Gallows - Grey Britain
Warner
VÖ: 02.05.2009
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
This is England
Ein Land in einer desaströsen Krise. Massenentlassungen und der Verfall der Arbeiterschicht sind nur eine Seite der Medaille. Durch die Gesellschaft verläuft ein Riss, der sich in sozialer Ungleichheit, Misstrauen und Gewaltakten gegen Minderheiten ausdrückt. Ein trister, wahrlich grauer Staat also, in dem man als Jugendlicher sicher nicht aufwachsen will. Das war England Ende der Siebziger Jahre, als der Punkrock aufkam. Und das ist England auch heute wieder, behaupten zumindest Gallows auf ihrem zweiten Album. Die fünfköpfige Truppe, vor zwei Jahren völlig zurecht als Retter des dahinsiechenden englischen Punkrock gefeiert, gibt mit "Grey Britain" ein Statement zur Lage der Nation ab. Und dieses fällt erschütternd aus. Die große Finanzblase ist geplatzt, der Staat quasi bankrott. Die Gesellschaft in den Städten ist geprägt von Armut, Gewalt, schlechter Ernährung und natürlich Massenarbeitslosigkeit. Wo eigentlich Kinder unbeschwert spielen sollten, tummeln sich Dealer und gewaltbereite, mit Messern bewaffnete Jugendgangs. Ein Klima natürlich, über dass es sich beinahe uneingeschränkt auszukotzen lohnt.
Das machen Gallows nun zum zweiten Mal - mit mehr Wut als Platz im Bauch ist. "'Grey Britain' behandelt das Leben in einer egoistischen Gesellschaft, in der Gier und Aggression die Leitbilder sind, in der die Ambitionen sehr gering sind und die junge Generation den emotionalen Kontakt zur Welt um sich herum verloren hat", beschreibt Frank Carter, der zutätowierte Frontkämpfer der Band, die fast schon Bono-esken Ambitionen. Doch anstatt Weltverbesserungslyrik in übergroßen Stadionrock zu kleiden, wüten Gallows wie schon auf ihrem Debütalbum im Hardcore. Warum um den heißen Brei herumsingen, wenn man seine Wut über die Umstände der Zeit auch brachial herausschreien kann? Obwohl - oder weil? - sie nun bei einem Majorlabel unter Vertrag stehen, haben Gallows nochmals ordentlich einen draufgepackt, was Aggressivität und schiere Wucht angeht. Es mag angesichts der quasi nicht vorhandenen Konkurrenz leicht dahingesagt klingen, aber "Grey Britain" ist tatsächlich das beste und wichtigste Punkrock-Album aus dem Vereinigten Königreich seit langer, langer Zeit. Ein Album, dessen musikalische Qualität zu keiner Zeit hinter dem Anspruch seiner Aussage zurückbleibt.
In einer gnadenlosen Tour de force aus ungezügelten Gitarren, krachendem Schlagzeug und einem völlig enthemmt kreischenden Carter halten Gallows über 50 Minuten lang einer gescheiterten Gesellschaft den Spiegel vor. "Great Britain is fucking dead", resümiert ein gleichermaßen angepisster wie trauriger Carter im letzten Song "Crucifucks", ehe schwelgerische Streicher den dramatischen Einbruch der einst so stolzen Nation untermalen. Überhaupt beherrschen Galows das Spiel mit den Emotionen für eine Hardcoreband geradezu umwerfend gut. Immer wieder streuen sie besinnliche Momente ein, in denen Carters hasserfülltes Organ kurzzeitig melancholisch, und die erhobene Faust von der Gänsehaut abgelöst wird. Der getragene Anfang der Single "The vulture" ist so ein Augenblick. Doch egal, wie dick die Streicherteppiche auch sein mögen: Nie laufen Gallows Gefahr, sich in der Kitschschlinge zu verfangen. Unnötig zu erwähnen, dass "The vulture" binnen kurzer Zeit in knüppelhartem Hardcore übergeht. Doch selbst in ihren brachialsten Momenten zeigen Gallows ein feines Gespür für Breaks, Tempowechsel und die richtige Prise Melodie. So arten "London is the reason", "I dread the night" oder "Queensberry rules" zu amtlichen Hymnen aus, an denen Black-Flag-Fanatiker genauso ihre Freude haben wie der Typ im At-The-Drive-In-Shirt.
Wie also war das nochmal mit der eintönigen englischen Musikszene, die von geklonten Indie-Hampelmännern in den immer gleichen Anzügen beherrscht wird? Gallows stechen aus diesem Einerlei heraus wie ein Basketballer in einer Kindergarten-Krabbelgruppe. Nicht nur als Speerspitze einer äußerst aktiven UK-Hardcoreszene. Auch als die Band, die eines der wichtigsten und erschütterndsten englischen Rockalben der letzten Jahre aufgenommen hat. Tanzen ist ja gut und schön und all das - es lohnt sich manchmal aber auch, in den Kampf zu ziehen.
Highlights
- London is the reason
- I dread the night
- The vulture (Acts I & II)
- Queensberry rules
- Crucifucks
Tracklist
- The riverbank
- London is the reason
- Leeches
- Black eyes
- I dread the night
- Death voices
- The vulture (Acts I & II)
- The riverbed
- The great forgiver
- Graves
- Queensberry rules
- Misery
- Crucifucks
Gesamtspielzeit: 52:11 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
@Oh |
2015-06-17 14:04:04 Uhr
Erst lesen, dann posten! |
Oh |
2015-06-17 13:28:14 Uhr
Ein Plattentests-Schreiber entdeckt auf einmal 'ne überproduzierte Mainsteampunkplatte von vorgestern. Na guten Morgen... |
Mark Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 90 Registriert seit 08.06.2013 |
2015-06-16 18:10:37 Uhr
Gerade das Album zum ersten Mal seit ungefähr vier Jahren wieder gehört. Und immer noch ein tolles Ding. Hat nichts von seinem Punch eingebüßt, knallt nach wie vor wunderbar. |
Big Sexy Noise |
2013-12-09 21:37:22 Uhr
Knallerband! BLUT, SPUCKE, ROTZE, GEKREISCHE UND GEBRÜLL - treffend! |
Walenta |
2011-08-30 12:00:28 Uhr
http://www.nme.com/news/nme/58918Klingen nun mmn wie Every Time I Die... |
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Referenzen
Refused; JR Ewing; Black Flag; At The Drive-In; The Bronx; Minor Threat; Glassjaw; Cancer Bats; Swing Kids; Atreyu; Alexisonfire; Mondo Generator; Smoke Blow; Kenzari's Middle Kata; Swing Kids; Pissed Jeans; The Blood Brothers; Escapado; Rocket From The Crypt; Breach; Poison The Well; Fugazi; Converge; Mínus
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