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Pavement - Quarantine the past

Pavement- Quarantine the past

Domino / Indigo
VÖ: 05.03.2010

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

In Schönheit erschlagen

Im ausklingenden Jahrzehnt der Achtziger Jahre hatte es ein junger Mensch nicht leicht, sich einen Gegenentwurf zum schnell nach vorne preschenden Grunge zu suchen. Es mag für manchen Menschen überraschend sein, vor allen Dingen für die tausenden verklärenden Nostalgiker, aber nicht jeder konnte mit diesem zur Schau getragenen Seelenleid, mit gekünstelter Introspektion und den vielen großen Gesten etwas anfangen. Und doch gab es zu damaliger Zeit etwas, dass sich eben deutlich, weniger bewusst abhob von dem, was gefühlte 24 Stunden auf MTV präsent war und durch und durch ausgeleuchtet wurde. Etwas, das nicht um Authentizität bemüht war, sondern diese einfach intus hatte, weil man es eben gar nicht darauf anlegte, sich irgendwie in Szene zu setzen. Wie auch? "We've been raised on replicas of fake and winding roads / And day after day up on this beautiful stage / We've been playing tambourine for minimum wage / But we are real / I know we are real", sang der anfängliche Pavement-Mitstreiter David Berman (Silver Jews) 1997. Dies bildet sozusagen die Quintessenz, die Pavemet und einige ähnlich gelagerte Bands und Künstler ausmachte und heute noch ausmacht. Dabei geht es nicht um die knappe Entlohnung, sondern mehr um die autodidaktische Echtzeiterfahrung von Musik, den realistischen Bezug zu eigenen Emotionen und die Darstellung des oft schieflaufenden Verhältnisses zur Welt da draußen. Und das ohne große Gesten, sondern mit einer tiefgreifenden Bescheidenheit und Feinfühligkeit.

Im November 1999 gaben Stephen Malkmus, Scott Kannberg (aka Spiral Stairs), Bob Nastanovich, Marc Ibold und Steve West ihr letztes Konzert in der Londoner Brixton Academy. Zehn Jahre später sind sie nun für eine anstehende Reunion-Tour im Frühjahr 2010 wieder zurück, genau wie Malkmus es vor etlichen Jahren versprochen hatte. "Quarantine the past" heißt die Best-of-Zusammenstellung, die diese heiß erwartete Rückkehr begleiten soll. Für Fans der ersten Stunde verzichtenswert, bietet die Zusammenstellung für Neueinsteiger einen weitreichenden Überblick, der auch tatsächlich dort ansetzt, wo alles begonnen hatte. Und zwar vor dem ersten Album "Slanted and enchanted". In "Mellow jazz docent" laufen unkontrollierbare Noiseschleifen gegen übersteuerte Gitarren auf Kassettenrekorderbasis an. Malkmus, kaum hörbar im hymnisch-verstörenden Geräuschebrei, zeigte sich damals schon als gedankenverlorener Ruhepol inmitten ekstatischer Instrumentierung. "Box elder", sittsamer in der Herangehensweise, durchsetzt mit einem bis heute memorablen windschiefen Gitarrenriff, brilliert als Beschreibung jugendlicher Ausweglosigkeit und Aufbruchstimmung.

Das eigentliche Debüt von 1992, "Slanted and entchanted“, ist nicht weniger rumpelig und im positiven Sinne zerfahren als die vorangegangenen EPs. Doch wuchsen die Einflüsse aus Post-Punk, auf links gedrehte konventionelle popmusikalische Strukturen und die eben autodidaktisch eingebrachte Lo-Fi-Ästhetik zu einem Großen und Ganzen zusammen. "Summer babe (Winter version)" und "In the mouth a desert" sind atemberaubende Beispiele für die Herangehensweise Pavements. In Melodie, Rhythmus und Gesang hangelten sie sich selten an einer fest vorgebenen Linie entlang, fanden Gefallen an spontanen wie kreativen Aussetzern. Malkmus' Lyrics sind kryptische, humoristische, sarkastische Einzeiler, die nur schwer zu durchdringen sind. Hier perfektionierten Pavement das Imperfekte und schlugen breite Bögen vom Disharmonischen zum Harmonischen, so dass die Melodien auch heute noch tiefer greifen und letztlich viel tiefer sitzen.

