Caribou - Andorra
Merge / City Slang / Universal
VÖ: 17.08.2007
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Duty free
Auf die Gefahr hin, dafür eine Abmahnung von seiner Plattenfirma zu kriegen: Dan "Caribou" Snaith macht im Prinzip für "Tracks"-Gucker das, was Jack Johnson für "TV Total"-Zuschauer erledigt: Die Musik, die einem den Boden unter den Füßen wegwischt, das Lied, bei dem man auch mal zehn Sekunden weghören darf, das Album, wegen dem man sein Philosophie-, beziehungsweise VWL-Studium ruhigen Gewissens für 45 Minuten ruhen lässt. Die innere Uhr stellt sich ohnehin sehr schnell auf Snaiths viertes Album "Andorra" ein; es ist einfach, mit dieser ausgesprochen guten Platte in wohltätige Antriebslosigkeit zu verfallen und den Formen beim Verschwimmen zuzusehen. Snaith hat seit 2005 einen Doktor in Mathe, das kann man ja mal dazu sagen. Seiner Musik haftet allerdings gar nichts Rationales an.
Viel mehr ist es eine ganz persönliche Bananenrepublik der Instrumente und Aufnahmetechniken, die sich der kanadische Wahl-Londoner seit Beginn des Jahrtausends aufgebaut hat und mit sicherer Hand beherrscht. Glocken läuten auf "Andorra", Flöten schieben die Platte kurz am Freak-Folk vorbei, eine Rockgruppenbesetzung spielt ganz selbstverständlich mit, und irgendwo zwischen Bergen aus Keyboards läuft sicherlich auch ein Laptop heiß. Snaith hat das alles selbst bedient, er hält nicht viel von Kollaborationen. Nur den Song "She's the one" hat er gemeinsam mit Freund und Junior Boy Jeremy Greenspan geschrieben. Vocal-Harmonien aus der Brian-Wilson-Schule werden zum Leadinstrument, das Rhodes-Piano schlängelt sich wie auf Schienen drum herum, und ein Mückenschwarm aus Effekten zersticht die ungeschützten Einzelteile.
"Andorra" ist dabei das Ergebnis eines Jahres, in dem Snaith jeden Tag mindestens zehn Stunden lang Musik aufgenommen hat. 670 Track-Skizzen sollen sich angesammelt haben, runtergekürzt hat er sie auf acht detaillierte, konzentrierte, psychedelische Popsongs und einen bewusstseinserweiternden Elektrojam, der in den letzten neun Minuten von "Andorra" zur völligen Auflösung des Albums, der ganzen Arbeit und sicherlich auch des einen oder anderen Zuhörers führt. Es sagt viel über diese Musik, dass sie sich am Ende selbst zum Abschuss freigibt, ihre Wehrlosigkeit der eigenen Phantasie gegenüber eingesteht und den Zusammenbruch feiert, als sei er das einzig denkbare Ziel gewesen. So abgeschmackt das auch klingen mag: Wenn "Andorra" schon keine Realitätsflucht ist, dann doch zumindest eine minutiös organisierte Umdekorierung.
Schon hinter dem Albumtitel steckt dabei der wichtigste Ansatz: Snaiths romantische Idee eines vergessenen Staates im Herzen von Europa wird der andorranischen Realität gegenübergestellt, in der das Land zum größten Duty-Free-Shop der Welt aufgequollen ist. Werner Herzogs Idee der ekstatischen Wahrheit hat Snaith da beeinflusst - so wie der vergessene Filmemacher seine Dokumentationen mit kleinen Erfindungen näher an seine persönliche Vorstellung von Wirklichkeit heranführt, machen das auch Stücke wie die Selbsthypnose aus "Melody day" oder die unheilvolle Hetzjagd von "After hours" mit dem allgemein vorherrschenden Verständnis von Popmusik. Man kann da immer noch Dinge hinzufügen, umformulieren, wegstreichen oder in andere Zusammenhänge überführen. Man sollte sich dann halt nur nicht wundern, wenn die Zuhörer das Atmen vergessen. Und alles andere auch.
