Baby Dee - Safe inside the day

Drag City / Rough Trade
VÖ: 08.02.2008
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Mutter Courage
Früher schaltete die Großmutter noch das Fernsehgerät ab, wenn sich ein Paar küsste, während die Kinder zuschauten. Glücklicherweise sind die Sitten inzwischen ein wenig liberaler und die meisten Tabus gebrochen. Für den heute 53-jährigen Transgender Baby Dee war das Leben im tristen Cleveland der 50er und 60er Jahre bestimmt ein wahrer Spießroutenlauf. "Life ist bitter and death is sweet". Die Harfe und das Klavier wurden allmählich zur Antithese der Brechstangensammlung des Vaters. Die Synthese lässt nicht auf sich warten. Nach schlimmer Kindheit hat Baby Dee sich wieder mit den Eltern versöhnt und angefreundet. Auf dem dritten Album "Safe inside the day" inszeniert er/sie (die als "sie" verstanden werden möchte) auf sehr theatralische, positiv überkandidelte Weise nun die skurrilen Gegensätze, die das Leben bereit hielt und hält.
Es scheppert und poltert zu Beginn von "The Earlie King", und man möchte fast fragen, wann Tom Waits mit dem Gesang loslegt. Es sind jedoch Baby Dee und ihre Gäste: Bonnie 'Prince' Billie und Matt Sweeney, der hier auch das Banjo zupft. Bemerkenswert ist auch die Anwesenheit von Andrew W.K., der mit dezentem und sorgfältigem Bassspiel eine spannende Note beisteuert. Das hätte man von ihm nicht erwartet. Spätestens, wenn "The bad bells ring / And I am runnin' / Still runnin' from the Earlie King" im Chor ertönt, verschwimmen bei dieser Geschichte Fiktion und Realität.
Mit "A compass of light" wird es ein wenig sanfter, es ist eine perfekte Hymne für das Erwachen aus dem Winterschlaf. Das Ragtime "The only bones that show" ist da hingegen wieder bissiger und aggressiver. Die Frage des Mannseins wird aufgeworfen. Aber ironisiert. Ein überragender Blues-Song ist "Fresh out of candles". Ein leises Klavier versetzt den Hörer "Back in the fifties". Dann ist's wie immer: Gott ist wütend. Der Papst verrückt. Und die Fassade mit Violinen, Cello und Flöten kann sich langsam aufbauen.
Ganz alleine gelassen werden Baby Dee und ihr Klavier in "Big titty bee girl (from Dino Town), das auch im Duett mit Antony Haggard von Antony & The Johnsons gut vorstellbar wäre: Antony im Albinokostüm, Baby Dee als Big titty bee girl. Eine reizvolle Vorstellung der Verfremdung! Die großen Gesten bleiben nicht aus, "Flowers on the tracks" ist ein zartes Instrumental mit wenig Aufwand und großer Wirkung. Ein brillanter Klavierpart und ein perfektes Zusammenspiel mit Violine und Cello, die allerdings vornehm im Hintergrund bleiben.
Blut in den Spuren gibt es wieder in "The dance of diminishing possibilities". Die Truppe ist wieder beisammen. Trotz der Ernsthaftigkeit wirkt das Stück sehr verspielt. Die Möglichkeiten, welche eine solche Besetzung bietet, werden wunderbar ausgeschöpft. Damit wäre die Aufarbeitung fast abgeschlossen. Es wird zusammengefügt, was zusammengehört. Im weiteren Instrumental "Bad kidneys" ist alles gar nicht so dramatisch, wie es den Anschein hat. Das Akkordeon wird hervorgeholt, und Bonnie 'Prince' Billy macht auf einer Fun machine wundersame Geräusche. Dann wird geschunkelt. Ein bewegendes Album.
Highlights
- The Earlie King
- The only bones that show
- Big titty bee girl (from Dino Town)
- Flowers on the tracks
Tracklist
- Safe inside the day
- The Earlie King
- A compass of light
- The only bones that show
- Fresh out of candles
- Big titty bee girl (from Dino Town)
- A christmas jig for a three-legged cat
- Flowers on the tracks
- The dance of diminishing possibilities
- Bad kidneys
- You'll find your footing
Gesamtspielzeit: 48:49 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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hermit |
2008-02-12 19:41:29 Uhr
Hab es mir auch heute nach ausgiebigem Reinhören gekauft (und mal ehrlich: Ohne Plattentests würde ich von der Existenz der Platte nichts wissen). Manches zündet schon, anderes noch nicht. Mal sehen was draus wird... |
uczen |
2008-02-12 19:15:44 Uhr
Ich mag es auch :) |
Soup Dragon |
2008-02-12 12:24:01 Uhr
Wird aber immer besser, vielleicht das beste Album in diesem Jahr bisher... |
Soup Dragon |
2008-02-11 11:49:54 Uhr
Hm schön, so sehr wie Antony oder Joanna berührt es mich allerdings NOCH nicht. |
Matze73 |
2008-02-06 10:37:43 Uhr
Ganz und gar wunderbares Album!Wer sich darauf einläßt landet unversehens in einem Variete, in welchem die Geschlechter schon immer verschmolzen. Anrührend und vor allem ehrlich! "There's a harp in that piano And there’s a girl inside that boy And my daddy’s crowbars Are his pride and joy" |
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Referenzen
Antony & The Johnsons; Duke Special; Kurt Weill; Bertolt Brecht; Nino Rota; Lotte Lenya; Edith Piaf; Marlene Dietrich; Hildegard Knef; The Dresden Dolls; Marianne Faithfull; Joanna Newsom; Guillemots; The Hidden Cameras; Rufus Wainwright; Bonnie 'Prince' Billie; Matt Sweeney; Prefab Sprout; Pulp; Sparks; The Divine Comedy; Current 93; Tom Waits; Randy Newman; Bob Dylan; Jeff Buckley; Wilco; Devendra Banhart; Sufjan Stevens; The Duke Spirit; Scott Walker; Jackson Browne; Warren Zevon; Lyle Lovett; Ben Folds; Marc Almond; Boy George; Tiny Tim; Richard Hawley; Anywhen; Ed Harcourt; Findlay Brown; Robert Wyatt; Smokie Robinson; Jeb Loy Nichols; Bill Withers; Nina Simone; Metallic Falcons
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- Baby Dee - Safe inside the day (11 Beiträge / Letzter am 12.02.2008 - 19:41 Uhr)