiguren nicht einen Hauch von Eskapismus. Howard bricht Mick Harveys mit staubigen Cowboy-Stiefeln stampfende, leicht industrielle Blues-Rhythmen niemals auf, sucht keine Fluchtwege oder Aufstände. Stattdessen spielen Gitarre und Stimme immer an den Grenzen zur Über- oder Unterschreitung, erfüllen die Hoffnung jedoch nie. Sie ziehen gemeinsam nach unten, unterstützen sich im gegenseitigen Taumel. Man mag beinahe meinen, auch sie blickten eher stumm und abgründig, als dass sie wirklich erklingen.
Nach diesem Medusablick passen die beiden hervorragenden Coverversionen von Talk Talks "Life's what you make it" und Townes Van Zandts "Nothin'" sehr selbstverständlich auf dieses Album. Sie fügen sich, geben einfach klein bei. Auch die Glockenspiele von "Shut me down" und Jonnine Standish als Gastsängerin auf "(I know) A girl called Jonny" klingen zunächst wie süße Fliegenfänger - bis der Hörer mitbekommt, dass tief drinnen in Howards Verzweiflung ohnehin stets die melodischen Erlösungen und harmonischen Hoffnungen wohnen. Allerdings hausen sie hier auch und werden eins mit den Dämonen. Hier gibt es nichts Ab- oder Hintergründiges, das nicht bereits die Oberfläche durcheinander brächte. Derart einfach gestrickt und erklärbar war Howards Musik jedenfalls noch nie.
Denn sobald er Stimme und Gitarre erhebt, wird alles in den Blick dieser Dämonen gezogen und verbleibt starr und stumm, wagt kaum einen Wimpernschlag - inklusive des Hörers, dessen Seele zu einem weiteren Gast im Geisterkabinett wird. Inklusive Howard selbst: Kurz nach der Produktion von "Pop crimes" hauchte die Seele des australischen Bluespunk nach schwerer Krankheit sein Leben aus. Reihte sich ein in die Riege der Dämonen, die seine Musik schon immer bevölkerten, und deren Blicke er auszuhalten wusste. Vielleicht blickt er nun ebenso wie diese aus den Schatten heraus. Und wird zum wahren Wegbegleiter. Kein pars pro toto mehr. Sondern eine volle Existenz.
Highlights
- (I know) A girl called Jonny
- Life's what you make it
- Pop crimes
- The golden age of bloodshed
Tracklist
- (I know) A girl called Jonny
- Shut me down
- Life's what you make it
- Pop crimes
- Nothin'
- Wayward man
- Ave Maria
- The golden age of bloodshed
Gesamtspielzeit: 38:26 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Big Sexy Noise |
2013-12-12 22:00:29 Uhr
Seine Soloalben sind einfach großartig, gerade "Pop Crimes" (an dem auch Mick Harvey mitwirkte) ist eine Perle. Leider ist er viel zu früh gestorben, er, der eigentlich fast die ganze Musik der Birthday Party geschrieben hat. |
Beirut____*79 |
2010-07-29 22:51:47 Uhr
Die ersten Auszüge aus der Dokumentation über sein Leben.http://www.youtube.com/watch?v=onay3kOadoI&feature=player_embedded |
sugar ray robinson |
2010-01-07 18:49:29 Uhr
Und noch eine vergessene 2009er Perle. Wahnsinnsstimme! Leider erst jetzt im Zuge der Meldungen über seinen Tod bemerkt und für toll befunden. Allen voran "Wayward man" ist unglaublich. Für Freunde von älterem Nick Cave Material. Mick Harvey (Ex-Bad Seed) hat Schlagzeug gespielt.Leider in D bislang unveröffentlicht. |
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Referenzen
These Immortal Souls; The Brithday Party; Boys Next Door; Crime & The City Solution; Nick Cave & The Bad Seeds; Grinderman; 16 Horsepower; Woven Hand; Tindersticks; Dirtmusic; The Drones; Mick Harvey; Die Haut; Lydia Lunch; Siouxsie And The Banshees; Epic Soundtracks; The Fall; The Doors; Beasts Of Bourbon; The Black Heart Procession; Dirty Three; Matt Elliott; The Cruel Sea; The Cramps; Magazine; Bauhaus; Suicide; Joy Division; The Psychedelic Furs; The Jesus And Mary Chain; My Bloody Valentine; The Velvet Underground; Pere Ubu; The Stooges; Iggy Pop; Leonard Cohen; Johnny Cash; Bob Dylan
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