Crystal Stilts - Alight of night
Angular / Al!ve
VÖ: 13.03.2009
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Völlig schleierhaft
Groß ist die Vielfalt menschlicher Obsessionen. Es soll ja Leute geben, die Nacht für Nacht träumen, sie befänden sich in einer schwarzlichtdurchfluteten Garage, in der dunkel gekleidete, sonnenbebrillte Typen mit Stehschlagzeugerin auf flauschiger Auslegeware pausenlos "Just like honey" von The Jesus And Mary Chain nachspielen. Denkbare Diagnose: komplette Reizüberflutung aufgrund übermäßigen Konsums mindestens 25 Jahre alter Tonträger nebst bewusstseinserweiternder Pappe. Eine weitere mögliche Erklärung: Man träumt gar nicht, sondern wohnt gerade einem Auftritt von Crystal Stilts aus Brooklyn bei.
Genau so könnte es nämlich aussehen, wenn J. B. Townsend seiner Gitarre schwummrige Sounds entlockt, die sich großer Unschärfen und ausgiebiger Delays bedienen, während Brad Hargett verhallte Mantras über spiralenförmige Gänge und Städte unter dem Meer singt. Dazu irrlichtern nebulöse Keyboards durch die Songs, die meist nur notdürftig von Percussions und Schellenkranz zusammengehalten werden. Dass Townsend dabei ähnlich aussieht wie Lou Reed nach dem Aufstehen, und Moe Tucker seinerzeit ebenfalls im Stehen zu trommeln pflegte, kann da eigentlich kein Zufall sein. Produktion ist hier ein notwendiges Übel, das bitte so sparsam wie möglich zu halten ist, und LoFi der Bombast des kleinen Mannes. Und plötzlich wundert man sich, dass alles um einen herum von einer dünnen Schicht Feinstaub bedeckt ist.
Doch Crystal Stilts geht es um mehr als das möglichst originalgetreue Nachahmen von offensichtlichen Vorbildern. Denn die kristallenen Stelzen, auf denen das Quintett vorwärts stakst, führen zuweilen an absonderliche Orte. "The dazzled" lockt gleich zu Beginn in einen labyrinthischen Raum mit weich gepolsterten Wänden, die alles Tageslicht verschlucken. Mit verschärftem Tempo, geschwindem Fingerpicking und auf dem letzten Loch pfeifender Orgel wartet danach direkt um die Ecke lebensmüder Surf, ehe Twang-Breaks in voller Fahrt kreischend den Rückwärtsgang einlegen - und erst gefühlte Stunden später mit gedämpftem Knall irgendwo in der Nähe des Erdmittelpunkts aufschlagen. Far out.
Das Erstaunliche an diesem zeitlupenartigen Zusammenprall von verqualmter Sixties-Psychedelia, Shoegaze und Post Punk: Crystal Stilts erliegen nicht der Versuchung, ihre Songs in einem Meer aus Reverb und Feedback-Krach zu ersäufen, sondern lassen ihnen bei aller Rigidität stets Melodien und einen gewissen Swing. Manchmal sind bei Stücken wie dem entwurzelt groovenden "Graveyard orbit" sogar die Beach Boys und Tarantino-Soundtracks nicht weit. Wobei die Band clever genug ist, um zu wissen, wie weit sie gehen darf, und allzu deutliche Harmonieseligkeit oder die rettende Wendung, die Pop bedeuten würde, immer rechtzeitig abwürgt. Allzu einfach soll es der Hörer schließlich auch nicht haben. Und doch ist es gerade das Schleierhafte, scheinbar Undurchdringliche, das einem bei dieser Musik ein umnachtetes Lächeln aufs Gesicht zaubert. Wer hier Visionen hat, braucht ausnahmsweise einmal nicht zum Arzt zu gehen.
Highlights
- The dazzled
- Crystal stilts
- Graveyard orbit
- Departure
Tracklist
- The dazzled
- Crystal stilts
- Graveyard orbit
- Prismatic room
- The sinKing
- Departure
- Shattered shine
- Verdant gaze
- Bright night
- Spiral transit
- The city in the sea
Gesamtspielzeit: 37:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
|
2009-10-07 19:07:56 Uhr
umblätter |
Nils |
2009-10-07 16:40:17 Uhr
Wenn auch nichts unbedingt neues handelt es sich hier trotzdem um eine sehr gute Band. |
Deaf |
2009-10-07 08:35:47 Uhr
Gestern Abend nun mal ausgibig gehört. Ist schon eine sehr schöne Platte, würde mal 8/10 geben. Nur habe ich die Befürchtung, dass sie sich relativ rasch abnützen könnte - was ja häufig der Fall ist, wenn ein Album so schnell ins Ohr geht. |
Kugelfisch |
2009-10-07 00:21:29 Uhr
Oh, seh ich jetzt erst. Freut mich natürlich außerordentlich, wenn das wohl beste Album des Jahres auch allmählich hier Anklang findet. Klare 9/10 immer noch. |
U.R.ban |
2009-10-05 21:27:54 Uhr
Nochmal vielen Dank an Kügele für diese großartige Empfehlung. Verdammt, warum bin ich erst jetzt darauf gekommen?? |
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Referenzen
The Jesus And Mary Chain; The Velvet Underground; My Bloody Valentine; A Place To Bury Strangers; Joy Division; Gun Club; The Birthday Party; Serena-Maneesh; Spiritualized; Spacemen 3; Dead Meadow; Amusement Parks On Fire; Gravenhurst; The Twilight Sad; The Strange Death Of Liberal England; No Age; Sonic Youth; Black Rebel Motorcycle Club; Blonde Redhead; Vivian Girls; The Pains Of Being Pure At Heart; Slumber Party; Cause Co-Motion!; The Radio Dept.; Sister Vanilla; Ultra Orange & Emmanuelle; The Shortwave Set; Deerhunter; Atlas Sound; Liars; Low; Calla; Surf City; Ten Kens; The Brian Jonestown Massacre; Division Of Laura Lee; Electrelane; Galaxie 500; The Clean; The Chills; Tall Dwarfs; Television; The Strokes; The American Analog Set; The Ponys; The Longcut; Six.By Seven; Swervedriver; Secret Machines; School Of Seven Bells; Clinic; The Music; The Shining
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