Bon Iver - For Emma, forever ago

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 16.05.2008
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Sich selbst genug
Zwischen November 2006 und Januar 2007 wurde Justin Vernon sein eigener Alexander Supertramp. Die letzte Band, in der er gespielt hatte, war gerade zerfallen, der Sinn stand ihm nach Abgeschiedenheit. Also zog er sich in die Wälder Wisconsins zurück, verbrachte den Winter in der verlassenen Blockhütte seines Vaters und ging nur vor die Tür, wenn er Holz hacken oder Hirsche erschießen musste. Den Rest seiner Zeit verbrachte Vernon mit dem Formen, Festhalten und Ausformulieren der Gedanken, die ihn in die Isolation getrieben hatten - mit Rekorder, Gitarre, Horn und kleinem Drumkit saß er am Feuer und schrieb Songs. Neun davon sind "For Emma, forever ago" und die eigentliche Sensation an dieser Geschichte. Wichtig ist nicht, warum Vernon ausstieg, wohin es ihn verschlug und wie er überlebte. Es zählt allein, dass er zurückkam, und was er im Gepäck hatte.
Dabei zunächst enttäuschend: Vernon hat die Platte nachbearbeitet, sich mit einigen Freunden getroffen, Zweitstimmen, Bläser und Dinge hinzugefügt, die im Wald allein schon daran gescheitert wären, dass es keine Steckdosen gab. Sein Debüt als Bon Iver ist deshalb nur auf den ersten Blick ein sehr reduziertes, dann aber doch überraschend umtriebiges Album. Schlagzeug und Bass entwickeln im instrumentalen "Team" große Eigeninitiative, und die Trompeten und Posaunen über den tapfer durchgehaltenen Gitarrenakkorden des Titelstücks könnten ähnlich ausschweifend auch in Sufjan Stevens Erdkundebuch notiert sein. Im Endeffekt sind kleine Inkonsequenzen im Konzept ohnehin ganz entscheidend für das Gelingen von "For Emma, forever ago". Man kann immer noch hören, wie Vernon sich auf sein Mikrofon zubewegt, einen Schritt zurückgeht oder am Ende die Gitarre weglegt. Mit gutem Recht hat er aber auch das Beste und Letzte aus seinen Songs herausgeholt.
Dass und wie hier zwei Welten zusammenprallen, zeigt schon der schizophrene Aufbau des zentralen "The wolves (Act I and II)". Teil eins ist die intimste, leiseste Momentaufnahme des Albums, gestützt allein auf Vernons Stimme und ein paar lose Griffe in die Stahlsaiten. Teil zwei lädt Schubkarren voller Schlagzeugschutt über dem sensiblen Stück aus und verfolgt die lautesten, klarsten Absichten der nicht immer leicht zu greifenden Platte. Die Botschaft indes bleibt zweimal die gleiche: Einsamkeit lauert im größten Trubel genauso wie in der entlegensten Jagdhütte. Sie ist eigentlich ständig da, man bemerkt sie nur nicht immer. "For Emma, forever ago" schneidet alles auf diese Erkenntnis zu; es lässt seine Songs kurz in der Luft hängen, wenn ihm etwas Wichtiges einfällt, und scheint für jede Eventualität zu planen, die einer Sammlung von Liedern passieren kann. Aber egal, wohin die Platte abschweift - sie findet immer zurück, bringt immer alles zu Ende. Ein Album der Vergessenen kann es sich nicht leisten, irgendetwas zu vergessen.
Es ist Vernons Stimme, die letztlich für Zusammenhalt sorgt, ein waghalsiges, aber nie wackliges Falsett, mit dem er Gospelchöre leiten oder dritter Sänger von TV On The Radio werden könnte. Dass auch sie aufwändig arrangiert, mitunter sogar vervielfacht und vielfach in Szene gesetzt wurde, war möglicherweise die wichtigste Entscheidung an einer Platte, die vor allem darüber kommuniziert, wie und nicht was Vernon singt. Seine Texte erlauben sich viele Unschärfen, brechen Sätze ab und verbohren sich in Wortspiele. Trotzdem läuft man nie Gefahr, "For Emma, forever ago" misszuverstehen - und weiß damit schon alles, was es über dieses Album zu wissen gibt. Von Vernon wird man ohnehin nicht mehr erfahren. Er hat sich gerade wieder in die Wildnis abgesetzt und baut da jetzt ein Studio hin.
Highlights
- Flume
- Skinny love
- The wolves (Act I and II)
- For Emma
Tracklist
- Flume
- Lump sum
- Skinny love
- The wolves (Act I and II)
- Blindsided
- Creature fear
- Team
- For Emma
- Re: Stacks
Gesamtspielzeit: 37:12 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Gomes21 Postings: 4755 Registriert seit 20.06.2013 |
2017-11-01 14:25:01 Uhr
Ich habe das Album geliebt, aber der Bon Iver Zauber ist für mich irgendwie verflogen. Einzelne Songs bleiben stark, aber die Magie der Alben spüre ich überhaupt nicht mehr. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 9042 Registriert seit 26.02.2016 |
2017-11-01 14:21:39 Uhr - Newsbeitrag
10jährige Special Edition via boniver.org |
derdadrüben |
2015-06-18 17:42:06 Uhr
finde das album auch immer noch mehr als hörenswert, es hat sich bei mir über die jahre noch ziemlich gesteigert. favorit ist bei mir mittlerweile mit abstand "re: stacks". den nachfolger höre ich nach anfgänglicher begeisterung nicht mehr allzu oft, "perth" und "holocene" sind aber ganz groß. |
Demon Cleaner User und Moderator Postings: 5646 Registriert seit 15.05.2013 |
2015-06-18 16:57:20 Uhr
"Perth" habe ich mal sehr oft auf Repeat gehört, was ich sonst generell fast nie mache. Einer der besten Songs überhaupt.Auch auf "Emma" ist für mich allerdings der Opener der beste Song. Dahinter das Doppel "Creature Fear" & "Team". |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 30770 Registriert seit 07.06.2013 |
2015-06-18 16:54:21 Uhr
Mir auch. :)Hab auch grad wieder ausgemacht und die s/t gehört. Das hier ist mir zu minimalistisch und seine Stimme nicht so meins. |
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Referenzen
Phosphorescent; Bonnie 'Prince' Billy; Castanets; Bowerbirds; Antony & The Johnsons; Scott Matthew; Sun Kil Moon; Smog; Bill Callahan; Sparklehorse; Horse Feathers; Akron/Family; Songs Of Green Pheasant; Arbouretum; Thomas Dybdahl; Vic Chesnutt; Great Lake Swimmers; Timesbold; Songs:Ohia; Magnolia Electric Co.; Jason Molina; Alasdair Roberts; The Mountain Goats; Bright Eyes; Sixteen Horsepower; Woven Hand; Iron & Wine; Sufjan Stevens; Anathallo; St. Thomas; Midlake; Neutral Milk Hotel; Elvis Perkins; Ray LaMontagne; Fionn Regan; Neil Young; Bruce Springsteen
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