Philipp Poisel - Wo fängt Dein Himmel an?
Grönland / Ferryhouse / Warner
VÖ: 29.08.2008
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Das Kuschelnuscheltier
Perfektion langweilt. Egal, ob es sich um Gebäude, Gesichter oder Gesang handelt. Symmetrisch aufeinander getürmte Steine und Ziegel, gleichmäßige Nasen und ein zurechtgezimmerter Liedaufbau werden dann aber doch bei einer erschreckend großen Anzahl von Menschen als ideal empfunden. Werden bezogen, gerne angesehen und rauf und runter gehört. Perfekte Dinge nisten sich ohne größere Probleme im Leben ein, allerdings nutzen sie sich auch ziemlich schnell wieder ab. Vielleicht, weil es immer wieder tollere Dinge gibt, oder, weil zu perfekte Dinge, Menschen und Musik mit ihrer Sicherheit, überall sofort anzukommen, einfach nerven.
Muss Musik aber immer depressiv und düster sein, um zumindest mal als akzeptabel durchzugehen? Schöne Menschen sind schließlich auch nicht automatisch Arschlöcher und schicke Villen haben mit Sicherheit auch praktische Aspekte. Schöne Texte und geklampfte Melodien müssen nicht gleich für Millionen sein, wenn zum Beispiel der Sänger eine Tendenz zur Nuschelstimme hat. Philipp Poisel heißt der 23-jährige Ludwigsburger, dessen Musikstil sich so beschreiben lässt: Er klingt wesentlich älter und reifer, als er aussieht. Passt dieses zarte, rotbackige Gesicht doch irgendwie gar nicht zu der Tiefe seiner Texte und seiner Zeit als Straßenmusiker in Osteuropa und Schweden. Vielleicht schwingen die Erlebnisse und Begegnungen mit anderen Kulturen mit, wenn er von Pop und Schlager geprägte Lieder über Beziehungen singt. Wie auch immer: Poisel wirkt authentisch. Weil er keinen Künstlernamen wollte, hätte er fast sogar eine eigene Plattenfirma gegründet. Schließlich fand er aber in Herbert Grönemeyers Grönland doch noch Unterstützung. Zugegeben: Ähnlichkeiten sind nicht ganz von der Hand zu weisen.
Auf den ersten Blick beginnt "Wo fängt Dein Himmel an" ziemlich zuckersüß mit "Halt mich": Hier ein paar Geigen, melancholische Musik, Texte über eine vergangene Liebe in Schweden. Und auch der Rest steht dem scheinbar erstmal in nichts nach. Dennoch erscheint, hat man sich erstmal durch den anfänglichen Zuckerguss gehört, jede Note und jede Zeile hundertprozentig ehrlich, und scheint jedes eingesetzte Instrument genau an der richtigen Stelle aufzutauchen. Es sind Poisels Ehrlichkeit und seine manchmal holprig-kindliche Sprache, die Authentizität schaffen: "Weil Du Heimat und Zuhause bist / Weil bei Dir mein Bauchweh aufhört". Die sehr bilderreichen und detaillierten Texte spinnen zu jedem Lied ein Musikvideo vor dem inneren Auge. Dabei besingt Poisel nicht nur seine Angebetete, sondern hat auch noch Zeit, an Pistazieneis zu denken. Spätestens "Mit jedem Deiner Fehler" lässt Mädchenherzen höher schlagen: "Du bist so herrlich überheblich / So wunderbar arrogant / Ganz schön eingebildet / Dafür ernenn' ich Dich zur Königin von meinem Land."
Doch dieser Junge mit der Gitarre ist nicht nur ein schmusiger Balladenträllerer, nein, er mag es auch "Unanständig". Schnoddrig und mit verzögert-verschlafenem Rhythmus stolpert das Lied los und malt dann eine leichtfüßig-unkomplizierte Beziehungsstimmung. So wirkt "Wo fängt Dein Himmel an?" authentisch und gut nachvollziehbar, weswegen sich all die kuscheligen Momente nicht nervig häufen, sondern man sich im Gegenteil an sie schmiegen möchte. Ganz ohne Neid entsteht der Wunsch, "Wo fängt Dein Himmel an?" geschaffen zu haben - oder zumindest doch die Muse für wenigstens einen Song darauf zu sein.
Highlights
- Mit jedem Deiner Fehler
- Unanständig
- Wer braucht schon Worte
- Durch die Nacht
Tracklist
- Wo fängt Dein Himmel an
- Halt mich
- Als gäb’s kein Morgen mehr
- Ich und Du
- Herr Reimer
- Mit jedem Deiner Fehler
- Wie Du
- Unanständig
- Seerosenteich
- Wer braucht schon Worte
- Irgendwann
- Durch die Nacht
- Schweigen ist Silber
Gesamtspielzeit: 57:06 min.
Referenzen
Hansen Band; Tele; Herbert Grönemeyer; Element Of Crime; Reinhard Mey; Tom Liwa; Flowerpornoes; Kettcar; Echt; Kim Frank; Udo Lindenberg; Jack Johnson; Tomte; Rio Reiser; Bernd Begemann; Jan Plewka; Tocotronic; Clueso; Xavier Naidoo; Söhne Mannheims; Heinz-Rudolf Kunze; Konstantin Wecker; Selig; Blumfeld; Kante
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