Björk - Vespertine

One Little Indian / Polydor / Universal
VÖ: 27.08.2001
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Der sterbende Schwan
Über einen Mangel an Etiketten, die ihr von anderen angehaftet wurden, kann sich Frau Björk Guðmundsdóttir wahrlich nicht beschweren. "Elfe", "Meerjungfrau", "Polarfee" und "Eisprinzessin" zählen noch zu den charmanteren Bezeichnungen. Bei einem war man sich aber bislang einig: So seltsam diese Frau auch erscheinen mag, so spannend und einzigartig ist ihre Musik. Mit "Debut", "Post", "Homogenic" und zuletzt "Selma songs" legte sie Alben vor, die spielerisch jegliche Erwartungshaltung pulverisierten.
Als Vorbote auf das neue Werk "Vespertine" erreichte die Vorabsingle "Hidden place" die Öffentlichkeit. "We go to that hidden place" haucht Björk dort zu knacksenden Rhythmen und verhuschten Chören. Noch verschlossener als zuletzt frönt sie ihrem extravaganten Gesangsstil und verkriecht sich wenig später gar in einen kristallinen "Cocoon". Verzückt singt sie von unerwarteter Zuneigung. Björk scheint verliebt. Unbeirrt davon mäandert statisches Knistern an verspielten Arrangements vorbei, findet aber nur selten Bindung zum Geschehen.
Im streicherdurchsetzten "It's not up to you" kratzt Björk ihre immer noch neben der Schnur verlaufenden Ratschläge zum Umgang mit einer feindlichen Umwelt gerade noch am Kitsch vorbei. "If you wake up / And your day feels broken / Just lean into the crack". Solche Risse werden immer wieder deutlich hörbar. Stand Björk bislang dafür, selbst die verdrehtesten Klimmzüge ihrer Stimmbänder in einem Spannungsbogen aufzufangen, um daraus merkwürdige Kleinode voller betörender Seltsamkeit zu erschaffen, verstecken sich mittlerweile die kleinen Stiche und Widerhaken hinter den allzu überladenen Klangstrukturen. Die Hilfe von tüftelnden Elektronikern wie Mark Bell, Matmós oder Herbert sorgt zwar meist für fein ziseliertes Klingeling im Hintergrund, aber statt dieses mit zarter Zurückhaltung wirken zu lassen, lenken klingelnde Glöckchen, ätherische Jauchzer und Streicher davon ab.
Björk wäre jedoch nicht Björk, wenn sie nicht immer wieder mit Geniestreichen wie dem brillant brummelnden "Pagan poetry" aufwarten würde. Dort ringt Björk ihrer Stimme wieder das unter die Haut gehende Röhren ab und spielt alle ihre Stärken aus. Hier durchlebt sie sämtliche Stimmlagen und findet den Mut, der elektrischen Klaustrophobie auch einmal Raum zu lassen. In solchen magischen Momenten kommt Bewegung in die zarte Abseitigkeit. Dann tänzeln plötzlich wie im von Console unterstützten "Heirloom" die Elektronen hörbar durch die Luft. "I have a recurrent dream / Every time I feel a hoarseness / I swallow warm glowing lights" flüstert sie dazu.
Im abschließenden "Unison" traut sich ein schüchterner Beat und gibt den Takt an. "I never thought I would compromise." Sanft wiegt sich Björks Stimme hin und her und zeigt dabei, daß die Magie eben doch nicht verschwunden ist. Dennoch bleibt ein eher schales Gefühl zurück. Statt der erhofft wohligen Gänsehaut läßt "Vespertine" über weite Strecken erschreckend kalt. Björks Faszination wird zwar oft genug in die Defensive gedrängt, gewinnt aber letztlich dennoch genügend Oberwasser, um nicht in so mancher aufgesetzt wirkender Halbherzigkeit zu ertrinken. Doch der einst so erhabene Schwan hat merklich Federn gelassen.
Highlights
- It's not up to you
- Pagan poetry
- Heirloom
- Unison
Tracklist
- Hidden place
- Cocoon
- It's not up to you
- Undo
- Pagan poetry
- Frosti
- Aurora
- An echo, a stain
- Sun in my mouth
- Heirloom
- Harm of will
- Unison
Gesamtspielzeit: 55:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Affengitarre User und News-Scout Postings: 10170 Registriert seit 23.07.2014 |
2022-05-18 13:30:26 Uhr
Jap. Beides unfassbare Alben, "Homogenic" ist bestimmt in meinem Top 10 überhaupt. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 28983 Registriert seit 07.06.2013 |
2022-05-18 13:29:33 Uhr
Ja, die beiden schweben für mcih deutlich über dem Rest. |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 19401 Registriert seit 10.09.2013 |
2022-05-18 13:27:10 Uhr
Ich finde Ihre gesamte Diskografie super, auch wenn nichts an das Doppel aus "Homogenic" und "Vespertine" herankommt. |
peter73 Postings: 1742 Registriert seit 14.09.2020 |
2022-05-18 12:03:23 Uhr
ich hab die "homogenic" auf der 60, hm. vespertine ist allerdings auch top, mit den ersten 4 alben kann man ja ohnehin nicht viel falsch machen, danach wird es schwieriger... |
Unangemeldeter Postings: 938 Registriert seit 15.06.2014 |
2022-05-18 06:29:30 Uhr
... Platz 2 ... :) |
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