Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Can - Anthology

Can- Anthology

Spoon / Warner
VÖ: 02.11.2007

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Mars attacks

Es gibt diesen Satz über The Velvet Underground, der etwa so geht, dass kaum jemand ihre Platten gekauft hat, aber jeder, der es tat, danach eine Band gründete. Can waren höchstwahrscheinlich eine dieser Bands. Ihre Initiatoren Holger Czukay und Irmin Schmidt waren natürlich an allen denk- und undenkbaren Spielarten experimenteller Musik von frühen Elektronik-Gehversuchen bis Karlheinz Stockhausen interessiert. Der erste Song aber, den Can mit Gitarrist und Czukay-Zögling Michael Karoli, Free-Jazz-Schlagzeuger Jaki Liebezeit und dem rätselhaften, eigentlich als Bildhauer tätigen Sänger Malcolm Mooney aufnahmen, war streng genommen ein Velvet-Underground-Ripoff. Dass "Father cannot yell" trotzdem ein einziger flirrender Wahnsinn ist, in sieben Minuten alle Kräfte der Welt freisetzt und das gesamte Gitarrenspiel der Rockmusik bis dahin auf den Kopf stellt - das ist die Geschichte der vier folgenden Absätze.

Das erste Can-Album "Monster movie" erschien im August 1969 und beendete das Jahrzehnt auf ähnlich sinnvolle und unwiderrufliche Weise, wie es später auch The Clash mit "London calling" und den Siebzigern gelingen sollte. Ebenso wie die nahezu parallel vollzogene Auflösung der Beatles das Ende einer Ära war, markierte diese Platte den Beginn der darauf folgenden Zeitrechnung. Sie ist der Startschuss für Krautrock und die aufregendsten Jahre der deutschen Rockgeschichte, in denen Bands wie Neu!, Faust, Kraftwerk, Amon Düül oder Harmonia eine visionäre Platte nach der anderen aufnehmen. Can aber bleiben auf ihren ersten sechs Alben und bis mindestens 1975 uneinholbar. Obwohl der unglaubliche Freistil-Sänger Mooney auf Anraten seines Psychiaters schon nach der "Monster movie"-Session in die USA zurückkehrt und durch den ebenso exzentrischen Japaner Damo Suzuki ersetzt werden muss.

"Anthology" nun geht 28 Jahre nach dem Ende der Band (eine kurze, desaströse Reunion 1989 nicht mitgerechnet) die schwierige Aufgabe an, ihre verschiedenen Schaffensphasen und endlosen Neuerfindungen auf zwei Platten sinnvoll zusammenzufassen. Bei aller Ehrfurcht und akademischen Ernsthaftigkeit, mit der man Can heute begegnet, ist es vor allem die erste CD, die nachdrücklich daran erinnert, was für eine verdammt körperliche, groove-orientierte Funkband Can im Herzen waren. Anhand der Gitarren-Notschlachtung von "Mother sky" kann man nachhören, wo Wilco ihr "Spiders (Kidsmoke)" herhaben. Weite Teile des Solomaterials von John Frusciante und eine aufs Wesentliche beschränkte Version von The Mars Volta bekommt man quasi kostenlos mitgeliefert. Und der gnadenlose Liebezeit, der seine Drum-Patterns wiederholt, wiederholt, wiederholt, hat zuletzt auf dem ausgezeichneten "Mirrored"-Album von Battles mitgespielt. Im Geiste, natürlich.

