The Walkmen - You & me
Gigantic / Talitres / Rough Trade
VÖ: 10.10.2008
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Hätte, wenn und aber
Es gibt eine Menge zu hören auf dem neuen Album von The Walkmen, aber das Scharren ihrer Hufe ist nicht dabei. Während die jüngsten Platten von Krach-Neugestaltern wie No Age und Times New Viking quasi mittendrin losgingen und dem Indierock 2008 damit Richtung (vorwärts) und Lautstärke (11) vorgaben, scheint sich "You & me" regelrecht dagegen zu sträuben, einen Anfang nehmen zu müssen. "Dónde esta la playa" heißt der erste neue Walkmen-Song seit runden zwei Jahren, und er hat wirklich keine Ahnung, wo er hin will: Gitarre und Bass belauern sich mit misstrauischen Augen, Hamilton Leithauser singt widerwillig "It's back to the battle today" und später von "a handful of strangers, all friends of mine". Keiner weiß hier irgendwas, und The Walkmen hängen ein 70-sekündiges, scheinbar zweckloses Instrumental hintendran.
Was hier tatsächlich passiert, ist eine Band, die ihre Sprache wiederfindet, die Selbstbestätigung und -versicherung von fünf Musikern, die natürlich nie tot waren, aber seit ihrer Meisterplatte "Bows + arrows" doch sehr ins Dümpeln geraten waren. Fast fünf Jahre lang sind The Walkmen einfach nur noch eine Band gewesen, na wenigstens aus New York City. Jetzt haben sie das Lied "Red moon" auf der neuen Platte, mit dem sie wie aus Versehen ein ganzes Universum auffalten. Der Schellenkranz scheppert ein bisschen, die Gitarre schlägt sich beiläufig von selbst an, und kathedralenfertige Sufjan-Stevens-Bläser bleiben als letztes tragendes Element übrig. Leithauser singt "You shine like the steel on my knife", die Lautstärke (1) ist zurück, die Richtung (nach Hause) sowieso. The Walkmen sind es auch.
"You & me" ist aber viel mehr als der einsame alte Mann und das Meer, sein verlorenes Mädchen und die Selbstmordgedanken dazu. Gleich hinter dem Anschleicher-Anfang steht "On the water", kein weiteres Seefahrer-Lied, sondern gewissenhaft überkochende Rockmusik, die im finalen Kontrollverlust ihre Rätselhaftigkeit logisch zu Ende denkt. Geheimnisvoller haben The Walkmen nie geklungen, und natürlich drehen sie gleich wieder um, tarnen das unglaublich verbohrte Liebeslied "In the new year" als euphorischen Silvester-Song mit feierlichem Orgel-Zuspruch. "Our troubles are over / My sister's a medic", heißt es diesmal - Erlösung auf Rezept und gleich wieder ein Neubeginn. "Seven years of holidays" ist die inoffizielle, natürlich nicht autorisierte Bandbiographie, ein Song mit Marschgetrommel, Keyboardstreichern und noch so einer trägen In-den-Seilen-Gitarre.
Die Neuanfänge auf "You & me" sind nie wirkliche Alternativen, eher ein Ergeben in längst beschlossene Zustände. The Walkmen schöpfen ihre Kraft aber gerade aus dieser Gewissheit, sie klingen wärmer und ausgeglichener als bisher, gehen selbstbewusster in die Breite und erfinden nicht sich, sondern den Umgang mit ihrer immer schon eigenen Rockmusik neu. "Canadian girl" kann seinem seltsam aufgeweichten Gitarrensound deshalb gleich die nächste Runde Erhabenheits-Bläser reindrücken, "Four provinces" seine verwaschene Melodie gegen jederzeit gewaltbereite Percussion aufbieten und "The blue route" noch mal die Grundfeste der Platte erschüttern. Dass Leithausers Stimme dabei zusehends ihre Konturen verliert, gehört natürlich zum höheren Plan, der letztlich jede Verzweiflungstat auf "You & me" ins Nichts laufen lässt. "It's one more silver lining for the weekend" - wenn alles vorbei ist, kann man nur noch weitermachen.
Highlights
- On the water
- In the new year
- Red moon
- The blue route
Tracklist
- Dónde esta la playa?
- Flamingos (For Colbert)
- On the water
- In the new year
- Seven years of holidays (For Stretch)
- Postcards from tiny islands
- Red moon
- Canadian girl
- Four provinces
- Long time ahead of us
- The blue route
- New country
- I lost you
- If only it were true
Gesamtspielzeit: 51:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2023-01-05 12:11:43 Uhr
Muss ich defintiv auch mal wieder hören. In The New Year ist auf jeden Mal auch mein Lieblingsneujahrssong. Hab mal versucht den auf der Gitarre zu lernen, kriegs aber nicht so richtig flüssig hin. Das ist jetzt mein Guter Vorsatz. |
Deaf Postings: 3082 Registriert seit 14.06.2013 |
2023-01-04 22:15:33 Uhr
Habe ich auch gerade mal wieder gehört. Der Anfang ist für mich immer noch am stärksten, wie einem dieses Duo "Donde esta la playa?" und "On the water" reinzieht in die Platte mit seinen Bassläufen und dieser einzigartigen Stimmung... |
fakeboy Postings: 5605 Registriert seit 21.08.2019 |
2022-12-30 09:21:28 Uhr
In The New Year ist abwechselnd mit The New Year von Death Cab For Cutie jeweils mein erstes im neuen Jahr gehörtes Lied. You And Me ist meine liebste Platte von ihnen, gefolgt von A Hundred Miles Off.Auch sehr toll sind die Solo-Alben von Hamilton Leithauser. A 1000 Times ist ein wahnsinnig guter Song. |
carpi Postings: 1714 Registriert seit 26.06.2013 |
2022-12-30 09:07:23 Uhr
Tolles Album, ja, das Debüt ("Everyone who pretended to like me is gone", dessen Cover wohl die Peaky Blinders-Macher inspiriert hat:) gefällt mir aber noch besser.Auf diesem Werk sehr stark: On the Water In the new year (sollte man am 1.1.23 hören) Red Moon (10/10) Lagerfeuerromantik mit wunderbaren Bläsern The Blue Route I lost you Eine der guten Nachrichten des Jahres, dass sie wieder aktiv sind. |
saihttam |
2013-03-23 23:06:01 Uhr
ach, was ein tolles Album! fast bei jedem Song Gänsehaut. Ist wohl meine Nr. 2 hinter 'Bows & Arrows' in der Walkmen-Diskographie. |
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Referenzen
Tapes 'N Tapes; Cold War Kids; Clap Your Hands Say Yeah; Hallelujah The Hills; Southeast Engine; The French Kicks; The Ponys; Modest Mouse; Wolf Parade; Sunset Rubdown; Menomena; The Double; Calla; Low; The Black Heart Procession; Madrugada; The Modern Lovers; Blitzen Trapper; My Morning Jacket; Wilco; British Sea Power; Arcade Fire; Eagle*Seagull; Port O'Brien; The Cure; The National; White Rabbits; Spoon; Destroyer; Handsome Furs; Bob Dylan; Elvis Presley; Roy Orbison
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