Hercules And Love Affair - Hercules And Love Affair
DFA / EMI
VÖ: 14.03.2008
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Leistungskurs Disco
12. Juli 1979, Comiskey Park in Chicago: der Tag der "Disco Demolition Night". Der Radio-DJ Steve Dahl, selbst Rockfan und erklärter Discogegner, fordert die Hörer seines Senders auf, ihre Discoplatten mit ins Baseballstadion zu bringen, weil er sie in der Pause in die Luft jagen will, um Disco zu töten. Das eigentlich nur als Promotion-Gag gedachte Event eskaliert, Tausende stürmen das Feld, und es kommt zu Ausschreitungen. Was auf den ersten Blick nur wie eine lustige Anekdote aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten klingt, hat jedoch durchaus ernste Hintergründe. Disco steht Ende der 70er-Jahre zwar auch für Studio 54, Glamour, Sex und Drogen, aber ebenso sehr für Rassengleichheit, Schwulenrechte, Feminismus und liberales Denken – all das, was der konservative amerikanische Mainstream ähnlich hasste wie die Kommunisten.
Von diesem politischen Bewusstsein ist heute nicht mehr viel übrig. Disco ruft viel eher – nicht unbedingt positive – Assoziationen an John Travolta, Afroperücken und Plateauschuhe für semi-lustige Mottopartys wach. Für Andrew Butler, den Kopf von Hercules And Love Affair, eine bedauerliche Entwicklung, aber wohl erst recht Ansporn, im hohen Alter von 29 Jahren sein Debütalbum vorzulegen, das ihn direkt zurückführt zu den Wurzeln von Disco und House. Geholfen hat ihm dabei neben seinem Label DFA, das ja ohnehin bekannt ist für Exkursionen in die Vergangenheit der Dancemusic, vor allem sein langjähriger Freund Antony Hegarty von Antony & The Johnsons. Dessen exzentrisch-artifizieller Gesang ist zwar auch hier etwas gewöhnungsbedürftig, verleiht "Hercules And Love Affair" aber letztlich das Sahnehäubchen an Diventum, in dem sich der kommende Verfall schon abzeichnet.
Die Spannung, die hierin liegt, ist von der ersten Sekunde an spürbar. "Time will tell" schlägt mit zartem Gitarrenzupfen über einem zurückgenommenen Housebeat so sanft an den Strand wie die Wellen auf der Party-Insel Ibiza am frühen Abend, wenn die Sonne schon dicht über dem Meer steht. Dazu singt Antony flehentlich Zeilen wie "Be true to me / Be true to me, my love". Sage noch einmal einer, elektronische Musik habe keine Seele. "Hercules' theme" macht sich, angetrieben von treibenden Bläsern, von dieser Schwere los und schnallt lieber die Discoroller an. Mit "You belong" fährt das Album in einer Chicago-House-Limousine langsam in die tiefe Nacht hinein, aus der ein schmerzvoll über dem Track zerfließendes "You belong to him tonight / There is nothing I can do" emporsteigt. Nach diesem einsamen Ausflug in die Dunkelheit wirft die erste Single "Blind" wieder die Spiegelkugel an - mit pluckerndem Discobass, peitschenden Handclaps und gut gelaunten Bläserfanfaren, die zum Ende hin in eine melancholisch gedämpfte Trompete und dramatische Synthies überführt werden. Und über allem thront das glamouröse Falsett von Antony, das nirgends besser passt als hier.
Ein famoses Album, auch wenn die Songs gegen Ende ein wenig nachlassen. Dass Antony sich die für eine Diva üblichen Pausen gönnt und einige Male durch die beiden Sängerinnen Nomi und Kim Ann Foxman vertreten wird, erweist sich zudem als gute Idee, da es zusätzliche Abwechslung bringt und die von ihm gesungenen Stücke umso mehr als Highlights erscheinen lässt. Irgendwo stand auch zu lesen, Butler hege ein Faible für griechische Mythologie, woraus sich auch der seltsame Name erklärt. Vielleicht ist er außerdem Hobbyarchäologe, so tief hat er hier gegraben, um die Schätze der Vergangenheit zu bergen und von ihrer Patina zu befreien. Was uns wieder einmal lehrt, das der ganze alte Plunder in den Museen uns heute doch noch etwas sagen kann. Man muss ihn nur aus der Vitrine rauslassen und ins richtige Licht stellen. Zum Beispiel unter eine Discokugel.
Highlights
- Hercules' theme
- You belong
- Blind
Tracklist
- Time will
- Hercules' theme
- You belong
- Athene
- Blind
- Iris
- Easy
- This is my love
- Raise me up
- True false, fake real
Gesamtspielzeit: 42:42 min.
Referenzen
Metro Area; Kelley Polar; Fingers Inc; Robert Owens; Frankie Knuckles; Arthur Russell; Holy Ghost!; Still Going; Gucci Sound System; LCD Soundsystem; Roísín Murphy; Marco Dos Santos; Inner City; Salsoul; Cerrone; Gino Soccio; Grace Jones; Robin Trower; Chic; Hot Chocolate; John Travolta; Kid Creole; Liquid Liquid; Padded Cell; In Flagranti; Was (Not Was); Boy George; Erasure; Bronski Beat; Yazoo; Soft Cell; Phuture; Whirlpool Productions; Justus Köhncke; Khan; Kaos; Morgan Geist; Daniel Wang; Black Mustang; Black Devil Disco Club; Georges Vert; Lindstrøm & Prins Thomas; Kerrier District; Steve "Silk" Hurley; Virgo; Hot Chip; The Emperor Machine; Dirty 30; Cosmo Vitelli; Reverso 68; Snax; Prince; Chin Chin; Chicken Lips; The Glimmers; Mock'N'Toof; Rub'N'Tug; The Juan MacLean; Lanoiraude; Munk; WhoMadeWho; Tomboy; Kenny Dope; Earth, Wind & Fire; ABBA; Boney M; The Jackson 5; Antony & The Johnsons
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Hercules And Love Affair - Omnion (6 Beiträge / Letzter am 10.11.2017 - 13:13 Uhr)
- Hercules And Love Affair - The feast of the broken heart (2 Beiträge / Letzter am 06.03.2014 - 20:31 Uhr)