Tori Amos - Strange little girls

Atlantic / Eastwest / Warner
VÖ: 17.09.2001
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Durch fremde Augen
Wenn eine Künstlerin von sich behaupten kann, die Grenzen aus dem Zusammenspiel zwischen Klavier und Stimme hinreichend ausgelotet zu haben, dann ist es Tori Amos. Ihrem Zwiegespräch mit den 88 Tasten entsprangen über mehrere Alben hinweg zahllose Meisterwerke, die in ihrer Intensität ihresgleichen suchten. Nachdem ihr fünftes Album "To Venus and back", mit dem Tori ins elektronische Universum vorstieß, sich jedoch als kapitale Enttäuschung erwiesen hatte, war es mit einer einfachen Rückkehr zu den Wurzeln nicht getan. Es war an der Zeit für etwas neues - etwas, das die Musikwelt in dieser Form noch nie erfahren hatte. "Ich fand es schon immer faszinierend, wie Männer etwas sagen und wie Frauen es hören" gab Tori im Vorfeld ihre Vision zu verstehen und läßt diese nun auf "Strange little girls" Wirklichkeit werden.
Zwölf Songs, im Original von Männern geschrieben und gesungen, werden auf "Strange little girls" nicht nur neuinterpretiert, sondern im Körper einer Frau neugeboren. Was vorher nicht mehr als Noten und Worte darstellte, bekommt einen Charakter und ein Gesicht verliehen. Mit den zwölf Coverversionen sind Toris Phantasie dreizehn (bei einem Song Zwillinge) komplexe Frauengeschöpfe entsprungen, die nicht nur den Song mit Leben füllen, sondern auch in Fotografien illustriert werden. "Feelings are intense / Words are trivial" wispert Tori Amos in "Enjoy the silence" (Depeche Mode), und tatsächlich singt hier nicht nur eine Frau, hier empfindet eine Frau und macht jedes Wort aus fremdem Mund zu einem aus ihrem eigenen.
Auch wenn ihre Ambitionen für manchen etwas überzogen wirken mögen, ist Tori Amos Lichtjahre davon entfernt, als Alice Schwarzer des Piano-Pops zu enden. Wenn sie bekannte Klassiker wie "I don't like Mondays" (Boomtown Rats) oder "New age" (The Velvet Underground) haucht, zweifelt man manchmal tatsächlich an den Qualitäten des Originals und fragt sich, ob deren tote Hülle einst nicht nur geschaffen wurde, um von Tori Amos Jahrzehnte später mit Leben gefüllt zu werden. Wer schließlich immer noch stillsitzen kann, wenn Tori zu bedrohlichen Streichern wispernd den schonungslosen Text von Eminems Mörder-Epos "97' Bonnie & Clyde" entlarvt, ist entweder unfähig zu fühlen oder taub.
Die Instrumentierung der Songs ist dabei genauso vielfältig wie die Charaktere, die sie repräsentieren. Vom flüsternden Piano in "Time" (Tom Waits) oder "Raining blood" (Slayer) über die röhrenden Gitarren von "Heart of gold" (Neil Young) bis zur verstörenden zehnminütigen Neufassung von "Happiness is a warm gun" (The Beatles) erstreckt sich das Spektrum, ohne den thematischen Zusammenhalt ins Wanken zu bringen. Mit "Strange little girl" hat Tori gar noch einen nahezu unbekannten Song aus der Mottenkiste der Stranglers ausgekramt und zur erfolgversprechendsten Single seit "Cornflake girl" verzaubert.
Allen Spöttern, die angesichts eines Cover-Albums gemutmaßt haben, Tori Amos seien nach dem schwachen Vorgänger endgültig die Songideen ausgegangen, wird dank "Strange little girls" das höhnische Lachen im Hals steckenbleiben. Denn abgesehen von der schleppenden Neufassung von "I'm not in love" (10cc) bergen die Interpretationen mehr kreative Leistung, als so manche Band in einer ganzen Karriere erbringen könnte. "One day you see a strange little girl look at you" verkündet Tori geheimnisvoll und öffnet mit "Strange little girls" den Vorhang für ein neues Weltbild: eines, das die Frau durch die hohlen Augen eines Mannes wahrnimmt, um eine ungekannte Sicht der Dinge zu erschließen. Gute Mädchen blicken in den Himmel, seltsame Mädchen überallhin.
Highlights
- '97 Bonnie & Clyde
- Strange little girl
- Rattlesnakes
- I don't like Mondays
- Real men
Tracklist
- New age
- 97' Bonnie & Clyde
- Strange little girl
- Enjoy the silence
- I'm not in love
- Rattlesnakes
- Time
- Heart of gold
- I don't like Mondays
- Happiness is a warm gun
- Raining blood
- Real men
Gesamtspielzeit: 62:01 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Greylight Postings: 110 Registriert seit 14.06.2013 |
2016-11-22 14:26:10 Uhr
@Dr. ReinekeAlso das "Smells Like Teen Spirit"-Cover ist ursprünglich auf der "Crucify"-EP erschienen, wie ich grade mal geschaut habe. Es scheint sogar mittlerweile Deluxe Editions von Little Earthquakes zu geben, wo "Smells ..." auch dabei ist. Außerdem ist es auf der Montreux-Live-DVD auch enthalten. Über die anderen beiden Songs weiß ich nichts. |
Mixtape User und Moderator Postings: 1926 Registriert seit 15.05.2013 |
2016-11-22 10:40:05 Uhr
Sie wollte wohl in erster Linie aus ihrem Vertrag raus, ohne dem Label noch neue Songs zu überlassen. Kurz danach kam bei einem neuen Label das sehr starke "Scarlet's walk". |
Elektrolyte Postings: 184 Registriert seit 20.09.2016 |
2016-11-22 09:14:58 Uhr
Für mich mit Abstand ihr schlechtestes, keine Ahnung was sie sich nach den tollen Vorgängern dabei gedacht hat... |
Mic |
2016-11-21 23:38:02 Uhr
Under the Pink ist immernoch ein Meisterwerk. Unfassbare tolle Melodien. Was habe ich dieses Album geliebt. |
Dr. Reineke Postings: 31 Registriert seit 01.09.2013 |
2016-11-21 23:22:49 Uhr
Weiss jemand, ob die Covers "Landslide", "Lovesong" und "Smells like teen spirit" auf einem Album bzw. EP oder so veröffentlicht wurden? Habe nichts gefunden; daher geringe Hoffnung... Danke für allfällige Antworten. |
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Referenzen
Lisa Germano; PJ Harvey; Joni Mitchell; Kate Bush; Fiona Apple; Elysian Fields; Over The Rhine; Never The Bride; Natalie Merchant; Paula Cole; Fetish; Curve; Liz Phair; Jann Arden; Sarah McLachlan; Sinéad O'Connor; Leona Naess; Aimee Mann
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