Okkervil River - The stand ins
Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 12.09.2008
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Mehr Licht
Wer behauptet, bei Okkervil River tickten die Uhren rechtsrum, führt seine Zuhörer natürlich in die Irre. Bei der Begegnung mit ihrem fünften Album "The stand ins" kann sich aber trotzdem der Gedanke einschleichen, dass Will Sheff und Co. in der Entwicklung ihrer Band die Jahreszeiten rückwärts durchleben. Die ersten Platten waren noch von dunkler, karger, trister Schönheit - perfekte Begleitmusik für schummrige Herbst- und Wintertage. Im Lauf der Jahre hat sich der Klang von Okkervil River allerdings nuancenweise aufgehellt, sodass es vor zwölf Monaten gar keine so große Überraschung mehr war, als mit "The stage names" viele der ehemals dunklen Wolken über Austin, Texas aufrissen. Knackiger, luftiger, schmissiger und beschwingter waren die Songs - und "The stand ins" ist die verlorene Hälfte der gleichen Aufnahmesessions, die den grandiosen Vorgänger ursprünglich zum Doppelalbum aufmotzen sollte. In einem Anflug von Vernunft entschied sich Sheff doch noch gegen diesen Plan und bringt die übrig gebliebenen Songs nun mit einjähriger Verspätung als eigenständige Platte heraus. Wer die tiefe Schwermut, die herzzerreißenden Ausbrüche und die verzweifelte Schönheit der Frühwerke von Okkervil River sucht, wird womöglich zur Lupe greifen müssen. Spielwitz, ausgefeilte Arrangements und Inbrunst aber sind geblieben und weiterhin vorbildlich.
Nach dem ersten der drei namensgebenden "Stand ins" - kurzen, flirrend-sphärischen Instrumentalstückchen, die die Songs umrahmen - schringelt die Gitarre los, das Banjo plinkert, und Sheff erhebt seine kehlige Stimme. Kurz darauf beginnt der Bass vergnügt zu wippen, und mit beschwingten Grooves und geschüttelten Schellenkränzen nimmt "Lost coastlines" Fahrt auf. Während der munter vorwärts tanzenden Strophen erinnert der Gastgesang von Jonathan Meiburg (Shearwater) in seiner Baritonlage entfernt an Morrissey, ehe sich die Band zu famosen "La-la-la"-Mitsingchören emporschaukelt. Fünfeinhalb Minuten großes Indiepop-Kino zu Beginn, gefolgt vom simpel-schönen Country-Stampfer "Singer songwriter". Es sind keine großen Sprünge, die Okkervil River genommen haben. Doch die Feineinstellung macht den Unterschied. "Starry stairs" flicht sogar einen dezenten Hauch von Soul/Funk-Bläsersätzen in sein raues Folkballaden-Gerüst, das mit schwurbelnden Orgeln und Streicherteppichen ausgepolstert und einer gehörigen Portion Popappeal überzuckert wird.
Erst mit dem traurig-zarten "Blue tulip" weht ein Hauch des alten, herbstlichen Okkervil-River-Geistes durch die Platte. Minutenlang nur karge Akkorde und sehnsüchtige Zeilen unerfüllter Liebe, innig geseufzt. Erst spät von schleppenden Grooves vorwärts getragen, bäumt sich das Stück auf, wird immer mächtiger, türmt Schicht auf Schicht samt großem Gitarrensolo, kostet seine Refrainharmonien in Endlosschleife aus, zerrissen, rau, hymnisch. "Pop lie" galoppiert als Gegenentwurf mit angepunktem, ruppigem Wüstenrock weiter, ehe "On tour with Zykos" noch einmal von Klaviersprenklern flankiert und mit fast lieblichen Falsett-Einlagen von Sheff ins Balladenfach wechselt. "Calling or not calling my ex" gibt noch ein klein wenig Gas, ehe nach kurzem Instrumental-Zwischenspiel "Bruce Wayne Campbell interviewed on the roof of the Chelsea Hotel, 1979" auf die Schlussetappe geht. Mystische Klangflächen wabern, aus denen sich nur allmählich eine Melodie auf der Suche nach ihrer eigenen Form hervorschält. Mit niedrigstem Ruhepuls gleitet das Stück vorwärts, verdichtet sich, wird klarer, zupackender. Wieselflinke Besenstriche kehren das Phlegma zur Hintertür hinaus, erwecken die müde Songmasse zum Leben und treiben die Truppe zu ihrem letzten großen, mitreißenden Refrain.