Was hier passiert und in den 20minütigen, definitiven Can-Freakout "Yoo doo right" führt, stapelt also An- und Ausschnitte der stärksten Bandjahre, Proto-TripHop, Popsongs, Soundcollagen und Krach. Dass dabei manches Stück gekürzt wurde, fällt kaum ins Gewicht. Einen abgeschlossenen, unveränderlichen Can-Song hat es ohnehin nie gegeben - sie waren alle nur Teile und Versatzstücke stundenlanger Jam-Sessions, aus denen einzelne Einheiten mühsam und penibel herauseditiert wurden. Tonträger zwei ist anschließend vor allem für Forschungsreisende interessant. Neben zwei essentiellen Tracks von "Future days" sammelt er Jüngeres, Absonderliches und gute Argumente für die These, dass es keinen Musikstil gibt, den Can nicht gespielt haben. Die Albernheiten "Below this level" und "Hoolah hoolah" vom Reunion-Album "Rite time" zeigen aber auch, dass besonders die späten Can keinesfalls unfehlbar waren. So wenig Eitelkeit muss schon sein.

Überschattet und verschluckt werden solche Randnotizen ohnehin von der schieren Wucht und Unmittelbarkeit dieser angeblich "schwierigen" Band, die eigentlich nur sehr genau wusste, was sie wollte. Wie die Geisterbahnfahrt von "Halleluwah" beschleunigt und ausgebremst wird, ist weiterhin die nackte Angst. Wie "Outside my door" den 70s-Rock gleichzeitig vorwegnimmt und ad absurdum führt, ist mindestens zum Schreien komisch. Und was "Moonshake" seinem inneren Popsong antut, ist so gemein, dass bis heute kaum jemand versucht hat, es zu kopieren. Das Wunderlichste an dieser Musik ist sowieso nicht, dass sie vor 40 Jahren gemacht wurde. Das Wunderlichste ist, dass überhaupt jemand darauf kommen konnte. Man wird das 2050 noch genauso sehen. Wenn die Aliens landen, uns alle weglasern und zu Can tanzen, wie es Menschen niemals hinbekamen.

(Daniel Gerhardt)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • Father cannot yell
  • Mother sky
  • Halleluwah
  • Yoo doo right
  • Moonshake

Tracklist

  • CD 1
    1. Father cannot yell
    2. Soup
    3. Mother sky
    4. She brings the rain
    5. Mushroom
    6. One more night
    7. Outside my door
    8. Spoon
    9. Halleluwah
    10. Aumgn
    11. Dizzy dizzy
    12. Yoo doo right
  • CD 2
    1. Uphill
    2. Mother Upduff
    3. Doko E.
    4. Musette
    5. Blue bag
    6. TV spot
    7. Half past one
    8. Moonshake
    9. Future days
    10. Cascade waltz
    11. I want more
    12. Animal waves
    13. Don't say no
    14. Aspectacle
    15. Below this level
    16. Hoolah hoolah
    17. Last night sleep

Gesamtspielzeit: 155:23 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
mr.pink
2007-12-02 14:42:20 Uhr
oh mein gott, daniel gerhardts musikhistorisches wissen ist einfach unbegrenzt.
Dän
2007-12-02 03:44:03 Uhr
Nur ausnahmsweise, weil es sich bei den Specials gerade so schön angeboten hat.
sadasdasdasdad
2007-12-01 16:00:21 Uhr
Ups, dabei habe ich die Rezi sogar gelesen, trotzdem ist die 18 Minuten Version besser.

Seit wann werden jetzt eigentlich Remaster rezensiert?
Dän
2007-12-01 01:07:05 Uhr
Dass dabei manches Stück gekürzt wurde, fällt kaum ins Gewicht. Einen abgeschlossenen, unveränderlichen Can-Song hat es ohnehin nie gegeben - sie waren alle nur Teile und Versatzstücke stundenlanger Jam-Sessions, aus denen einzelne Einheiten mühsam und penibel herauseditiert wurden.

;)
sadasdasdasd
2007-12-01 00:39:39 Uhr
Das mit der gekürzten Version ist ja ein Skandal... aber ist wohl bei einem Best-Of zu erwarten.
Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Threads im Plattentests.de-Forum

  • Can (135 Beiträge / Letzter am 15.02.2024 - 15:12 Uhr)

Anhören bei Spotify