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Thrice - Beggars

Thrice- Beggars

Vagrant / PIAS / Rough Trade
VÖ: 18.09.2009

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Ausweitung der Kampfzone

Man kann Thrice ja vieles vorwerfen. Zum Beispiel, dass sie mit jedem neuen Album ein paar Fans verprellen. Bestimmt auch, dass man bei ihnen sowieso nie so richtig weiß, woran man ist. Gestern noch Metal, heute schon Konzept-Musik, die vier EPs lang hält. Nur eines kann man Thrice nicht vorwerfen: dass sie Trends hinterhersteigen, die sich gerade am besten verkaufen lassen. Das war schon bei ihrer ersten Platte so. Als Thrice anfingen, Maiden-Licks zu zocken, war Haareschütteln so hip wie Schulterpolster. Selbst "Screamo" verstand man seinerzeit eher als einen Nebenschauplatz des Hardcore - und nicht etwa als Vermarktungs-Strategie für schlechte Musik. Wenn es also eine Konstante gibt, die alle Thrice-Platten von "Identity crisis" bis jetzt "Beggars" eint, dann ist es diese: Nur tote Bands schwimmen mit dem Strom. Die hier lebt noch.

Ungefähr vier Alben hat es gedauert, bis sich Thrice auf "Vheissu" zu ernsthaften Songschreibern gemausert hatten. Mittlerweile traut sich Sänger Dustin Kensrue mit seiner Stimme sogar mal vor die Haustür. Und Gitarrist Teppei Teranishi hat es aufgegeben, seine alten Helden aus den 80ern nachzuspielen. Erst so ist jetzt "Beggars" überhaupt möglich. Nach dem zweiteiligen Mammut-Projekt "The alchemy index" fokussieren Thrice ihre neu erspielte Freiheit endlich auf eine einzige Platte. Und auf zehn Songs, die Thrice-Sounds, Blues, Siebziger-Rock und Songwriter-Gestus verschnüren, bis man glaubt, sich abwechselnd auf eine Kensrue-, Led-Zeppelin-, Tom-Waits- oder doch wieder Thrice-Platte verirrt zu haben. Die meinen das ernst.

"Beggars" beginnt so stürmisch, dass man vor dem Auflegen Türen und Fenster verrammeln sollte. Thrice schlagen in "All the world is mad" eine Schneise durch einen Berg von Sturm-und-Drang-Riffs - und wer danach erst mal verschnaufen möchte, den schicken sie mit "The weight" in die Verlängerung, Widerspruch ausgeschlossen. Es sagt einiges aus über Thrice und "Beggars", dass sie diese beiden knackigen Rocksongs trotzdem nicht um Zeilen bauen, zu denen die Plattenfirma Videos drehen könnte, die einer Werbegruppe auf den Geldbeutel schielen. Wenn Kensrue in diesem "The weight" über Liebe singt, hat das so viel mit Twentysomething-Emo zu tun wie Hochzeitsglocken mit Frauentausch: "And storm will surely come / But true love is a choice you must make." Wenn Dustin Kensrue Chris Carrabba wäre, würden Mädchen jetzt ihre Postersammlung verbrennen. Und seine Karriere wäre gelaufen.

Auch der Rest von "Beggars" hat ein emotionales Gewicht, das man nur ungern als T-Shirt-Aufdruck mit sich rumschleppen würde. In "The exile" gibt Kensrue sich wie seine Band: als den rastlosten Wanderer, der sich nirgends zu Hause fühlt, wohin auch immer seine Sehnsucht ihn treibt. Wie er sich durch seine Takte greint, wie Teranishi dazu seine Gitarre stöhnen lässt und Riley Breckenridge auf seinem Schlagzeug galoppiert - weiter, immer weiter, beschleicht einen der Verdacht, dass das keine dieser Happy-End-Geschichten ist. Dass Kensrue ewig weitersucht. Und nicht findet. "My heart is filled with songs of forever", heult er in einer Zeile, die tatsächlich mal auf ein T-Shirt passen würde. Er muss dort keine Echo-Effekte draufschmieren, damit man versteht, was er meint.

Es ist tückisch, wie Thrice immer wieder ihre Refrains in Melodien wickeln, wie sie Nelly Furtado bestimmt gerne auf ihrer letzten Platte gehabt hätte. Nicht alles ist Schwermut auf "Beggars", aber vieles so trügerisch wie ein Film von David Lynch. "Talking through glass / We move like swing sets" ist rein musikalisch die Sorte Thrice-Song, die man auf einem Sampler unter Bekannten verteilen würde - dabei versteckt sich hinter den Melodien ein Song über eine Beziehung, die sich gerade ein letztes Mal aufbäumt. Und wenn Kensrue in "Wood&wine" in die Haut eines zum Tode verurteilten Gefangenen schlüpft, eines zu Unrecht Verurteilten, dann plumpsen einem die Füße wieder vom Tisch - jene Füße, die man vorher noch dort liegen hatte, als Thrice vor einem Blues-Schema ankerten. "Can you see now that everything's grace after all?", beschließt Kensrue "Beggars", diese Berg-und-Talfahrt von Album, quer durch Raum, Song und Gefühl. Egal, wen sie diesmal mit dieser Platte verprellen - egal, wen sie dazugewinnen, das ist vieles. Bloß kein Trend.

(Sven Cadario)

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Highlights

  • The weight
  • In exile
  • Beggars

Tracklist

  1. All the world is mad
  2. The weight
  3. Circles
  4. Doublespeak
  5. In exile
  6. At the last
  7. Wood&wire
  8. Talking through glass / We move like swing sets
  9. The great exchange
  10. Beggars

Gesamtspielzeit: 43:41 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2022-04-23 23:26:06 Uhr
Gehe ich mit, auch mein liebstes Album der Band. Tolle Songs und sehr organisch eingebaute Experimente.

Indieborg

Postings: 16

Registriert seit 20.08.2018

2022-04-23 21:12:40 Uhr
Danke euch beiden für den Anspieltipp (beggars, 🎸 am Ende). Starkes Album, nach Wochen andauernden kennen- und- sehr- schätzen- Lernens von Thrice mittlerweile mein Lieblingsalbum. 9/10

J.R

Postings: 45

Registriert seit 03.04.2014

2021-12-04 02:12:14 Uhr
Für alle die das Album erst später entdeckt haben...oder auch sonst.

Gibt (mal wieder) nen vinyl repress. Gerade gesehen. Preise auf dem Sekundärmarkt sind ja schon bissl happig, je nach Edition auch jenseits von Gut und Böse...

Marküs

Postings: 1234

Registriert seit 08.02.2018

2021-07-22 12:14:17 Uhr
Tolles Album definitiv, der Nachfolger auch noch groß. Danach leider nicht mehr wirklich.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2021-07-21 18:32:52 Uhr
Ja, Wahnsinn!
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