The Notwist - The devil, you + me

Big Store / City Slang / Universal
VÖ: 02.05.2008
Unsere Bewertung: 9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Heiligtümer des Tones
Lange hielten sich The Notwist so bedeckt wie der Himmel über Weilheim. Doch wer außer ihnen könnte sich eine solch lange Funkstille schon leisten? Über sechs Jahre ist "Neon golden" bereits her, und noch immer klingt es wie der Pop von morgen. Man darf also viel von seinem Nachfolger erwarten, der erst "On planet off" heißen sollte, aber dann den deutlich erdigeren Titel "The devil, you + me" bekam. Folgt nach dem Sprung auf die musikalischen Metaebene jetzt die Metaphysik?
Wer Abstraktion vermutet, findet zunächst überraschend klare Strukturen. Deren innere Widersprüche jedoch verstehen sich über das Unterbewusstsein einzuschleichen. Am besten verdeutlich dies der glorreiche Opener "Good lies". Statt für Druck sorgt die Rhythmusgestaltung hier für Transparenz. Bis so etwas wie ein vollständiger Beat in den Song kommt, sind schon drei Minuten verstrichen. Ihren hauptamtlichen Schlagzeuger haben The Notwist verloren, doch man vermisst nichts. Alles ist da: wacklige Gitarrenschichten, flirrende Elektronik, ein gemächlicher Um-die-Ecke-Groove und eine dieser verträumten Melodien, die sich nicht entscheiden können, ob die Tränen jetzt aus Trauer oder vor Glück fließen.
Micha Achers Gesang definierte Melancholie immer schon als Zwitter aus Zärtlichkeit und Lakonie, doch selten ging das so ans Herz wie bei "Where in this world". Wenn sich dort die Streicher aufbauschen, zieht er sich hinter den verwunschen klackernden Beat zurück. Doch die umherwehenden Ornamente aus natürlichen und naturidentischen Instrumenten täuschen ein Versteckspiel nur vor. Wenn Acher "It takes me away" haucht, kommt er einem immer näher. Nur in dieser Zerrissenheit ist die Musik ganz bei sich.
Überhaupt ist dieses Album ein Lehrstück des Wechselspiels von Nähe und Distanz. Negative von Orchesteraufnahmen tingeln durch die Klanglandschaft, Harmonien schlafen mit ihren Geistern, und Acher zweifelt zufrieden an der Welt. Man könnte die Wehmut von "Gravity" oder "Alphabet" für Mathpop halten, wenn sich Zeilen wie "I won't sing your algebra" nicht davon distanzierten. Wegen Songs wie "Gloomy planet" oder "Gone gone gone", die sich eines wohligen Lagerfeuer-Gefühls nicht erwehren können, hält man The Notwist beinahe für Menschen, die auch mal kuscheln wollen. Das verspukte Titelstück traut sich sogar Glockenspiele und einen A-Sus-4/A-Dur-Wechsel wie aus Peter Burschs Lehrbuch. Der Zuhörer ist da längst schon weich wie Butter auf der Fensterbank. Und dann fallen die Störgeräusche und Fußangeln doch wieder in die Musik.
Kaum jemand verweigert sich dem Wohlklang so angenehm wie The Notwist, gerade weil er an der Verweigerung scheitert. Aber Kategorien wie Eingängig- oder Sperrigkeit sind ohnehin keine Maßstäbe für diese Band. Die Songs von The Notwist entfalten sich seit jeher langsam, subtil und allen Hindernissen zum Trotz. Wie Medikamente, deren wohlige Wirkung erst einige Tage später zu spüren ist. Wie schüchterne Schmetterlinge, denen es im Kokon eigentlich großartig gefällt, die aber doch dieses helle Licht neugierig macht. Wie gute Bekannte, bei denen man erst nach Jahren bemerkt, wie sehr man sich auf ihre Freundschaft verlassen kann. Solch subtil wachsende Zuneigung hat etwas ungemein Befriedigendes, Lebendiges, ja Heiliges. Man kommt nur noch etwas später darauf als bei "Neon golden" oder "Shrink". Wenn "The devil, you + me" aber so weit ist, ist die gegenseitige Hingabe vollkommen. Und die hält an. Wie lange dauert es dieses Mal bis übermorgen?
Highlights
- Good lies
- Where in this world
- Gravity
- Sleep
- On planet off
Tracklist
- Good lies
- Where in this world
- Gloomy planets
- Alphabet
- The devil, you + me
- Gravity
- Sleep
- On planet off
- Boneless
- Hands on us
- Gone gone gone
Gesamtspielzeit: 44:11 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Thonk |
2012-04-18 19:56:47 Uhr
geht bei the notwist eigentlich noch mal was? oder hat es sich ausgetwistet? |
embele |
2012-02-18 10:40:26 Uhr
Gestern abend habe ich mir "Music No Music" angesehen und bin wieder völlig infiziert. Höre seither wieder "The devil, you+me" und muß sagen, daß diese Platte deutlich macht, daß die Qualität sich hält, auch im Jahr vier nach Erscheinen. |
hacienda123 |
2009-10-26 17:08:20 Uhr
ich dachte bei dem album an ein konzeptalbum,w eil die themen himmel und erde (auch im übertragenden sinne) anscheindend eine große rolle spielen. nicht nur die titelnamen, sondern auch das artwork und der inhalt hatten mir diesen eindruck vermittelt.naked lunch wäre übrigens auch mein tipp, wobei songs... mit abstand das beste album von denen ist. ansonsten natürlich noch 13&god (notwist und themselves) und lali puna vielleicht (wie das ein oder andere von morr music auch). |
Cabeza |
2009-10-26 15:55:47 Uhr
Naked Lunch - songs for the exhausted. punkt. |
Spice |
2009-10-26 14:56:16 Uhr
Hat jemand Vorschläge zu Alben, die musikalisch und textlich dem von Notwist ähneln? |
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Referenzen
Naked Lunch; Lali Puna; Ms. John Soda; Finn.; Spruce; Dazerdoreal; Hood; The Postal Service; Dntel; James Figurine; Styrofoam; Sensorama; Console; Werle & Stankowski; Weevil; Her Space Holiday; Talk Talk; Get Well Soon; Monta; Miles; Joycehotel; dEUS; Ghinzu; Radiohead; The Beta Band; Klez.E; Contriva; Mina; Tied & Tickled Trio; To Rococo Rot; Kreidler; Isan; Couch; The Dissociatives; Patrick Wolf; Slut; Placebo; Múm; Under Byen; Village of Savoonga; Fred Is Dead; Toxic; Funkstörung; Mouse On Mars
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