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Grace Jones - Hurricane

Grace Jones- Hurricane

Wall Of Sound / PIAS / Rough Trade
VÖ: 07.11.2008

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kool killer

Neben Tennis, Pac Man oder Ghostbusting war das Lieblingsspiel der 1980er bestimmt jenes mit der Popkultur und ihren Zeichen. Mittendrin: Grace Jones. Beziehungsweise irgendwie doch nicht. Denn Jones spielte nie, sie beherrschte die Zeichen. Ihre Körperlichkeit war harsch, scharf begrenzt, beeindruckend, ja einschüchternd. Dennoch machte sie nie einen Hehl daraus, dass es ihr wohl größtes Talent ist, von allen Seiten formbar zu sein. All die popkulturellen Entwürfe, die aus der freien Bespielbarkeit der Zeichen ihre Madonnas und Michael Jacksons erschufen, prallten an dieser dichten Schizophrenie unweigerlich ab. Wenn überhaupt, so funktionierte Formbarkeit bei Jones durch Zerstörung. Weshalb hinter ihrer Popularität stets ein viel härteres und bodenloseres Pfund steckte, als es die übrigen Ikonen in ihrem Spieltrieb vermitteln konnten.

Die Rückkehr der mittlerweile 60jährigen Jones nach knapp 20 Jahren macht all diese Ebenen in einem genialen Coup ruckzuck wieder deutlich. "Corporate cannibal", die Vorabsingle zum Album, schubst Jones' Maschinensprache in einen aufbrausenden Trip-Goth-Koller und ihren Körper in ein Video, das die Zerstörungskraft sofort konkretisiert. Jones' Stimme flackert wie längst erkaltetes Weltraumlicht durch den Song, während ihr Gesicht zu Alienschädeln, insektoiden Heuschreckenformen und schwarzem Rauschen verwüstet wird. Wenn dann noch Zeilen erklingen wie "I'll consume my consumers with no sense of humour", haben die Blog-Theoretiker ihre Tastatur im Namen von Karlchen Marx und Gilles Deleuze schon längst gespitzt (dabei allerdings ausgerechnet Deleuzes Geschichtsmaschine außen vor gelassen). Zu Recht, denn "Corporate cannibal" ist schizoide Selbstreflexion in Formvollendung - und wirkt wie ehedem beeindruckend, harsch und einschüchternd zugleich.

Nun hilft der beste Vorschusslorbeerkranz kaum etwas, wenn auf Tonträger doch nur Ungekröntes herauskommt. Um das zu verhindern, erinnerte sich Jones an alte Seilschaften und holte mit Sly & Robbie genau die Crew wieder an Bord, die ihr einst für "Nightclubbing" den richtigen Kick verpasste. Zudem mischen Tricky, Brian Eno oder Tony Allen ordentlich mit. "Hurricane" funktioniert auch in ihrem Namen größtenteils hervorragend. Dub und Reggae werden stets griffbereit gehalten, kontrollieren sich jedoch im Zuschnitt auf Jones' Gästeliste und Potential. Die düsteren Gospelchoräle von "Love you to life" oder "Devil in my life" erinnern an die besten Zeiten der Fugees, die schillernde Gangart von "William's blood" an frühe Massive Attack, der strahlkräftige Soul von "I'm crying (mother's tears)" ebenso an Portishead wie an Madonnas "Ray of light". Eine Menge Clubkultur der letzten 20 Jahre wird hier souverän aufgebockt und ausgequetscht, steht aber auch hörbar zu Jones' Ehrerbietung bereit. Hervorzuheben sind außerdem die echt vergrätzten Gitarrenschläge, die durch "This is" oder eben "Corporate cannibal" fegen. Säuerlich schmeckende Fliegenfänger, jeweils am genau rechten Fleck, um die Aufmerksamkeit hoch zu halten.

Lediglich Jones' Stimme erweist sich ab und an als Intensitätsbremse. In all ihrer abgespeckt sprechsingenden Dramatik wird sie zum einzigen Tool, das die Weltenstürmerei des Gesamtkonzepts in die Profanität des musikalischen Datenträgers überführen kann. Genau deshalb muss sie selbst zum Prinzip werden, zu einem Icon, das das Maschinelle ebenso transportiert wie das körperlich Gestählte und Unbarmherzige. In ihren besten Momenten entflieht Jones dennoch in ihre Gospelchor-Erziehung oder in eine Laszivität, die sie mit einer weiteren großen Ice-Queen der 1980er, Siouxsie Sioux, teilt. Wo in deren Stimmbändern aber stets auch das Freiheitliche und vielleicht naiv Romantische wohnten (da schwarze Kleidung auf weißer Haut nun mal ganz andere Kämpfe fordert als anders herum), dort muss sich Jones zum Wohle der eigenen Ikonographie beständig an die Kandare nehmen und gleich wieder selbst dementieren.

Dass dieser Widerruf im Fluss geschieht und keine hörbaren Schrecksekunden in Jones' Intonation zurücklässt, unterstreicht wiederum die Hyperkonsequenz des Projekts. Und macht schließlich fast jeden Boden wieder gut. "Hurricane" ist ein Album, das in Anbetracht all der Strenge, die Jones' Musik und Figur umgibt, kaum leidenschaftlicher hätte ausfallen können. Die Zeichen, sie standen auf Beherrschung - und stehen nun auf Sturm.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights

  • William's blood
  • Corporate cannibal
  • Devil in my life

Tracklist

  1. This is
  2. William's blood
  3. Corporate cannibal
  4. I'm crying (mother's tears)
  5. Well well well
  6. Hurricane
  7. Love you to life
  8. Sunset sunrise
  9. Devil in my life

Gesamtspielzeit: 48:51 min.

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