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Jamie Lidell - Compass

Jamie Lidell- Compass

Warp / Rough Trade
VÖ: 14.05.2010

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Das Richtfest

Twitter, Facebook und Co. wissen Bescheid: Auf den Status kommt es an. Manchmal ist man hoch oben, manchmal eher unten, und auch zur eigenen Mittelmäßigkeit darf man öffentlich stehen. Man sollte es nur 24/7 der ganzen Welt mitteilen. Auch wenn es niemanden interessiert, wartet es nur darauf, gefunden zu werden. Das gilt natürlich längst auch für die Musik der Generation ADHS. Wenn sich Künstler wie Jamie Lidell auf Alben wie "Multiply" und "Jim" beherzt zwischen alle Stühle werfen, hat das nichts mit Unentschlossenheit zu tun. Übervolle Gehirne müssen solche Klänge zusammenpuzzeln, sonst platzt irgendetwas, das wir uns nicht einmal vorstellen wollen.

Das Vorstellungsvermögen ist wegen "Compass" ohnehin ein Weilchen schwer beschäftigt. Zuckende Harmonietrümmer geraten unter glitschige Sounds, die Grooves haben komplizierte Frakturen, und der Sänger kämpft sich durch so ziemlich alle Genres angelsächsischer Populärmusik der letzten fünfundvierzig Jahre. Das Feinwerkzeug muss hier länger im Einsatz gewesen sein. Ruheloses Durcheinander müht sich unzureichend, die berühmten Vorlagen zu verstecken. Der Soul 2.0 des wankelmütigen Briten setzt auf verwischte Traditionslinien, die von Prince und George Clinton über Stevie Wonder und die Jacksons bis hin zu Sly Stone und James Brown führen. Und doch entpuppt sich die Rückwärtsrichtung als Weg nach morgen.

Mit technoiden Werkzeugen tut Lidell Funk und Soul das an, was Beck Hansen einst mit den Mitteln des HipHop aus dem unschuldigen Folk machte: in die Luft sprengen und Tanzbeine machen. Es war sicherlich nicht Lidells schlechteste Idee, sich von eben diesem Beck in den Record Club einladen zu lassen. Mit reichlich seltsamen Ideen ging es von dort ab in die berühmten Ocean Way Studios in Los Angeles, wo Lidell spontan mit den Köpfen von Leuten wie Quincy Jones' Drummer James Gadson, Wilcos Pat Sansone, Soulröhre Nikka Costa und Grizzly Bears Chris Taylor zusammenstoßen konnte. Die Sonne Kaliforniens verschaffte "Compass" einen Sound, dem alle unnötige Flüssigkeit weg gebrannt wurde. Trocken wie ein Furz in der Wüste.

Das ist besonders deswegen erstaunlich, weil Nervosität und Unruhe das Album vom ersten Track im Griff haben. Massiver Bewegungsdrang sollte doch unweigerlich zu Blut, Schweiß und Tränen führen. Stattdessen quetscht Lidell aus seinen Stimmbänder bizarre Schmachtfetzen wie "Completely exposed" und "Your sweet boom", die vor ideosynkratischer Kraft kaum laufen können. Das umfassende Gepuzzel entwickelt eine faszinierende Logik: Stimmverfremdungen, blank pollierte Bläser, fiepsende Achtziger-Keyboards, Human Beatboxing und noisige Gitarren-Breaks sollen Fremdkörper sein, nehmen aber natürliche Positionen ein. Immer noch mehr scharfkantige Grooves und knarzende Sounds schwirren herein und gleich wieder ab. Ständig ändern die durchlässigen Arrangements ihren Charakter. Schwächeren Songs könnte dieses Verwirrspiel durchaus den Garaus machen, aber Lidell zuckt nur kurz mit den Schulterpolstern. Die kraftmeiernde Single "The ring", das bizarr flackernde "I wanna be your telefone", die lärmige Bluesexplosion "You are waking" oder der brüllende Hüftwackler "Coma chameleon" zeigen, wo der Hammer hängt. Und über allem thront das fabulöse Titelstück, das in epischen fünfeinhalb Minuten von zerbrechlicher Schönheit zu Polyrhythmen und Chromatik reist und wieder zurück findet. Dieser "Compass" kennt nicht bloß eine Richtung. Er findet überall hin.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • Completely exposed
  • I wanna be your telephone
  • You are waking
  • Compass

Tracklist

  1. Completely exposed
  2. Your sweet boom
  3. She needs me
  4. I wanna be your telephone
  5. Enough's enough
  6. The ring
  7. You are waking
  8. I can love again
  9. It's a kiss
  10. Compass
  11. Gypsy blood
  12. Coma chameleon
  13. Big drift
  14. You see my light

Gesamtspielzeit: 50:22 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Bongo Bong
2012-05-02 14:51:50 Uhr
Kaum zu glauben, daß der Typ n Weißer ist!
isibisi
2011-02-09 23:43:20 Uhr
@IFart: Kannst du mal damit aufhören dein Gefallen an James Blake zwanghaft rechtfertigen zu müssen? Interessiert wahrscheinlich die meisten hier 'nen Dreck, ob und warum du das Album gut findest. Ich für meinen Teil kann mir eine eigenen Meinung bilden und brauche dein überflüssiges Geschwätz nicht - und ich bin mir sicher, dass es den meisten genauso ergeht.
www.mymüsli.de
2011-02-09 21:11:40 Uhr
@ifart
wohl äpfel mit birnen verwechselt?!

2011-02-09 20:38:38 Uhr

Ist nur allzu deutlich, daß er mit Compass auf den "InRainbowsZug" aufspringen wollte.

?? noch ganz knusper?
IFart
2011-02-09 19:51:02 Uhr
Ich hab nichts gegen Jamie Lidell.
Ist nur allzu deutlich, daß er mit Compass auf den "InRainbowsZug" aufspringen wollte.

Die Ähnlichkeit hat für mich schon fast wofür ich mich fremdschämen möchte.

James Blake dagegen, kreierte eine für mich total neue, und schwer zuzuordnende Stilrichtung die fasziniert.
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