War "Slanted and enchanted" schon ein zerschossenes Meisterwerk, so blieb einem beim furiosen Nachfolger die Spucke weg: "Crooked rain, crooked rain" öffnete sich 1994 eingängigeren Strukturen, setzte noch einmal deutlicher auf einnehmende Melodien, ohne künstlerische Eigenheiten auf's Spiel zu setzen. In "Silence kit" flirtet Malkmus mit seinem Hang zum infantilen Jaulen, was bis heute als nahegehendes, ja wunderschönes Stilmittel nicht mehr wegzudenken ist. "Gold Soundz" ist in jeder Sekunde in Stein gemeißelte Wohlgestalt, "Cut your hair" sollte der einzige Charts-Erfolg der Band bleiben. Pavement hätten nach dem euphorisch bejubelten "Crooked rain, crooked rain" die höchsten Höhen der Pop-Geschichte erklimmen können. Das, was dann am 5. April 1995 das Licht der Welt erblickte, war dann aber in etwa ein kommerzieller Selbstmord. "Wowee zowee" ist der Inbegriff der viel gescholtenen Lo-Fi-Ästhetik. Musik um des Musikmachens Willen. Konsequent leuchtete man jedes Extrem des Rock'n'Roll aus, und bannte es ebenso konsequent wie spielfreudig auf Platte. Die aneinandergereihten Tagträume von "Fight this generation" und die von elegischer Gitarre getragene, bittersüße Country-Folk-Hymne "Father to a sister of thought" sind nur zwei Beispiele für diesen reizüberflutenden, schwarzverhangenen Glanzpunkt.

"Brighten the corners" sollte nahtlos an die gehobenen Qualitäten von "Wowee zowee" anknüpfen - das aber geordnerter. Obwohl Pavement schon immer als klar erkennbare Gitarrenband durchgingen, konzentrierte man sich auf dem vierten Album auf die weitreichende Ausformulierung des Gitarrensounds. "Embassy row" als kraftstrotzender Anknüpfungspunkt zur Post-Punk-Ruppigkeit früherer Tage und das psychedelisch-minimalistische "Stereo", mit intelligentem Rhythmusspiel, tragen auch hier völlig zurecht den Stempel "Best-of". Der Jam-Charakter von "Brighten the corners" sollte sich auch dem von Nigel Godrich produzierten, letzten Album "Terror twilight" fortsetzen. Nur setzten Pavement hier auf die Soundverschiebung durch eine durchdringende Produktion. Ein mysteriös anklingender, ebenso melancholischer wie undurchdringbarer Schleier überzieht ein Album, das von dem Spiel mit dem Süßlich-Infantilen lebt. Die Krönung dessen blitzt dann auf in "Carrot Rope", das erschallt wie ein vertonter Kinderreim - und all das vereint, was Pavement ganzheitlich ausmacht. Wo Musik und Spielfreude in Reinheit weit über dem stehen, was daraus entwachsen kann. Mit "Quarantine the past" vermischen sich die vielen kleinen Essenzen zu einer großen Wahrheit. Die ist zwar in ihrer Schönheit erschlagend, kann aber ungemein bereichernd sein.

(Markus Wollmann)

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Highlights

  • Gold soundz
  • Shady Lane / J. vs. S.
  • Spit on a stranger
  • Here
  • Heaven is a truck

Tracklist

  1. Gold soundz
  2. Frontwards
  3. Mellow jazz docent
  4. Stereo
  5. In the mouth a desert
  6. Two states
  7. Cut your hair
  8. Shady Lane / J. vs. S
  9. Here
  10. Unfair
  11. Grounded
  12. Summer babe (Winter version)
  13. Range life
  14. Date w/ IKEA
  15. Debris slide
  16. Shoot the singer (1 sick verse)
  17. Spit on a stranger
  18. Heaven is a truck
  19. Trigger cut / Wounded-kite at:17
  20. Embassy row
  21. Box elder
  22. Unseen power of the picket fence
  23. Fight this generation

Gesamtspielzeit: 73:18 min.

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