The Strange Death Of Liberal England - Forward march!

Fantastic Plastic / Rough Trade
VÖ: 27.07.2007
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

God shave the Queen
Immerhin eine Minute lang sah es so aus, als könnte das heute ein schöner Tag werden. Draußen die Sonne, drinnen die Pillen und ein Plattenauftakt wie früher bei Simon And Garfunkel. Liebliches Folkpicking, lang gezogenes Seufzen und dann, na ja, dann der plötzliche Tod. Mit dem ersten Fuß, der hier ein Verzerrerpedal betritt, ist die Waffenruhe vorbei, auf "Forward march!" werden Säbel rasseln, Schwerter gekreuzt und Bajonette benutzt. Es ist durchaus eine eigene Art von "Fackeln im Sturm"-Romantik, die sich rund um die ausgesprochen martialischen, brutalen, auch sehnsüchtigen The Strange Death Of Liberal England entwickelt. Man sieht Soldaten in Zeitlupe fallen, Pferde zu Boden stürzen und Zündschnüre runter brennen. Man ist im ganz falschen Film, natürlich.
Aus Portsmouth kommt diese eigenwillige Band, die auf Konzerten kein Wort sagt, sondern Schilder hochhält, gut angezogen, aber schlecht frisiert ist und auch sonst eher quertreibt, was die üblichen Erste-Platte-Mechanismen betrifft. Bei The Strange Death Of Liberal England dauert sie nur eine gute halbe Stunde und damit keine Minute zu lang - es erscheint schließlich unmöglich, die mitunter schmerzhafte Intensität von "Forward march!" noch sehr viel länger aufrecht zu erhalten. Keine Pausen, keine Zwischenräume, nur das, was passiert, wenn endlich mal fünf junge Kids ein Ventil für die Wut finden, die sich aufgestaut hat in den jungen Jahren ihrer Betonwüstenexistenz. Man kann da sehr viel herein lesen in ihr realitätsflüchtiges, vor allem in der momentanen britischen Musikszene weit abseits stehendes Album. Am wichtigsten bleibt doch immer das Ausrufezeichen im Plattentitel.
Das zu erklären, ist jedoch gar nicht so einfach. The Strange Death Of Liberal England sind zumindest im herkömmlichen Sinne keine besonders harte Band, und trotzdem haben sie es hinbekommen, "Forward march!" so klingen zu lassen, als passiere es durch ein Megaphon hindurch direkt vor den Ohren seiner Zuhörer. Die britische Musikpresse spricht im Zusammenhang mit euphorisch aufgeplusterten Songs wie "Oh solitude", den Streit suchenden Schlachtrufen aus "A day another day" oder dem Seefahrer-Shanty "An old fashioned war" gerne von "Arcade Fire mit Tattoos". In Zeiten, in denen das Arschgeweih eines (trotzdem brillanten, einer muss es ja mal sagen) Cristiano Ronaldo bei jeder Schwalbe aus der Hose rutscht, scheint aber auch das am Punkt vorbei zu zielen.
Sagen wir also lieber: "Arcade Fire mit Tourettesyndrom" - und reiben uns noch ein bisschen an der harzigen Rinde, die den weichen Kern des "Modern folk song" umgibt, der am Ende so wunderbar von quietschiger Gitarre und Fäuste reckendem Gemeinsam-sind-wir-stark-Chor zermatscht wird. The Strange Death Of Liberal England haben vielleicht noch keinen Wikipedia-Eintrag, aber dafür doch recht eigene Ideen davon, wie ein Song anzupacken ist, was man ihm zumuten kann und wo der kürzeste Weg von gut emulierter My-Bloody-Valentine-Verschwommenheit zum nordamerikanischen Indierock der Stunde entlang führt. Ebenso beispielhaft wie -los in dieser Sache: "I saw evil", die weitreichendste unter diesen acht Kampfeshymnen. Professionell ausgerüstet mit Akustikgitarre, Glockenspiel und Melodika, aber letztlich doch bezwungen von der rohen Gewalt ihrer Komponisten. Wie alles hier. I ♥ evil.
Highlights
- Modern folk song
- Oh solitude
- I saw evil
Tracklist
- Modern folk song
- Oh solitude
- A day another day
- An old fashioned war
- Mozart on 33
- I saw evil
- God damn broke and broken hearted
- Summer gave us sweets but Autumn wrought division
Gesamtspielzeit: 31:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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rainy april day |
2009-03-19 22:52:39 Uhr
Hmm. Bin skeptisch. Will denn keine Band mehr konstant über mehrere Alben wütend bleiben. Ich meine "Forward March!" war jetzt nicht hart, aber es war Wumms dahinter. Hier...na ja. |
Mixtape |
2009-03-19 20:53:04 Uhr
Klingt furchtbar! Aber nicht so furchtbar wie die neuen Songs von Tori. :-) |
Garp |
2009-03-19 20:47:55 Uhr
Auf MySpace gibt es einen neuen Song, der mich an irgendeine andere Band erinnert, aber ich komme nicht drauf. Sehr poppig im Vergleich zu den Forward March!-Sachen, ich weiß nicht, hat bei mir nicht gezündet.www.myspace.com/tsdole |
Mixtape |
2008-09-22 15:29:17 Uhr
Ich habe gerade erst gesehen, dass es bereits seit Mai die neue Single "Angelou" gibt. Von einem Album ist leider bislang nichts zu lesen. |
rainy april day |
2007-12-21 18:55:12 Uhr
Ich fahr immer noch voll drauf ab. Und es sollten mehr Bands einsehen, dass bei der Anzahl der Songs auf einem Album weniger oft mehr ist |
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Referenzen
Eagle*Seagull; The Twilight Sad; Hallelujah The Hills; Arcade Fire; Danielson; Guillemots; The Delgados; Yo La Tengo; Arab Strap; Malcolm Middleton; British Sea Power; The Veils; Windmill; The Dears; The Clientele; My Latest Novel; Tiger Saw; Wolf Parade; Modest Mouse; Pixies; Clap Your Hands Say Yeah; Oxford Collapse; Neutral Milk Hotel; Rock Plaza Central; Menomena; My Bloody Valentine; Spiritualized; The Golden Virgins; Duels; The Decemberists
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