The Weakerthans - Reunion tour
Burning Heart / SPV
VÖ: 21.09.2007
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Immer näher
Ein wenig ist es mit Songs der Weakerthans wie mit Runensteinen. Sie gleichen kunstvoll behauenen Felsen mit teils rauen, ungeschliffenen Kanten und teils sanften Wölbungen, in die mit feinem Meißel poetische Zeichen und Bilder geritzt sind. Selbst wenn allein der Musik schon ein besonderer Reiz inne wohnt, diesen Kontrasten von unrasierten Rock-Riffs, hymnischen Refrains und traumverlorenem, innigem Zartklang mit schmeichelnden Melodien: Der ganz besondere Zauber der Band entfaltet sich erst im Zusammenspiel der Songs mit den cleveren, bildschönen Versen aus der Feder John K. Samsons. Wohl kaum eine Band sonst hat sich dem Spieltrieb aus Sicht einer Katze poetisch gewidmet oder die Grenzen zwischen französischem Post-Strukturalismus und Punkrock verwischt, indem sie Intellektuelle wie Derrida oder Foucault in ihren Songs zwischen Pinguinen und Blumenbouquets aus den Zeilen lugen ließ. Hirn, Herz und Tanzbein freuen sich einig im Dreiklang. Der direkte, warme Sound sorge zudem für ein Nähegefühl, als säße einem John K. Samson höchstselbst auf dem Schoß.
Diese Vertrautheit will sich bei "Reunion tour", dem ersten Album seit "Reconstruction site" vor immerhin vier Jahren, zunächst nicht so recht einstellen. Ein wenig Intimität scheint gewichen bei den neuen Arrangements, die kälter und dicker produziert sind. Teilweise wabern Synthesizer im Hintergrund, Keyboardflächen und Effekte mischen sich in manche Riffs. Es herrscht mehr Breitwand, mehr Distanz im Sound. Im Anschluss an den famos vorpreschenden Opener "Civil twilight" huschen viele Melodien fast ein wenig unscheinbar aus den Boxen, zieren sich, im Gehörgang Fuß zu fassen. Weniger zwingend erscheinen manche Bögen, die Samson und die seinigen schlagen.
Das Eis beginnt erst zu bröckeln bei der Wiederbegegnung mit Virtute, der spielfreudigen Katze, die ihr Verschwinden erklärt im fünften Song, einer herzzerreißenden Ballade mit epischem Gitarrensolo am Ende. Und es schmilzt in "Night windows" unter traumhaft gleitenden Melodiebögen über einem der schönsten Bassläufe der letzten Jahre. Mit jedem Hören rücken die Songs allmählich näher zusammen und tauen auf. Das kalte Befremden weicht ganz behutsam. Die Melodien graben sich erst zaghaft, dann aber immer tiefer in die Hirnrinde, und die Texte schlagen als poetische Kopfnüsse aneinander. So vertraut man mit den Weakerthans sein mag: "Reunion tour" ist keine schnelle Nummer. Erst nach etlichem Hören glätten sich letzte Zweifelsfalten, zerrieselt die Skepsis, ob dieses Album nicht doch qualitativ ein Stück weit abfällt gegenüber den überaus fantastischen Vorgängern.
Es mag nicht ganz den rauen Charme von "Fallow" atmen, es erreicht nicht den intimen, herzzerreißenden Schmelz von "Left and leaving" oder birgt die verspielte Grandezza von "Reconstruction site". Und doch finden sich auch hier die großen Bögen und Gefühle, Rockbrecher, herrliche Balladen wie die ein oder andere Überraschung. Etwa in "Elegy for Gump Worsley", wo Samson über selbstentrückt gezupfte, verhallte Banjoklänge sprechend Verse über den legendären kanadischen Eishockey-Nationalkeeper rezitiert, der im Januar 2007 plötzlich verstarb. Überhaupt sind es auf "Reunion tour" auch einmal mehr die schlauen, sprachmächtigen Texte und überraschenden Themen, die in Bann schlagen. Einzelne Zeilen der Wortgemälde aus dem Kontext zu reißen und hervorzuheben, verbietet sich dabei. Zumal sie ihre volle Wirkmacht erst gemeinsam mit der Musik ausbreiten. Am Ende ist es, wie es schon zuvor meist war: Die Platte wächst. Ein zartes Pflänzchen braucht Pflege - und schlägt dann immer weiter aus. Mit jedem Tag.
Highlights
- Civil twilight
- Virtute the cat explains her departure
- Night windows
- Utilities
Tracklist
- Civil twilight
- Hymn for the medical oddity
- Relative surplus value
- Tournament of hearts
- Virtute the cat explains her departure
- Elegy for Gump Worsley
- Sun in an empty room
- Night windows
- Big foot
- Reunion tour
- Utilities
Gesamtspielzeit: 37:14 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Gordon Fraser Postings: 2687 Registriert seit 14.06.2013 |
2020-12-24 22:17:16 Uhr
Nichts als Liebe für diese Platte. Wie ein warmer Pullover an einem verregneten Wintertag. |
Day windows |
2017-09-24 01:23:10 Uhr
Ja ein wundervolles Album! |
The MACHINA of God |
2010-12-18 12:04:07 Uhr
"Virtute the cat explains the departure"... an sihc schon ein so schönes Lied. Und dann vergehen 2:45 Minuten und diese unfassbare Stelle erklingt, in der er "But I can't remember the sound that you found for me" singt und ich bekomme entweder Gänsehaut oder ein paar Tränen kullern das Gesicht herab. Oder beides. Was für ein fantastisches Stück. |
Karl-Heinz |
2009-05-26 22:42:30 Uhr
Mir würde es schon reichen, wenn die Jungs mal wieder unsere Clubs aufsuchen würden... Noch schöner als von Platte... und das Lächeln wird mindestens 2 Monate in unseren Gesichtern festgetackert sein. |
bebbo |
2009-05-26 19:29:32 Uhr
wer tut das nicht? los her damit! |
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Referenzen
Jets To Brazil; The Decemberists; Okkervil River; Death Cab For Cutie; The Paperbacks; I Am Kloot; David & The Citizens; Nada Surf; dEUS; Idlewild; Maritime; The Mountain Goats; Sunny Day Real Estate; Propagandhi; Texas Is The Reason; Fireside; New End Original; Onelinedrawing; Sunday's Best; The Promise Ring; The Shins; The New Amsterdams; Samiam; Pale; Elliott; Margot & The Nuclear So And So's; Built To Spill; Built To Spill; Dinosaur Jr.; Jawbreaker; Modest Mouse; Yo La Tengo; Cub Country; Imbroco; Sophia; Joshua; Sebadoh; Badly Drawn Boy; Bright Eyes; Shearwater; Pete Yorn; Elliott Smith; Kettcar; Tomte; Tom Waits; Aereogramme; Rainer Maria; Pearl Jam; Karate; Jimmy Eat World
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