Jarvis Cocker - Further complications
Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 15.05.2009
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Eine riesige Untertreibung
Niemand wird jünger. Auch nicht Jarvis Cocker. Obwohl man das zuweilen denken konnte, als er Mitte der Neunziger Jahre im Alter von deutlich über 30 mit entgeistertem Teenager-Blick und juvenilen Verrenkungen durch die Videos zu "Common people" oder "Disco 2000" turnte. Da hatte Cocker bereits über ein Jahrzehnt Durststrecke hinter sich, bevor er endlich zum gefeierten Star wurde. Der er andererseits aber nie sein wollte, was er stets medienwirksam unterstrich. Mit der versuchten Sabotage eines scheinheiligen Michael-Jackson-Auftritts bei den Brit Awards. Der Gründung des bizarren Projektes Relaxed Muscle, bei dem er sich als gruseliger Electro-Ghoul-Goth anonymisierte. Und nun durch einen Imagewechsel, nach dem er mehr wie ein schratiger Universitätsprofessor aussieht als wie ein Elder Statesman des britischen Pop.
Der Cocker aber zweifelsohne weiterhin ist, genauso wie engagierter Motzki mit scharfsinniger Beobachtungs- und Formulierungsgabe, die bereits in den ersten Worten dieses Albums steckt: "I was three weeks late coming out of the womb / In no great rush to join the rest of mankind / Where there were further complications." Das Leben ist nun einmal eine nur unzureichend abgesicherte Baustelle. Was dann dazu führt, dass er bei "Angela" in seiner Not sogar lüstern eine Kellnerin anschmachtet, die gerade einmal halb so alt ist wie er selbst. Doch Cocker gibt nicht nur den chronisch sexuell unterzuckerten Grantler, sondern auch den wortgewaltigen Sturkopf, der es längst nicht mehr nötig hat, es einem einfach zu machen - wie streckenweise noch auf seinem Debüt "Jarvis".
Und irgendwie hat man auf "Further complications" das Gefühl, als sei er erst jetzt richtig bei sich selbst angekommen, wo er das Rampenlicht nicht mehr mit einem smarten Russell Senior oder einer niedlich hinter den Keyboards kauernden Candida Doyle teilen muss. Stattdessen lässt er sich von Produzent Steve Albini mit großer Wucht und zuweilen ungeschlachter Power ins rechte Licht rücken. "Angela" - ein dreckig polternder Glamrock-Bolzen. "Fuckingsong" - ein monotoner Brecher mit runtergestimmten Riffs, bei dem man zunächst glaubt, Future Of The Left würden auf der Matte stehen. "Pilchard" und "Homewrecker!" - zwei Fast-Instrumentals, die mit angedeutetem Surf und roh gezimmertem Saxophon klingen, als hätten die Psychedelic Furs mal so richtig miese Laune gehabt. Gut möglich, dass die "Common people" unter den Hörern schon nach ersterem die Segel streichen werden. Sie verpassen einiges.
Denn natürlich hat Cocker sein Gespür für schiefe Selbstinszenierung und großes Pop-Drama nicht eingebüßt. Wunderbar, wie er in der fast schon klassischen Ballade "I never said I was deep" seine eigene vermeintliche Oberflächlichkeit an den Pranger stellt und mit höchst geistreichen Sätzen wie "I am profoundly shallow" gleich wieder konterkariert. Das gekippte Liebeslied "Slush" holt mit Phil-Spector-artigem Bombast ganz weit aus und lässt den Protagonisten am Ende mit dem Gesicht nach unten in einer dreckigen Pfütze landen. Und beim fantastischen "Leftovers" versucht Cocker gar, im prähistorischen Museum eine Frau rumzukriegen, die wie er selbst nicht mehr die Allerjüngste ist. Zwei Angehörige der gleichen vom Aussterben bedrohten Spezies, die zwischen Dinosaurierskeletten verstohlene Blicke tauschen - ein umwerfendes Sinnbild für Altern und Vergänglichkeit. Kein Album ohne schwierige Fälle also. Aber auch eines mit musikalischem Mut, inhaltlicher Tiefenschärfe und durchschnittlich zwei großartigen Ideen pro Song. Auf dem Vorgänger hieß es in den Linernotes noch: "You may sit if you want - kneeling is really not necessary." Nach "Further complications" sieht das anders aus.
Highlights
- Leftovers
- Fuckingsong
- Slush
Tracklist
- "Further complications."
- Angela
- Pilchard
- Leftovers
- I never said I was deep
- Homewrecker!
- Hold still
- Fuckingsong
- Caucasian blues
- Slush
- You're in my eyes (Discosong)
Gesamtspielzeit: 49:12 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Gordon Fraser |
2009-06-03 20:29:32 Uhr
Solide ist es schon, nicht spektakulär, aber solide. "Angela" ist mir ein bisschen zur naheliegend, ansonsten fehlen halt herausragende Stücke.6/10 |
reinvan |
2009-06-03 20:16:42 Uhr
das album wird leider nicht besser. etwa 4/10. da darf man gar nicht daran denken, dass jarvis mal ein album wie "this is hardcore" zustande gebracht hat, welches für mich bis heute eines der ganz wenigen klaren 10/10 alben ist. na ja, war eigentlich jemand bei dem einzigen deutschland konzert (hamburg, glaube ich)? wenn ja, wie war es? |
Marianne |
2009-05-23 17:45:53 Uhr
Gott, schaden kann es nicht. Aber gut ist es kaum. Further Complications * * 1/2 |
noplace |
2009-05-22 16:28:28 Uhr
mir geht's ähnlich wie smörre. der vorgänger hat mich mehr gepackt. |
reinvan |
2009-05-22 15:45:12 Uhr
Die FAZ ist recht euporisch:http://www.faz.net/s/Rub1637F1E578F4428A8B033B54C841364A/Doc~ED2162F938DE6496D9D51E7072E9F9EFF~ATpl~Ecommon~Scontent.html |
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Referenzen
Pulp; Richard Hawley; Pony Club; Scott Walker; The Divine Comedy; King Creosote; The Last Shadow Puppets; Prefab Sprout; The Psychedelic Furs; Momus; Pop Levi; Jack; Ian Brown; Tom Hingley & The Lovers; The Auteurs; Morrissey; The Dears; The Hours; Kasabian; Seafruit; Suede; Brett Anderson; Rialto; Spearmint; Shirley Lee; Babybird; The Rentals; Longpigs; Duels; Looper; Fosca; My Life Story; ExileInside; Sparks; Simon Bookish; Guillemots; The Veils; Duke Special; Roxy Music; David Bowie; Tindersticks; Ed Harcourt; Rufus Wainwright; Leonard Cohen; Serge Gainsbourg; Michel Polnareff; Marianne Faithfull; The Tiger Lillies; Shellac; Future Of The Left; Queens Of The Stone Age; Relaxed Muscle
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