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Get Well Soon - Vexations

Get Well Soon- Vexations

City Slang / Universal
VÖ: 22.01.2010

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Pathos ante portas

"Auch das kleinste Ding hat seine Wurzel in der Unendlichkeit, ist also nicht völlig zu ergründen", philosophierte einst Wilhelm Busch. Aber was ist dann erst mit den wirklich großen Dingen? Mit so himmelhohen Alben wie "Vexations", dem zweiten von Get Well Soon, auf dem Würdenträger Konstantin Gropper wirklich alle Hebel in Bewegung setzt? Auch dieses Werk wird man niemals vollständig ergründen können, aber genau das macht es so reizvoll - diese Stücke geben sich erst nach und nach preis, wie ein Rokoko-Fräulein. Im Wald hinter dem Haus seiner Eltern hat Gropper als akustischen Prolog den Soundtrack seiner Kindheit eingefangen - den Gesang der Vögel, das Rauschen der Blätter, die Stimme unberührter Natur. Weil er jedoch lobenswerterweise die aufrichtige Kunst einer eitlen Selbstdarstellung vorzieht, überlässt er die in das Naturszenario eingebetteten ersten Worte einer Dame und ihrer geheimnisvollen Erinnerung: "It was a bright and beautiful morning in spring. I just went out in the forest to collect some woods, when I stumbled upon a strangely formed root."

Ein Vibraphon aquarelliert ein märchenhaftes Bild, es klingt wie ein Wunder, das noch nicht einmal ansatzweise erklärt werden kann. Groppers Metaphernarchitektur ist nicht weniger mirakulös, aber glücklicherweise etwas leichter zu verstehen: Das Stolpern über die Wurzel im Opener "Nausea" symbolisiert ganz offensichtlich nicht nur den Eintritt in ein neues, außerhalb der idyllischen Komfortzone befindliches Bewusstsein, das Naivität nicht mehr zulässt, sondern schafft gleichzeitig eine Verbindung zum Hauptroman des Existentialismus, Sartres "La nausée". Als dessen Protagonist Antoine Roquentin nämlich eine Wurzel im Park betrachtet, glaubt er die Sinnlosigkeit der Existenz erkannt zu haben. Der daraus resultierende Ekel gegenüber der Welt ist von diesem Moment an immer präsent - nur dann nicht, wenn Roquentin ein ganz bestimmtes Lied hört. Die Musik als Betäubungs- und Rauschmittel. Das kommt "Vexations" schon sehr nahe.

Zwei Sekunden Stille. Dann tritt ein zauberhaftes Streicherarrangement mit Gropper in Dialog, gleichermaßen der Romantik und dem Zeitalter der Aufklärung verschrieben: jeder Ton ein pastellfarbenes Wattebauschwölkchen, jedes Wort eine nüchterne Tatsache. Und mit der letzten halben Minute von "Nausea" verwebt sich dann auch noch Erik Saties Klavierstück "Vexations", kompositorisches Kuriosum und Namenspate des Albums. Das Stück fällt nicht nur durch seine irritierende Atonalität auf, sondern vor allem durch die Vorgabe, diese paar Takte genau 840 Mal zu wiederholen - was Gropper uns allerdings erspart. Der Einleitungstext in Saties Originalpartitur empfiehlt, sich in Stille und Unbeweglichkeit auf die Komposition einzustimmen - womit wir beim Stoizismus wären, dem großen Thema auf "Vexations". Während "Rest now, weary head! You will get well soon" an die Kraft der vielfältig definierbaren, lindernden Umarmung glaubte, widmet sich das neue Album der emotionalen Selbstbeherrschung, der Seelenruhe und Gelassenheit.

Weniger Pathos bedeutet das nicht. Und doch formuliert Gropper seine Songs wesentlich pointierter als noch auf dem Debüt und erschafft eine erstaunlich gefasste Theatralik, die zwar keineswegs auf große Gesten verzichtet, aber erheblich konzentrierter wirkt und dabei den Stücken stets den nötigen Raum gewährt. Während er bislang auf das Trauerflor-Timbre seiner Stimme setzte, offenbart er nun auch eine hinreißende Fragilität und Zartheit. Musikalisch gibt es vor allem die Neuzugänge Vibraphon, Marimbaphon und Xylophon zu bestaunen - letzteres insbesondere als äußerst originelles Rhythmusinstrument in "Seneca's silence", einer herrlich opulenten Ode an den wohl wichtigsten Vertreter der Stoiker, der übrigens sagte: "Es hat keinen großen Geist ohne eine Beigabe von Verrücktheit gegeben." Wenn man sich "Vexations" anhört, kann man da nur zustimmen - Gropper hat unzählige frappierende Details in die 14 Songs eingebaut, die trotzdem nie überladen wirken. Da wäre zum Beispiel die kratzende Vinylplatte mit der Opernsängerin im trotz des Titels fantastischen "Red nose day", das sich alle Zeit nimmt, Größe nicht in der Breite, sondern in der Tiefe zu finden.

