Emily Jane White - Victorian America

Talitres / Rough Trade
VÖ: 30.10.2009
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Ganz bei Trost
Emily Jane White hat was drunter. Etwas Dunkles. Vor allem musikalisch, versteht sich. Denn eine düstere Grundierung ist für die Singer/Songwriterin aus San Francisco notwendige Bedingung, was auch einen Großteil ihres zauberhaften Debüts "Dark undercoat" ausmachte. Da kreisten Raben über ihrem Bett und trugen ihren Liebsten fort, war der Schlaf ein immerwiederkehrender Todesbote, und getanzt wurde allenfalls mit dem Teufel. Verzückt konnte man sich zu Whites akustischen Elegien das Gruseln lehren lassen, dabei mit Klampfe im Gras liegen und vielleicht nie wieder aufstehen. Und doch hatte ihre Musik auch etwas Friedliches und Trostreiches.
Auf "Victorian America" trifft das mehr denn je zu. "Never dead" kommt mit Verzögerung auf Touren, bis sich der Song als bezauberndes folkiges Etwas entpuppt, zu dem die Pedal Steel seufzt und White vom ewigen Kreislauf der Natur erzählt. Niemals stirbt man so ganz. "Stairs" macht mit Treppensturz und gespaltenem Schädel zu grober Rhythmik schon weniger Federlesens, flüchtet sich dann in einen selbstvergessenen Zwischenpart und kehrt schließlich wieder zum unheilvollen Anfang zurück wie die Zunge zu einem kranken Zahn. Die Stimme oszilliert zwischen Geisterchor, aufgeschreckten Kapriolen und glasklarer Phrasierung - und erweist sich so als wesentliches Instrument statt nur als Medium zur Vermittlung gekippter Botschaften.
Auch wenn der Titelsong ans Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts gemahnt, lässt White es sich nicht nehmen, die Opfer der Flutkatastrophe von New Orleans zu beklagen und so der Ära Bush sanft, aber bestimmt noch einen mitzugeben. Jeder der mitfühlenden Zeilen hört man zwar an, dass White nicht gerne die Müllwerkerin des amerikanischen Traums gibt. Doch manchmal geht es halt nicht anders. Obwohl sie selbst eine politische Dimension ihres Schaffens vermutlich weit von sich weisen würde. Zu gerne singt sie von der heimischen Natur, gedenkt aus den Augen verlorenen Freunden und appelliert an alle, die noch einen Eisblock statt eines Muskels in der Brust tragen.
Ihre Mittel sind dabei stets vielfältig: Zunächst schleicht sie sich mit fragil gehauchten Akustik-Miniaturen, anschwellenden Percussions und ausladenden Streichersätzen an, um plötzlich mit verstimmt knurrenden E-Gitarren und dem Bluesrock-Bauchgrimmen von "Red dress" auch ein paar ruppigere Akzente zu setzen. Trotzdem steht über diesem Album mehr der Begriff Americana als noch über der wilden Verzweiflung des Vorgängers - der dann in der Summe tatsächlich ein klein wenig besser war. Der musikalischen Souveränität von "Victorian America" kann das allerdings nichts anhaben. Auch wenn White am Ende skeptisch bleibt: "The beauty of my love is unfound." Doch zum Trost sei ihr versichert: Die Schönheit ihrer Songs erkennt selbst der Taube an den Vibrationen seines Zähneklapperns.
Highlights
- Stairs
- Victorian America
- Liza
- Red dress
Tracklist
- Never dead
- Stairs
- Victorian America
- Baby
- Frozen heart
- The country life
- Liza
- The ravens
- Red serpent
- Red dress
- A shot rang out
- Ghost of a horse
Gesamtspielzeit: 60:52 min.
Referenzen
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