Highlights
- Melody day
- After hours
- Niobe
Tracklist
- Melody day
- Sandy
- After hours
- She's the one
- Desiree
- Eli
- Sundialing
- Irene
- Niobe
Gesamtspielzeit: 42:59 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Watchful_Eye User Postings: 2918 Registriert seit 13.06.2013 |
2017-09-12 16:18:49 Uhr
Nö, die 10/10 ist Swim (imo). ;)Aaaaber das heißt nicht, dass ich "Andorra" nicht auch ganz großartig fände :) etwas organischer vom Klangbild her, sehr eigene Mischung aus Wärme und Melancholie, und "Niobe" zeigte dann auch schonmal, wohin die Reise gehen wird. Dank lebendiger Rhythmen auch auf Kopf-Ebene nicht langweilig. "Up in Flames", ursprünglich unter dem Namen "Manitoba" veröffentlicht, ist auch richtig gut. Das letzte Album mag ich nicht ganz so, aber bis dahin war er extrem konsistent. |
Plattenbeau Postings: 976 Registriert seit 10.02.2014 |
2017-09-12 15:37:12 Uhr
Mir geht es ähnlich wie Cosmig Egg vor 4 Jahren. Was für ein schönes Album. Meilenstein weiß ich nicht, aber toll nonetheless. Kannte bisher nur "Melody Day" und die späteren Alben.Da tut sich einiges auf, denn auch der Vorgänger "The Milk Of Human Kindness" und das ursprünglich als Manitoba erschienene Debüt scheinen ähnlich stark zu sein, jedes auf seine Art. |
Herder Postings: 1837 Registriert seit 13.06.2013 |
2013-11-17 15:54:26 Uhr
In der Tat, ein klasse Album! Schon alleine die Eröffnung mit "Melody Day" und "Sandy" ist ziemlich unschlagbar. Das Ganze ist ja schon sehr Beach Boys-infiziert, was dem Ganzen aber natürlich keinen Abbruch tut.Schön, dass du die Platte doch noch für dich entdecken durftest ;) |
Cosmig Egg Postings: 766 Registriert seit 13.06.2013 |
2013-11-17 15:48:13 Uhr
ich schäme mich, berichten zu müssen, daß ich die platte soeben das erste mal hörte.Ein Meilenstein ein Klassiker Viel besser als swim ....weswegen ich mich mit der Band nicht weiter beschäftigt hatte.... aber das hier ist....einfach wunderbar noch ein paar mal hören....wenns nicht absackt ist das eine der wenigen 10/10er für mich |
toolshed |
2010-11-11 07:38:09 Uhr
Wahnsinns Album. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Manitoba; Panda Bear; Miracle Fortress; Jim O'Rourke; The Russian Futurists; Suburban Kids With Biblical Names; Dungen; The Olivia Tremor Control; The Beta Band; Simian; Four Tet; Fridge; Adem; Junior Boys; Herbert; Boards Of Canada; Isan; Mice Parade; Laika; Adventures In Stereo; Broadcast; Stereolab; Gorky's Zygotic Mynci; The Sea And Cake; Animal Collective; Grizzly Bear; Fog; Thee More Shallows; Songs Of Green Pheasant; Wooden Wand & The Vanishing Voice; Espers; The Incredible String Band; The Zombies; Love; The Beach Boys; The Flaming Lips; Beachwood Sparks; The Skygreen Leopards; Mojave 3; Nobody & Mystic Chords Of Memory; Archer Prewitt; The Bees; Can; Neu!; The Black Neon; The Magnetic Fields; Sufjan Stevens; The Microphones; Kammerflimmer Kollektief; Serena-Maneesh; Pink Floyd; Beach House
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Caribou - Honey (33 Beiträge / Letzter am 05.11.2024 - 07:45 Uhr)
- Caribou - Suddenly (27 Beiträge / Letzter am 14.03.2021 - 14:36 Uhr)
- Caribou - Andorra (38 Beiträge / Letzter am 12.09.2017 - 16:18 Uhr)
- Caribou - Our love (61 Beiträge / Letzter am 15.04.2015 - 18:14 Uhr)
- Caribou - Swim (87 Beiträge / Letzter am 23.02.2011 - 11:18 Uhr)
- Caribou - Up In Flames (4 Beiträge / Letzter am 20.12.2007 - 18:40 Uhr)