Autechre - Quaristice
Warp / Rough Trade
VÖ: 29.02.2008
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Tanz der Moleküle
Autechre zu hören ist wie Lebertran zu trinken. Aus der Literflasche. Das gilt zumindest für ungeübte Hörer, bei denen der Genuss einer Autechre-Platte gerne ein Gefühl von hgnnnrmpfff zurücklässt. Was weniger an den kryptischen Tracktiteln liegt, als eher an der Tatsache, dass viele Stücke so klingen, als hätten Rob Brown und Sean Booth ihre Playstation erst mit dem Hammer zerdeppert, dann in heißem Fett frittiert, um sie anschließend durch einen Teilchenbeschleuniger zu jagen und mal zu schauen, was das Teil dabei so für Geräusche von sich gibt. Autechre, so viel wird schon aus dieser Beschreibung klar, machen keine Musik im landläufigen Sinne. Autechre betreiben musikalische Vektorenberechnung. Kein Geräusch, das sich nicht als Formel ausdrücken und mit Daten simulieren ließe. Es versteht sich angesichts dieses Lochkartentechnos wohl von selbst, dass man Zugänglichkeit anders buchstabiert. Autechre spült man nicht einfach runter wie irgendeinen Alkopop, Autechre muss man sich intellektuell erarbeiten. Soviel zu den Rahmenbedingungen.
Allerdings begannen Brown und Booth erst gegen Ende der 90er Jahre ihre abstrakten Exkursionen in die Welt molekularer Geräusche und chaotisch anmutender Beatstrukturen. Größen wie Melodie, leicht nachvollziehbare Repetition oder gar Tanzbarkeit spielten eine zunehmend untergeordnete Rolle. Das ist auf "Quaristice", ihrem mittlerweile neunten Album, über weite Strecken nicht anders. Zwar markiert es die Rückkehr zu organischeren, wärmeren Klängen, dennoch tönt hier immer noch eine überdimensionale Maschine aus den Boxen, die einen, einmal eingestiegen, per Expressfahrstuhl direkt und ohne Halt in den finstersten Winkel des Orkus hinab befördert.
Was die Standortfrage anbetrifft, erfüllt der ambiente Opener "Altibzz" die Hoffnung, Autechre könnten zu ihren melodiösen, klassischen Frühwerken zurückgefunden haben. Dennoch bleibt genug Raum für verwirrende Beatstrukturen. "IO" lädt bedrohlich verzerrte Stimmsamples auf disharmonisches Synthieorgeln, bis in der Mitte plötzlich rasende Beatschläge die Festplatte in Stücke hacken. In "plyPhone" rollt anschließend eine monströse Bassdrum begleitet von fiesen Metallsplittern heran. Eines der Highlights ist "Simmm", das mit gleißenden Synthies und metallenen Glöckchen beginnt, die dann jedoch einer gefräßigen Maschine zum Opfer fallen, die sich auf Subbass-Füßen nähert. Ein dumpfes Pochen, einem Herzschlag nicht unähnlich, setzt ein und zieht einen wabernden Synthieteppich hinter sich her, über dem meditative ostasiatische Klänge stehen. "Fol3" hört sich nach einem rückwärts laufenden Ballerspiel an, "fwzE" vollführt Maschinen-Breakdance, in "bnc Castl" spielt eine Horde durchdrehender Spielautomaten Würfel und "chenc9" ist ein irrsinniger Derwisch, der nach und nach im Treibsand versinkt. Mit "Notwo" und "Outh9X" beschließen dann zwei kosmische Ambienttracks das Album.
All das ist notgedrungen nur eine ungenaue Beschreibung der Fülle an Klängen und unerwarteten Wendungen, die "Quaristice" zu bieten hat. Jedes Stück klingt vollkommen anders als das davor oder danach. Gerade in den ersten zwei Dritteln von "Quaristice" bleibt es jedoch häufig bei Soundskizzen für einen Film über schießwütige Roboterameisen in outer space, was auch an der für Autechre-Verhältnisse ungewöhnlichen Kürze der Stücke liegt. Nur drei Mal geht es über die fünf Minuten hinaus. Erst spät kommen mehr abgerundet wirkende Einheiten wie "Simmm" oder "Notwo", die den Namen Track verdienen und die Emotionen freisetzen, die sich viele Fans sehnlichst zurückgewünscht haben. "Quaristice" wird nicht alle ihre Hoffnungen erfüllen. Aber endlich kann man Autechre wieder für ihre abstrakten Welten nicht nur respektvoll anstaunen, sondern mit ihnen fühlen.
Highlights
- Simmm
- chenc9
- Notwo
Tracklist
- Altibzz
- The Plc
- IO
- plyPhon
- Perlence
- SonDEremawe
- Simmm
- paralel Suns
- Steels
- Tankakern
- rale
- Fol3
- fwzE
- 90101-5l-l
- bnc Castl
- Theswere
- WNSN
- chenc9
- Notwo
- Outh9X
Gesamtspielzeit: 73:24 min.
Referenzen
Aphex Twin; AFX; Gescom; Bola; µ-ziq; Clark; Speedy J; Arovane; Oval; Cristian Vogel; Kit Clayton; F.X. Randomize; Mike Dred; Pan Sonic; Mika Vainio; Squarepusher; Soviet*France; Boards Of Canada; Murcof; Plaid; Seefeel; Soul Oddity; The Sabres Of Paradise; Amon Tobin; Venetian Snares; Dntel; Jega; Mouse On Mars; Funkstörung; Four Tet; Kieran Hebden; Monolake; Sleeparchive; Pom Pom; Burnel; Surgeon; Zilla; Two Lone Swordsmen; Prefuse 73; The Future Sound Of London; Plastikman; Richie Hawtin; Biosphere; The Higher Intelligence Agency; Nine Inch Nails; Front 242; LFO; Kraftwerk; Brian Eno; Psychic TV; Coil; Frank Bretschneider; B12; Solvent; Mitchell Akiyama; Aspects Of Physics; Uprock Rhizome; James Bernard; Wagon Christ; Telefon Tel Aviv; Rechenzentrum; U.N.K.L.E.; Kid 606; Arovane; Lego Feet
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