Leatherface - The stormy petrel
Big Ugly Fish / Cargo
VÖ: 02.04.2010
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Geschlossene Gesellschaft
Neulich bekamen sie wieder feuchte Augen. All die alten Säcke, die sie damals immerhin so halbgroß gemacht haben, die Band Leatherface aus Sunderland, UK. Schon seit einiger Zeit zischten jene Leatherface in Fast-wie-früher-Besetzung ein paar Pints auf Tour, war mit Gitarrist Dickie Hammond doch ein Gründungsmitglied heimgekehrt. Irgendwo an einem dieser Abende im guten alten Blighty muss es dann passiert sein. Zwischen uralten und mittelalten Hits nippte Sänger Frankie Stubbs noch mal an seiner Flasche, schluckte und kündigte neue Hits an - und eine neue Platte. Zum ersten Mal seit "Dog disco". Zum ersten Mal seit sechs Jahren. Bei den Alten gehen spontan die Schnüffeltücher aus. Im Trust-Zine schaufelt man Platz frei für eine 30 Seiten währende Foto-Lovestory, die doch nie erscheint. Überall sonst kratzt man sich derweil am Kopf: Leatherface? Da war doch was mit diesem Horrorfilm von Michael Bay. Oder nicht?
Sehr gut möglich, dass auch "The stormy petrel", die mittlerweile ungefähr dreißigste Leatherface-Platte, wieder eine Sause für eine geschlossene Gesellschaft ist. Seit Leatherface vor 20 Jahren mit ihrer "Mush"-Platte die Mutter aller chronisch überhörten Punkrock-Meilensteine vorlegten, hat niemand die Musik-Welt wirklich entschleunigen können. Was wir hier filtern, 20 Mal pro Woche, ist erst der Anfang. Egal ob Nische oder Mainstream: Alles muss raus. Will gehört werden. Und schreit um Aufmerksamkeit. Selbst Independent-Projekte sparen nicht mehr an Bling-Bling, Ausstattung, Bläsersätzen, Auto-Tuning - und Promo-Budgets, die sie bis hierher tragen.
Und dann kommen Leatherface mit "The stormy petrel", einem Album so ganz ohne Schnickschnack und Budenzauber - einem Album, das rumpelt, wie vor 20 Jahren geschrieben. Dessen Gitarren schon mal fast den Gesang verschlucken - oder umgekehrt. Dessen Cover-Artwork aussieht wie eine Demo-CD vom Grabbeltisch. Oder die Maxi-Single der Vereinshymne vom 1. FC Saarbrücken. Wenn Frankie Stubbs, Hauptberuf Punkrocklegende, auf dieser Platte wieder so heiser raunt, als habe er England gerade im Alleingang zum endlich zweiten Weltmeister-Titel gebrüllt, möchte man ihm eine Palette Fisherman's Friend per Luftpost auf die Insel schicken.
Dabei knallt "The stormy petrel" mal wieder nicht mal so richtig. Keine aufgeregten 90 Breaks per Minute, keine aufgepimpten Powerchords, kein Crossing-All-Over-Potenzial, nichts. Die Songs und Schrabbel-Akkorde auf dieser Platte nehmen so gemütlich Anlauf, dass man sie glatt in Birkenstock-Latschen überholen könnte - oder ausgeleierten Chucks. Einer dieser Songs, "Broken", ist eine Borderline- Powerballade, so dermaßen unkrass und so wenig up to date, dass nur Flanellhemden-Träger sie als Klingelton missbrauchen würden. Und in "Another dance" spielen Leatherface all ihre Routine so souverän runter, dass man sich glatt an diesem Sommerhit von Punkrocksong vorbeiklicken könnte, wenn man ihn auf einem iPod statt im Kassettendeck hat. Eine prima Platte für uns alten Säcke also, auch wenn es nicht ihre beste ist.
Highlights
- Another dance
- Isn't life just sweet?
Tracklist
- God is dead
- My world ends
- Never say goodbye
- Nutcase
- Broken
- Another dance
- Diego Garcia
- Monkfish
- Disgrace
- Belly dancing stoat
- Isn't life just sweet?
- Hope
Gesamtspielzeit: 40:27 min.
Referenzen
Frankie Stubbs; Hüsker Dü; Small Brown Bike; Dillinger Four; Rancid; Strung Out; Hot Water Music; TrialBy Fire; Bad Brains; 7 Seconds; Somerset; Avail; Snuff; Pezz; None More Black; Social Distortion; Smore Or Fire; Down By Law; Face To Face; Snuff; Fugazi; Dag Nasty; The Draft; Samiam; Jawbreaker
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