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Broken Social Scene - Forgiveness rock record

Broken Social Scene- Forgiveness rock record

Arts & Crafts / City Slang / Cooperative / Universal
VÖ: 30.04.2010

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Volkszählung

Es sah fast so aus, als hätten Broken Social Scene die nächste Daseinsebene erreicht. Statt weiter gemeinsam Musik zu erbasteln, verlegten sich die Mitglieder der ausufernden Kollektivs auf Alleingänge. Broken Social Scene presents: Wu-Tang Clan goes Indierock. Zum Glück haben die Kanadier sonst wenig mit den überlebten Kung-Fu-Hoppern gemeinsam. Denn Auflösungserscheinungen sind auf "Forgiveness rock record" maximal Stilmittel. Statt Sampleschichten türmen sich Gitarren, Bläser, Streicher und Keyboards auf, um fröhlich im Boxenwind zu wackeln. So begeistert das spätestens seit "You forgot it in people", jenem Überalbum der Band, das in keiner prominenten Bestenliste des Nuller-Jahrzehnts fehlen durfte. Und von Plattentests.de trotzdem vergessen wurde.

"Forgiveness rock record" knüpft jedoch viel eher am dezent entgrateten Wall-Of-Sound von "Broken Social Scene" an. Das Nichts-ist-so-wie-es-scheint ist prägendes Prinzip. Was wie Blümchentapete aussieht, ist kunstvoll bemalte Raufaser. Und was wie Adult-Oriented-Rock wirkt, ist polierte Überforderung. Vom schillernden Jazzpop der Siebziger haben sich die Kanadier ein paar radiokompatible Stilmittel geborgt und damit ihren Taumelrock gepimpt. Und auch diverse andere Jahrzehnte sind edle Spender: Käsige Alleinunterhalter-Orgeln und fettes Blechgebläse gehören ebenso zur Aussteuer wie stoische Krautrockgrooves, Frickeljazz, Grungelärm und ätherischer Kitsch. Auch der Zehner-Jahrgang gibt sich nicht mit dem naheliegenden Wohlklang zufrieden. Stattdessen vernäht die heiße Nadel alles, was nun gerade nicht zusammenpasst. Indierock 2010 geht nämlich so: sorgfältig konstruierter Exzess. Spontaneität war vorgestern.

Wenn im Opener "World sick" die Saitentöne zärtelnd umeinander hallen und vom großen Weichzeichner geknuddelt werden, brodelt der Gitarrenlärm knapp unterhalb der Oberfläche. In "Chase scene" flitzt ein schepperndes Umzumz los, dem Schicht um Schicht aus Analog-Elektronik, Streicherdrama und Chor hinterher laufen. Dreieinhalb Minuten lang kommt immer mehr Verstärkung dazu, und dann bläst der Song einfach sein Leben aus, um dem munteren Hüpfen von "Texico bitches" Platz zu machen. Die ersten drei Songs reichen, und der Hörer weiß wieder, dass Broken Social Scene die Bühne gerne mit bis zu neunzehn verschiedenen Musikern zustellen. Dass Amy Millan, Leslie Feist und Emily Haines mit "Sentimental X's" gerade mal einen Song und dann auch noch gemeinsam verzaubern, ist fast schon Verschwendung. Die Hälfte von Do Make Say Think ist dabei, um mit Lisa Lobsinger zu flirten, die Weakerthans, Tortoise und The Sea And Cake entsenden Delegationen, und überhaupt macht halb Ontario mit. Bei jedem Stück Strichliste zu führen, könnte sich als großer Spaß erweisen.

John McEntires ausgetüftelte Produktion sorgt für geschmackvolle Hörarbeit. Die vierzehn Songs von "Forgiveness rock record" kommen mal in kurzen Zweinullfünf zur Sache, mäandern aber auch mal nicht ganz sieben Minuten vor sich hin. Sogar die kurzen Stücke kosten Epik. Dass der Zuhörer sich dabei auch mal kräftig wundern darf, ist Ehrensache. Die Vorab-Doppel-A-Seiten-Single "Forced to love"/"All in all" verbindet flott gedudelte Gitarrensoli an Indielärm auf der einen und fluffigen Nicht-House mit Schreddergitarren auf der anderen Seite. "Highway slipper jam" klebt einen Jodler vor den vielschichtigen Einschläfer-Rhythmus. "Ungrateful little father" lässt die Gitarren klirren und stottern, als hätte die Platte einen Sprung, und trotzdem entpuppt sich das Katzenfuß-Klavier plötzlich als hübsche Melodie. "Water in hell" kreuzt Dinosaur Jr. mit T. Rex und ist damit beinahe der schlichteste Song des Albums. Am Ende steht dann nur noch das egoistische Liebeslied "Me and my hand" zwischen dem Papiertaschentuch und einer unvermuteten Einsicht: BSS ain't nuthing ta fuck wit.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • World sick
  • Chase scene
  • Art house director
  • Meet me in the basement
  • Sentimental X's

Tracklist

  1. World sick
  2. Chase scene
  3. Texico bitches
  4. Forced to love
  5. All to all
  6. Art house director
  7. Highway slipper jam
  8. Ungrateful little father
  9. Meet me in the basement
  10. Sentimental X's
  11. Sweetest kill
  12. Romance to the grave
  13. Water in hell
  14. Me and my hand

Gesamtspielzeit: 63:00 min.

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