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Die Goldenen Zitronen - Die Entstehung der Nacht

Die Goldenen Zitronen- Die Entstehung der Nacht

Buback / Indigo
VÖ: 16.10.2009

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die bloße Koalition

Jedes Volk bekommt exakt jene Regierung, die es verdient. Wer so kreuzdämlich ist, Schwarzgelb an die Macht zu wählen, hat es nicht besser verdient. Daher kümmern sich Die Goldenen Zitronen auch wenig darum, dass das Volk eben den Bock zum Gärtner machen wollte. Kritik an den offensichtlichen Zielen wäre zu einfach, und einfach machen es die Zwischendenstühlen-Sitzer aus Hamburg schon lange nicht mehr. Sich nicht und anderen erst recht nicht.

Trotzdem (oder gerade deshalb) braucht "Die Entstehung der Nacht" nicht lange, um mit Dissonanzen, scheppernden Rhythmen und überdrehten Nichtparolen vertrautes Zitronen-Terrain zu betreten. Durch "Zeitschleifen" wehen erst windschiefer Krautrock, analoge Synthesizer und asiatische Saiteninstrumente, bis der drängelnde Sprechgesang eine Beziehung seziert und darüber in Rage gerät. "Positionen" spottet subtil über die Unwägbarkeiten des Web-2.0-Zeitalters, und der Tumult von "Börsen crashen" weist dem doch noch vertagten Zusammenbruch des Kapitalismus seine angemessene Position zu: als Hintergrundkulisse für ein paar absurd-explizite Geschichtsmetaphern.

Die Texte von "Die Entstehung der Nacht" sind kaum knappe Twitter-Feeds oder Blogpostings. Die unfrontalen Provokationen schleichen sich mindestens seitlich, meist aber rückwärtig an. Dass in "Des Landeshauptmanns letzter Weg" auf die Trümmer von Jörg Haiders Dienstwagen uriniert wird, ist trotz der enigmatischen Umschreibungen kaum misszuverstehen. "Und für einmal ließ sich auch kein anderer Schuldiger finden / Kein Verschwörer aus der Fremde, so sehr man auch suchte." Das "Lied der Medienpartner" ist Glamrock auf Brausepulver und amputiert nebenher der agenturbehaupteten Wichtigkeit der angesprochenen Pseudo-Berufsgruppe die Relevanz. Nachdem in "Aber der Silbermond" gut zwei Minuten lang die mulmige Realität am Wohlbefinden genagt hat, zerlegt ein schiefer Chor den reaktionären "Irgendwas bleibt"-Eskapismus ein paar Bautzener Kuschelrocker. Auch kryptische Pisse brennt in Wunden.

Ebenso wie die Sprache ätzt, ist die Musik für einige Zahnschmerzen gut. Nicht nur Ted Gaiers Bass ist auf ständiger Suche, die Band puzzelt mit Fragmenten aus Postpunk, Krautrock, Reggae, Disco, Psychedelic, NDW, Electro und Freakfolk. "Wir verlassen die Erde" nähert sich mit Blockflöte und "Autobahn"-Stoik sogar dem Pop an. Mit eingebautem Hindernis: "Dies ist ein Abschiedsgruß und kein Klingelton." In seiner Postpostmodernität ist das trotz gewollt rumpelnder Klanggestaltung stets tagesaktuell, und doch geben sich die Zitronen geschichtsbewusst: Im dubbigen "Drop the stylist" zetert The Pop Groups Mark Stewart in unnachahmlicher Manier, das spröde Cover von Melanies "Beautiful people" bewirbt sich mit Michaela Meliáns nicoeskem Gesang für Andy Warhols Factory, und "Der Flötist an den Toren der Dämmerung" ist eine unvermutete, aber nur sprachlich versteckte Hommage an Syd Barrett.

Das zehnte Album der Band, deren Funpunk-Zeit nicht nur Jahrzehnte her wirkt, sondern tatsächlich her ist, beansprucht keine Meinungsführerschaft für sich, sondern die grauen Zellen seiner Zuhörer. "Die Entstehung der Nacht" solidarisiert sich nicht mit weltferner Fundamentalopposition. Die Zukunftsperspektive liegt nicht in andauerndem Protest, sondern im Müßiggang. Erst er bietet nämlich den Raum, in dem sich Kreativität entfalten und zur notwendigen Avantgarde führen kann. Das versöhnt 1968 mit den Erkentnissen aus 1977, 1989 und Post-9/11. Darum sind Die Goldenen Zitronen auch weiterhin die wichtigste Punk-Band dieses Landes.

(Oliver Ding)

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Highlights

  • Zeitschleifen
  • Börsen crashen
  • Des Landeshauptmanns letzter Weg
  • Aber der Silbermond

Tracklist

  1. Zeitschleifen
  2. Positionen
  3. Börsen crashen
  4. Bloß weil ich friere
  5. Gebläse
  6. Des Landeshauptmanns letzter Weg
  7. Drop the stylist (feat. Mark Stewart, Melissa Logan)
  8. Aber der Silbermond
  9. Über den Pass
  10. Lied der Medienpartner
  11. Wir verlassen die Erde
  12. Beautiful people (feat. Michaela Melián)
  13. Der Flötist an der Toren der Dämmerung

Gesamtspielzeit: 50:14 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Hallo Gallo
2010-05-28 21:34:55 Uhr
http://glasnost.us/~knifa/swinger/index.php/view/1986
Rosinen, Hasch und Schnee
2010-02-06 23:14:37 Uhr
Rosinen, Hasch und Schnee

Sind damit Drogen gemeint? Was sind dann Rosinen?
Frage:
2010-01-31 00:13:45 Uhr
Was hattet ihr eigentlich für eine Version zum rezensieren? Das Stück Gebläse ist nämlich bei mir nicht drauf!
Wir verlassen die Erde
2010-01-30 13:59:36 Uhr
Wir verlassen die Erde, auf dass sie schöner werde!

Was für ein Hammer-Song!

http://www.youtube.com/watch?v=3e8LICo2Ick
kurde
2009-12-07 17:22:53 Uhr
es hat nicht nur starke momente... es ist stark, das neue werk der goldies
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