Recoil - subHuman
Mute / EMI
VÖ: 13.07.2007
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Songs of fate and deviation
Auf den Zeitpunkt kommt es an. Deswegen hat Alan Wilder (Ex-Depeche-Mode seit 1995) einen entscheidenden Vorteil gegenüber Vince Clarke (Ex-Depeche-Mode seit 1981): Er brauchte nicht überhastet vor dem Erfolg der selbstentworfenen Klischees zu fliehen, sondern entwickelte stattdessen die halbdunkle Eleganz maßgeblich mit, die aus einer Teenieband die Götter des Synthpop machte. Und statt das Kindchenschema der Popmusik immer weiter herauszuarbeiten, wie es Clarke seit 25 Jahren vor allem mit Erasure betreibt, will Wilder niemals wieder anderen zuarbeiten müssen. Er forscht lieber nach den tiefer liegenden Wurzeln jener Klänge und Stimmungen, die Alben wie "Black celebration", "Violator" und "Songs of faith and devotion" so besonders werden ließen.
Warum Wilders Klangarchitekturen von manchem Anhänger der "klassischen" Depeche-Mode-Alben vermisst werden, mag für Unbedarfte wenig nachvollziehbar sein. Wer jedoch auf Wilders Soloschaffen stößt, bekommt schnell eine recht unmittelbare Ahnung davon. Auch "subHuman", das fünfte Album von Wilders Projekt Recoil, entführt den Zuhörer in einen mulmigen Traum. Statisch aufgeladene Leidenschaften, schicksalsergebene Harmonien und flirrende Grooves vermengen sich zu einem elektrischem Blues, der sich beständig von seiner artifiziellen Grundlage zu lösen versteht und in dieser inneren Zerrissenheit seine Faszination entwickelt.
Joe Richardsons erdige Kehle verpasst den sumpfig dahin fließenden Tracks eine Atmosphäre zwischen verruchtem Jukejoint und jenem Warten auf die Apokalypse, das im amerikanischen Süden nicht erst seit dem Katrina-Desaster heimisch ist. Carla Trevaskis ätherisches Flehen, das schon die Songs von Death In Vegas veredelte, ringt in "Allelujah" und "Intruders" mit der Erlösung und verbleibt doch im Fegefeuer der Verzweiflung. Immer wieder wischen Ahnungen von Mardi Gras und Gospel vorbei, die aber von Hubschraubern und rostigen Mundharmonikas in andere, deutlich finsterere Kontexte geblasen werden. Flageoletts, Schlagzeugscheppern und mancherlei Knistern durchlöchern die vermittelte Unruhe auch noch. Halt bieten scheinbar nur die ungerührt blubbernden Mantras des Sequencers, bis auch diese durch zerschlissene Filter fließen und die allgemeine Endzeitstimmung noch unterstreichen.
Klangforscher werden auf "subHuman" auf Jazz stoßen, Downbeat vermuten und TripHop aufspüren. Sie werden Tonabnehmerspuren entdecken, die sie tatsächlich Depeche Mode zuordnen könnten und an Orgeln und Streichern hängen bleiben, die Orient und Okzident ineinander zerfließen lassen. Wenn am Ende der archaische Blues, den Wilder schon 1992 auf "Bloodline" mit dem unweltlichen "Electro blues for Bukka White" skizzierte, und die technikgestützte Moderne eins geworden sind, verbinden sich auch zwei eigentlich gegensätzliche Gefühle: Zeitlosigkeit und Sterblichkeit. "The fear of death keeps rushing in."
Highlights
- Prey
- Allelujah
- 5000 years
- Intruders
Tracklist
- Prey
- Allelujah
- 5000 years
- The killing ground
- Intruders
- 99 to life
- Backsliders
Gesamtspielzeit: 61:14 min.
Referenzen
Massive Attack; Soulsavers; Death In Vegas; U.N.K.L.E.; Tweaker; Attica Blues; Angelo Badalamenti; Graeme Revell; Alexander Hacke; Mick Harvey; Depeche Mode; Martin L. Gore; Dave Gahan; Kruder & Dorfmeister; Tricky; Portishead; Curve; My Bloody Valentine; Machines Of Loving Grace; Team Sleep; Saul Williams; Joe Richardson Express; Bukka White; Zion Train; DJ Shadow; Coldcut; Thievery Corporation; Cinematic Orchestra; Orbital; Faultline; Foetus; Cex; RJD2; Front Line Assembly; Booka Shade; Trentemøller; Archive; Clann Zú; Broadcast; The Cooper Temple Clause; Nine Days; Moby
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