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Sophie Hunger - Monday's ghost

Sophie Hunger- Monday's ghost

Universal Jazz / Universal
VÖ: 27.02.2009

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Vorsicht an den Türen

Es gibt Alben, auf die kann man nicht warten. Weil man gar nicht wüsste, wann und wo. Sie erreichen den Kopfbahnhof zu einer Uhrzeit, die sekundengenau hält, was keine Ansage versprochen hat, und fahren auf einem Gleis ein, dessen Existenz keiner Ordnungszahl bedarf. Dann sind sie einfach da, und man weiß, dass man einsteigen muss, in diesen Zug, der das Ziel kennt. Er heißt weder ICE Bruchsal noch Regionalexpress 5, sondern trägt einen würdevolleren Namen. Einen, der nach Verschwörungstheorie klingt und nach Weihrauch riecht: "Monday's ghost". Dreizehn Abteile, keines davon überfüllt, die Sitze weich gepolstert, manche ein bisschen aufgeschlitzt. Der Blick zur Gepäckablage wechselt sich ab mit dem Blick aus dem Fenster, auf eine Landschaft, die schneller rast, als die Gedanken im Kopf. Wer Sophie Hunger finden will, braucht gar nicht erst im Speisewagen zu suchen - ihre Lieder leben alleine von der Sehnsucht nach dem Aufbrechen und Ankommen.

Hungers Zuhause ist überall, wo es genügend Raum für ihre betörende Stimme gibt, die ungeheuer schwerelos und trotzdem tief verwurzelt wirkt - in einer Seele, der man nicht glauben mag, dass sie erst seit 1983 auf dieser Welt sein soll. "We engage and we dissolve / For nothing but the change", singt sie scheinbar nüchtern, aber im Hintergrund kocht die Melancholie, auf allen Feuerstellen. Es kann kein Nebenbei geben während dieser Lieder, man muss sich ihnen ganz und gar hingeben. Von verstummten, beinahe erstarrten Menschen bei ihren Konzerten ist zu lesen, nicht nur in ihrer Heimat, der Schweiz, sondern auch in Frankreich und England. Man hört von einem umjubelten Auftritt beim berühmten Montreux Jazz Festival, von Kollaborationen mit Erik Truffaz und Stephan Eicher, aber auch davon, dass Madame Hunger nur sehr ungern über ihre Lieder spricht. Es wird schnell klar, warum: Was in Musik ausgedrückt werden kann, muss nicht in Worte gefasst werden. Und was nicht in Musik ausgedrückt werden kann, ist es gar nicht erst wert, in Worte gefasst zu werden. So einfach ist das.

Ihre Songs hingegen, allesamt selbst geschrieben, sind keineswegs einfach. Aber sie tun so, als ob, und das ist die Kunst. Die Melodien, die Arrangements, die Atmosphäre - alles wirkt so natürlich und wahrhaftig und gleichzeitig so verwunschen und weitgereist, dass man es kaum fassen kann. Schon gar nicht in Worte. Diese Lieder haben etwas Naturgewaltiges, da ist Lava zwischen den Tönen und jede Phrasierung eine Jahrhundertflut, auch wenn sie ganz leise ist. Hunger schleicht und umschmeichelt, hält inne und dann von hinten die Augen zu. Sie knüpft ein Netz aus den Saiten ihrer Akustikgitarre, webt eine Endlosschleife aus den Worten "and we dream" und lockt eine Horde Posaunen in ihren selbstgebastelten Traumfänger. Die Bläser wittern Drama und Festakt zugleich, und plötzlich reißt der Himmel auf und gibt "Shape" seine Form, die vor allem eines ist: flexibel.

Diese Dame singt nicht von Häusern. Sie singt von Hinterhöfen und Vorgärten und nutzt das Dazwischen für fundamentale Gedanken: "In the backyard I grew a statue / Overwhelming and high / And I thought it was a virtue / To gaze at it and sigh." Zum Seufzen schön ist auch der Titeltrack. Klavier und Querflöte spuken durch die blickdichte Nacht, bis Hungers Stimme so hell illuminiert klingt, dass alles außer Andächtigkeit unmöglich erscheint. Aber dann: Ein Bläserensemble inszeniert eine Treibjagd, so dramatisch und authentisch, dass man erleichtert ist, als die Protagonistin die rettende Lichtung erreicht. Hunger ist ohnehin eine überaus brillante Dramaturgin - alleine schon, wie sie bei "Rise and fall" den Bogen spannt, von honigsüßem Chanson mit Bienenschwarm-Streichern über einen tollwütigen Piano-Vibraphon-Galopp hin zu einer A-Capella-Exkursion ins Schwyzerdütsche. Und als wäre nichts gewesen, singt sie direkt danach den zauberhaften "Walzer für niemand", der nur zweieinhalb Minuten braucht, um zu Tränen zu rühren: "Bald bin ich nichts / Und das, was dann bleibt / Ist Deine Wenigkeit." Was von diesem Album bleibt, passt in keinen Güterzug.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights

  • Shape
  • Monday's ghost
  • Rise and fall
  • Walzer für niemand

Tracklist

  1. Shape
  2. Round and round
  3. The tourist
  4. Birth-day
  5. Monday's ghost
  6. House of gods
  7. Teenage spirit
  8. The boat is full
  9. Rise and fall
  10. Walzer für niemand
  11. Beauty above all
  12. A protest song
  13. Drainpipes

Gesamtspielzeit: 48:50 min.

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