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Gisbert zu Knyphausen - Hurra! Hurra! So nicht.

Gisbert zu Knyphausen- Hurra! Hurra! So nicht.

PIAS / Rough Trade
VÖ: 23.04.2010

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Reiner Wein

Wenn man ganz still ist, kann man es hören. Nachts, aus einsamen Schlafzimmern oder Küchen mit Holztischen, die volle Köpfe und leere Flaschen zu tragen haben. Von unbeleuchteten Balkonen, die scheinbar in der Luft hängen, oder von zögerlich beschrittenem Asphalt. Es ist immer das selbe Geräusch: Klack klack. Manchmal schneller, manchmal langsamer, aber immer mit einer Dynamik, die nur ganz dringlichen Angelegenheiten zueigen ist. Es sind weder Cowboystiefel noch hohe Absätze, die da klackern - denn die Schuhe wurden hier schon längst ausgezogen. Weil sie drücken. Wer genau lauscht, wird feststellen, dass das Geräusch von weiter oben stammt. Und zwar von einem Daumen.

Die Finger-Choreographie geht so: 4.444.7777.22.33.777.8. Auf der Handy-Tastatur. Man muss es doch wenigstens versuchen, Gisbert zu erreichen. Und wenn man schon das Gefühl hat, irgendwie einen Draht zu ihm zu haben, was wirklich sehr, sehr leicht ist, dann muss das doch auch schnurlos gehen. Man glaubt das tatsächlich für einen kurzen Moment. Bis das Telefon sagt: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Aber das ist gar nicht so schlimm, denn es gibt ja noch elf weitere Nummern, unter denen man sofort verbunden wird. Mit Mull und Moll. Wobei letzteres nur ab und zu eingestreut wird, wie eine gelegentliche, nicht ganz so zufällige Berührung an einer empfindlichen Stelle. Dafür ist der Mull weich und wohltuend, auch wenn er eher zigarettengegilbt als weiß aussieht.

Ob nun im halb unprätentiösen, halb aufbrausenden Opener "Hey", im überraschend romantischen "Ich bin ein Freund von Klischees und funkelnden Sternen" oder im rhythmisch äußerst potenten Titeltrack - zu Knyphausen hat nichts als die reine Wahrheit mitzuteilen. Worte, die zielen, treffen und erlegen. Den Alltag und seine Komplizen. Woher er das so gut kann? Wahrscheinlich eine Mischung aus mühelosem Naturtalent und teuer bezahlten Erfahrungswerten. Dass diese Lieder so wahr klingen, wie direkt aus dem eigenen Leben ausgeschnitten, könnte aber auch etwas mit einer bekannten lateinischen Weisheit zu tun haben: In vino veritas. Andere Singer/Songwriter trinken vielleicht mal ein Gläschen Roten, wenn sie über all die weltbewegenden Themen sinnieren. Zu Knyphausen ist auf einem Weingut aufgewachsen. Eine treffendere Metapher hätte man sich auch mit viel Phantasie nicht ausdenken können.

Wie schon auf seinem 2008 erschienenen Debüt "Gisbert zu Knyphausen" sind es auch auf "Hurra! Hurra! So nicht." die Texte, die sich sofort eingravieren. Etwas dunkler, ruhiger und reduzierter sind die neuen Stücke geworden, aber auch tiefer und musikalisch interessanter umgesetzt - was vermutlich auch ein bisschen Produzent Tobias Levin (Tocotronic, Kante, Slut, Jens Friebe) zu verdanken ist. Die ausgezeichnete Begleitband, die es sich zwischen Folk, Indie und Americana hübsch eingerichtet hat, unterstreicht, markiert, umkreist, schraffiert, aber schreibt niemals selbst auf die Linie. Hin und wieder hält sie sich sogar ganz zurück und lässt den Protagonisten nur zur Akustikgitarre singen. So ein angejazztes und groovendes Stück wie "Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten" hätte man ihm gar nicht zugetraut. Das sind dann aber auch schon die einzigen beschwingten Minuten dieser Platte - seinen Hang zur Melancholie pflegt zu Knyphausen mittlerweile nämlich noch mehr als auf seinem ersten Album. Er hat ihr sogar extra ein Lied gewidmet und singt: "Fick Dich ins Knie, Melancholie!"

Derlei Derbheiten kommen aber natürlich nur in homöopathischen Dosen vor. Die Poesie entgleitet zu Knyphausen sowieso nie - wenn sie mal ausnahmsweise nicht in den Texten stecken sollte, dann findet man sie in seiner Stimme. Die zarten Töne von "Dreh Dich nicht um" sind in ihrer tapferen, bedingungslosen Hingabe so ergreifend, dass man sich ganz leise zu der Trompete gesellen möchte, die sich andächtig im Hintergrund hält. Da sind die kurz angebundene Gitarre und der große, weich gebettete Baß von "Grau, grau, grau" schon auffälliger - überhaupt bahnt sich dieses Lied mit seinem kraftvoll fließenden Arrangement und dem Fazit "Wir brauchen einen neuen Anfang!" eindrucksvoll seinen Weg. Allerdings nicht ganz so hinreißend wie das alles überragende "Kräne", eine wunderbare Ode an das Treiben im Hamburger Hafen, bei der man schon nach fünf Sekunden weiß: Das ist einer der besten Songs, die zu Knyphausen je geschrieben hat. Und ein Lied später singt er dann "Ich tausche meine Liebe / Gegen ein morsches Stück Holz / Jemand Interesse?" Und ob! 4.444.7777.22.33.777.8. Klack klack.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • Hey
  • Grau, grau, grau
  • Kräne
  • Dreh Dich nicht um

Tracklist

  1. Hey
  2. Seltsames Licht
  3. Grau, grau, grau
  4. Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten
  5. Ich bin ein Freund von Klischees und funkelnden Sternen
  6. Kräne
  7. Morsches Holz
  8. Melancholie
  9. Hurra! Hurra! So nicht.
  10. Dreh Dich nicht um
  11. Nichts als Gespenster

Gesamtspielzeit: 44:19 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

JanD

Postings: 29

Registriert seit 10.01.2014

2014-01-13 00:01:27 Uhr
Für mich eines der besten deutschsprachigen Alben überhaupt. 9/10
Jan1976
2012-03-09 10:51:37 Uhr
Bei mir stach lange auch nur Melancholie, Kräne und Hurra Hurra raus. Bei mir war es jetzt die Live-Platte die mir die Schönheit der anderen Songs rübergebracht hat.
VelvetCell
2012-03-09 09:17:18 Uhr
Empfand ich das Album am Anfang als zu wenig griffig, ist sie doch ein treuer Begleiter geworden. Ganz groß!
Ina Simone Mautz
2011-02-27 22:17:20 Uhr
Gisbert covert "Jeder geht allein" von Staring Girl. Wunderschön.
Demon Cleaner
2011-02-07 10:34:17 Uhr
Stelle aber gerade wieder fest, dass das erste Album bis auf 3-4 Ausnahmen recht tolle Einzelsongs hat. Dafür ist das Album als Ganzes nicht so recht stimmig. Das ist bei diesem hier anders.
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