Dann ist die bislang sommerlichste Platte von Okkervil River zu Ende und die Band dem Pop noch ein Stück näher auf die Pelle gerückt. Vielschichtig, wandelbar und mit vielen großen Momenten gespickt, gibt sich die "B-Elf" von "The stage names" klarer. Noch immer ist nichts wirklich glattgeschmirgelt, der Lack hat weiterhin charmante Kratzer. Doch bleibt "The stand ins" in Punkto Intensität ein Stück hinter seinem Vorgänger zurück, verzichtet weitgehend auf den Brückenschlag zwischen vergnügten Endorphinschüben und berstendem Weltschmerz. Es bleibt eine Platte voll hinreißender Melodien, pfiffiger Ideen und feiner Details, mit mehr als nur einer Handvoll begeisternder Songs, die den stilistischen Fächer der Band noch ein Stück weiter aufziehen und durchaus länger als nur einen Sommer tragen können. Also wahrlich keine schlechte Hälfte, die da im vergangenen Jahr übrig geblieben ist.
Highlights
- Lost coastlines
- Starry stairs
- Blue tulip
- Bruce Wayne Campbell interviewed on the roof of the Chelsea Hotel, 1979
Tracklist
- Stand ins, one
- Lost coastlines
- Singer songwriter
- Starry stairs
- Blue tulip
- Stand ins, two
- Pop lie
- On tour with Zykos
- Calling and not calling my ex
- Stand ins, three
- Bruce Wayne Campbell interviewed on the roof of the Chelsea Hotel, 1979
Gesamtspielzeit: 40:17 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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jeffrey goines |
2012-12-14 22:41:52 Uhr
don' fall in love with everyone you see - 8/10down the river of golden dreams - 9/10 black sheep boy & appendix - 9/10 the stage names - 9/10 the stand ins - 7/10 i am very far - 6/10 die letzte fängt einfach zu schwach an, schwingt in der mitte gut und bietet gegen ende auch ein paar ausfälle. ansonsten, tolle band. |
mispel |
2012-11-30 17:48:19 Uhr
"I Am Very Far" fand ich schon eher enttäuschend, zumindest verglichen mit den Vorgängern. Vor allem fehlen dem Album wirklich herausragende Songs, die auf den Vorgängern zu Hauf vertreten waren. Aber als schlecht würde ich es nicht bezeichnen. |
Vashyron |
2012-11-30 17:16:04 Uhr
Die ist tatsächlich ein bisschen schwächer als alles davor. Vor allem der Sound ist da seltsamerweise ziemlich glattgebügelt. Trotzdem empfehlenswert. |
The MACHINA of God |
2012-11-30 17:10:50 Uhr
Und die "I am very far"? |
retro |
2012-11-30 17:10:30 Uhr
okayes album, aber schwächer als der vorgänger und maximal eine 7/10. |
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Referenzen
Shearwater; Neva Dinova; Willard Grant Conspiracy; Bright Eyes; Conor Oberst; The Decemberists; Neutral Milk Hotel; Port O'Brien; Hallelujah The Hills; Devotchka; David & The Citizens; Bonnie 'Prince' Billy; Phosphorescent; Simon Joyner & The Fallen Men; Wilco; Miles Benjamin Anthony Robinson; Elliott Smith; Tom Petty; Bruce Springsteen; Neil Young; Pearl Jam; American Music Club; Mark Eitzel; Sparklehorse; Magnolia Electric Co.; Songs: Ohia; Sun Kil Moon; Absentee; Björn Kleinhenz; Boy Omega; An Angle; The Good Life; The Weakerthans; Arcade Fire; Eagle*Seagull; Southeast Engine; Midlake; The Golden Virgins; Beirut; Bob Dylan; Leonard Cohen
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