Frida Hyvönen - Silence is wild
Secretly Canadian / Cargo
VÖ: 14.11.2008
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Hört, hört
Stille ist eine Illusion. Man muss sie sich wie eine Stereoanlage ohne Lautsprecher vorstellen: Die Musik ist immer da, nur eben nicht immer mit dem Bewusstsein verkabelt. An schlechten Tagen steht der Receiver auf Mittelwelle, und von zu viel Amateurfunk bekommt man Herzrhythmusstörungen. Das passiert vornehmlich, wenn man mit sich alleine ist, mitunter aber auch, wenn man sich in Gesellschaft befindet - auf dem Schlachtfeld des Schweigens. Wohl dem, dessen Stille wie Frida Hyvönens neues Album klingt, das wiederum seine ganz eigene These aufstellt: "Silence is wild". Die Stille als Schwertfisch oder Säbelzahntiger, vielleicht auch als Fabelwesen mit messerscharfen Krallen, einem stolzen Schweif und drei Köpfen, einer schlauer als der andere. Vor allem aber: Die Stille als zähmbares Geschöpf.
Dass Hyvönen auf dem Coverfoto im Leopardenkleidchen posiert, ist natürlich eine äußerst charmante Taktik, um sich das Vertrauen der Stille zu erschleichen. Die Raubkatze gilt als mindestens so wild wie sie und weiß vor allem um ihre geheime Existenz als Illusion. Denn wenn der Mensch schon längst die Anwesenheit der Stille zu spüren glaubt, streift sie in Wahrheit noch rastlos durchs Unterholz, auf der Pirsch nach dem nächsten Moment, der nicht in Worte zu fassen ist. Und das entgeht sensiblen Leopardenohren natürlich nicht. Mit genau dieser Sensibilität hält "Silence is wild" die Zügel in der Hand, und die Stille wird zur ergebenen Komplizin - sie verleiht Flügel. In diesem Fall vermutlich einen Steinway, der mindestens in einem Dom steht. Und viel mehr ist auch gar nicht nötig, um ein Album von berückender Schönheit aufzunehmen. Frida Hyvönen beweist es.
Während Illusionen Bauwerke sind, die konstruiert werden wollen, leben Hyvönens Stücke von ihrer Unmittelbarkeit. Schon ihr vor zwei Jahren veröffentlichtes Debüt "Until death comes" begann so direkt und ohne Vorwarnung, als würde sie noch schnell in einen bereits angefahrenen Bus springen. Dabei fällt die Schwedin ausschließlich mit der Hintertür ins Haus, so stilsicher und hingebungsvoll, dass man ihr gleich das Gästezimmer zeigen möchte. Denn sie erzählt Geschichten, die über Nacht bleiben. Und noch viel länger. Man würde es ihr auch - und zwar ohne auf den Preis zu schielen - sofort abkaufen, dass jede einzelne davon ihre eigene ist. Zum Beispiel diese äußerst persönliche Version von "Dirty dancing", die zu zartbitteren Pianoklängen die Choreographie einer Jugendliebe nachtanzt und zum Schluss nüchtern, aber nicht ohne Melancholie feststellt: "I guess you do the dirty now / And I do the dancing."
Die Drecksarbeit ist normalerweise der undankbare Job des Produzenten, der sich hier jedoch wohl kaum die Finger schmutzig machen musste: Vieles klingt so, als habe Jari Haapalainen, der auch bei Ed Harcourts Meisterwerk "The beautiful lie" Regie führte, einfach nur ein Mikrofon aufgestellt. An genau der richtigen Stelle. Und wird es dann doch mal etwas opulenter, wie bei "Science", einem himmelhohen Abgesang auf die Ratio, oder der fernöstlichen Romanze "Oh Shanghai", dann stets mit schlangenmenschlicher Eleganz und einer intuitiven Schwebebalken-Balance, die kaum zu fassen ist. Auch "Birds" sorgt für Erstaunen: Hyvönen groovt sich an der Seite von Cello, Percussion und Synthesizer bis zur Beinahe-Explosion. "Scandinavian blonde" hingegen verfrachtet unerwünschte Stereotypen mit diebischer Freude in ein Honky-Tonk-Piano, "The enemy within" zieht völlig überraschend einen schillernden Broadway-Moment aus dem Ärmel, und "Highway 2 U" besitzt die Sehnsuchtsdichte des Lebenswerkes von Rosamunde Pilcher - aber nicht in Rosa, sondern in tiefdunklem Nachtblau. Nach 48 Minuten führt die Stille wieder ihren Trick vor, aber spätestens jetzt wird auch der Letzte merken, dass sie nichts als eine Illusion ist. Dieses Album hallt noch lange nach.
Highlights
- Dirty dancing
- Science
- Birds
- Oh Shanghai
Tracklist
- Dirty dancing
- Enemy within
- Highway 2 U
- London!
- My cousin
- Science
- Scandinavian blonde
- December
- Birds
- Pony
- Sic Transit Gloria
- Oh Shanghai
- Why do you love me so much
Gesamtspielzeit: 47:49 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Chacidy |
2012-07-08 21:24:12 Uhr
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Ina Simone Mautz |
2009-02-10 17:00:12 Uhr
Äußerst charmantes Konzert letzten Samstag in Berlin. War noch jemand da? Frau Hyvönen am Flügel, begleitet von Bassistin/Cellistin und Schlagzeugerin, allesamt im Wildkatzen-Look gekleidet (passend zum Albumtitel "Silence Is Wild"). Ihre Stimme ist live wirklich umwerfend und überhaupt...ach, seht doch selbst:"Dirty Dancing" live at Admiralspalast, 07.02.09 |
Florian |
2009-02-10 04:45:34 Uhr
Oh ja, sehr !!! |
LostInACity |
2009-02-08 11:36:57 Uhr
Dirty Dancing ist großartig. |
Obrac |
2008-12-19 21:42:49 Uhr
Nicht ohne Grund mein Album des Jahres! Und "Dirty Dancing" ist übrigens mein Song des Jahres...Auf jeden Fall mittlerweile auch bei mir ziemlich oben dabei, der Song, und das Album dürfte sich auch noch in meinen Jahrescharts einreihen.. abgeschlagen allerdings im Vergleich zu der in ihrer engelsgleichen Erhabenheit, in ihrer geradezu aphrodisiernden Betörung unerreichten, dieser ganz und gar ergötzlich berauschenden neuen No-Man-Platte. Dennoch muss ich natürlich einräumen, dass ich mich in rein sexueller Hinsicht eher Frida Hyvönen hingeben würde als Tim Bowness oder Steven Wilson. Da würde ich mich schon festlegen. |
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Referenzen
Joni Mitchell; Judee Sill; Vashti Bunyan; Laura Nyro; Amanda Rogers; Kate Bush; Carole King; An Pierlé & White Velvet; Sandy Denny; Antony & The Johnsons; Nina Kinert; Ane Brun; Britta Persson; ; Fjarill; Dear Euphoria; Mattias Alkberg; Jolie Holland; Valery Gore; Chris Garneau; Sophie Zelmani; Marit Bergman; Feist; Anna TernheimJenny Lewis; El Perro Del Mar; Amanda Palmer; Regina Spektor; Joanna Newsom; A Fine Frenzy; Joan As Police Woman; Ed Harcourt; Jens Lekman; Rufus Wainwright; Martha Wainwright; Ben Folds; Duke Special
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