"5 steps / 7 swords" wirft den Anker irgendwo zwischen Piratenposse und historienfilmischem Hochseedrama aus, holt polterndes Schlagzeug und todernste Blechbläser nebst einer guten Portion Galgenhumor an Bord und begibt sich auf eine Reise ohne Wiederkehr. Das folgende Instrumental-Intermezzo "We are still..." klingt mit seinem entrückten Vibraphon wie die akustische Untermalung einer Metamorphose, vielleicht aber auch nur wie das Werbejingle für eine Nebelmaschine. "A voice in the Louvre" erweist sich als eindrucksvolle Zeitlupenaufnahme, die mit Banjo und Glöckchen-Percussion beginnt und vor allem dank seines güldenen Streicherarrangements immer majestätischer wird. In der zweiten Albumhälfte hält Gropper mühelos Kurs, huldigt in "Werner Herzog gets shot" der unerschütterlichen künstlerischen Hingabe und in "Angry young man" dem "Schwebezustand an der Schwelle zur Eskalation". Am Ende des hymnisch-orchestralen "We are ghosts" traut er sich dann sogar diese durchaus heikle Frage zu stellen: "Are we human or are we dynamite?" Vielleicht lautet die Antwort auch einfach "dancer". Kann man ja mal drüber nachdenken. In aller Seelenruhe.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • Seneca's silence
  • Red nose day
  • A voice in the Louvre
  • We are ghosts

Tracklist

  1. Nausea
  2. Seneca's silence
  3. We are free
  4. Red nose day
  5. 5 steps / 7 swords
  6. We are still...
  7. A voice in the Louvre
  8. Werner Herzog gets shot
  9. That love
  10. Aureate!
  11. We are ghosts
  12. A burial at sea
  13. Angry young man
  14. We are the Roman Empire

Gesamtspielzeit: 62:28 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

derdiedas

Postings: 745

Registriert seit 07.01.2016

2020-09-11 14:15:50 Uhr
Angry Young Man ist fantastisch (kannte ich aber schon), ansonsten ist nach einem Mal hören nicht so viel hängen geblieben. Das wechselt alles zwischen sehr ruhigen Songs und üppig instrumentiertem Midtempo, die Spannung vom Debüt will nicht so aufkommen

Aber in diesem Thread schien es bei Erscheinen vielen erst einmal genauso zu gehen, also hoffe ich, dass das noch wächst
tadaaa
2016-12-08 15:21:39 Uhr
Exciting News!!
Dear Friends,
As you maybe know, VEXATIONS was re-arranged for orchestra and vocals. It was performed for the first time back on October 23rd.
Well, it went down pretty well, so we decided to release it this friday! As digital Download, mp3, flac and sourround 5.1. It will only be released through our homepage and 100% of the profit will be donated to "Save The Children". We're excited, are you?! More Info tomorrow... and ❤️
Get Well Soon
Demon Cleaner
2011-01-23 00:34:03 Uhr
Englischklausur lief auch nicht so pralle aber ich denke eher nicht, dass das am Konzert lag

Angesichts dieses Teilsatzes und dem doch manchmal holprigen Texten musste ich etwas grinsen... :-)

Nehmt ihr eigentlich das Album wirklich so anders wahr als ich? In den Jahrescharts waren ja 3 Songs aufgetaucht: "Angry Young Man", "We Are Ghosts" und "Werner Herzog Gets Shot". Während ich ersteres wirklich gut finde (auch wenn ich glaube, dass da ein kleiner Single-Bonus dabei ist), verstehe ich nicht, warum die letzten beiden so beliebt sind. Gerade "We Are Ghosts" ist für mich dank seinem Text und seinem Refrain das schäwchste Stück der Platte. Und was ist mit "Seneca's Silence"? "We Are Free"(!!!)? "A Voice In The Louvre"?
Killyouridols
2010-03-07 21:48:05 Uhr
@hier:
Upps, ganz vergessen. Ja also es hat sich auf jeden Fall absolut gelohnt!! Fand die beiden Alben zwar auch gut aber so richtig gepackt hatten sie mich bis dato leider nicht, umso mehr hat mich dann das gelungene Konzert gefreut. Sehr sympathisches Auftreten und die Vorband war auch klasse! Die CDs fand ich dann doch manchmal etwas zu theatralisch/pathetisch aber live hat mich das absolut nicht mehr gestört. Mag echt an dem lockeren Auftreten von Gropper liegen, der könnte ohne Probleme aus den eigenen Kreisen kommen oder so;) Nur diese Videoleinwand und die Erzählstimme fand ich an manchen Stellen etwas zu übertrieben. Wäre gar nicht nötig gewesen das Konzert so noch künstlich aufzublasen oder ihm einen Mehrwert aufdrücken zu wollen. Aber Geschmackssache.
Englischklausur lief auch nicht so pralle aber ich denke eher nicht, dass das am Konzert lag und selbst wenn hätte es wieder genauso gemacht! Kann ich nur weiter empfehlen!!
kejohs
2010-03-07 21:04:19 Uhr
live im übel & gefährlich in hamburg gesehen. Erste Sahne das Konzert, auch trotz den kleinen technischen Macken.. ! :)

Sehr zu empfehlen, sind Live eine Wucht!
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