Queens Of The Stone Age - Era vulgaris
Interscope / Universal
VÖ: 08.06.2007
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Faust auf Faust
Mit der schwitzigen Hand mehrmals durch die Gesichtshaut gefahren. Sie hier- und dorthin geschoben. Eine widerspenstige Strähne schnell noch hinter ein Ohr geklemmt. Und das psychosomatische Flirren unter der Kopfhaut vehement wundgekratzt. Hat alles nichts gebracht. Denn das Jucken will einfach nicht vergehen, und auch der verdammte Play-Knopf blinkt nun schon viel zu lange im Standby-Modus, die eigene Entscheidungskraft verspottend. Und hat allen Grund dazu.
Wie bei jedem Album der Queens Of The Stone Age stehen schon vor Beginn alle Sensoren offen wie Scheunentore. Jedes einzelne Flimmerhärchen reckt sich begierig dem allerersten Ton entgegen, verharrt zugleich aber angstvoll in der grotesken Stille, bevor aus größten Erwartungen Gewissheit werden wird - und der erste Takt erklingt. Genau diese Grenze zwischen Erwartung und Gewissheit ist oftmals einem furchterregenden Bangen um die fällige Enttäuschung sehr ähnlich. Denn nahezu nichts ist jemals so gut, wie es herbeigesehnt wurde. Niemand kann halten, was sich andere von ihm versprechen. Schon gar nicht, wenn man "Lullabies to paralyze" betitelt wurde. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Dies bedenkend ist die erste Enttäuschungswelle, die zeitgleich mit den Anfangsakkorden von "Era vulgaris" aus den Boxen dringt, als logische Konsequenz der eigenen Erwartungen schnell zwischen den Schultern weggezuckt und verflogen. Ebenso die zweite. Auch noch die dritte. Die vierte hingegen findet gar nicht mehr statt. Denn spätestens dann packen sie zu, die Songgerippe von "Era vulgaris". Und mit ihnen tanzt und staunt man sich vor in das tiefe Gewebe dieser Platte.
Trotz all der Vorankündigungen an Studiogästen - übrig geblieben sind allein The Strokes' Julian Casablancas und der notorische Mark Lanegan - ist "Era vulgaris" zum ersten Mal vor allem die Hydra Homme/Van Leeuwen/Castillo, die eben jene Spielwut an den Tag legen, die ihnen auf "Lullabies to paralyze" langsam abhanden zu kommen schien. Ihre Songs schlagen sich selbst die alten Zöpfe ab. Und, man kennt die Geschichte: Es wuchert dann doch aus den gleichen Stümpfen.
"Turnin' on the screw" schleicht sich mit shellacscher Verstärkung in die mathrockenden Traumwelten der seligen Chavez. "Sick, sick, sick" überholt sich auf dem Genre-Highway mehrmals selbst zwischen Wüstenrock, Primal Scream und Techno-Punk. Und bleibt doch ganz cool der Kopfnicker hinter dem Steuer. "I'm designer" prustet einen quietschenden, intensivstationsverdächtigen Keuchhusten in seinen verhuscht dahinsiechenden Refrain. Hinter dem mit verwegener Präzision voranpolternden Beat von "Misfit love" kratzt es auf dem Bundsteg der Sechssaitigen, als hätte Fugazis Ian MacKaye endlich seinen Verstärker wiedergefunden. "3's & 7's" taktet irgendwas zwischen "Smells like teen spirit", "Spoonman" und Disco-Punk kreuz und quer, um sich zwischendurch in einem Steigerungsteil zu verlieren, der vor Spannung übergeht wie heiße Lava. Und auch das kurz geschorene Riff von "Into the hollow" findet sich nach und nach in mehreren Gitarrenfiguren zu einem aufwühlenden Kraftakt zusammen.
"Suture up your future" ist hingegen das Sensibelchen der Platte, das all das Ineinanderfließen von "Era vulgaris" zu einer new-wavig unterkühlten und doch emotional übersprudelnden Geste noch einmal zusammenrafft. "River in the road" nimmt den Zaunpfahl dankend auf und rammt ihn in Bloc Partys Ohrenwärmer, während sich Homme auf "Run, pig, run" und "The fun machine took a shit and died" noch einmal kräftig Wüstensand durchs Nasenloch zieht.
Hernach: durchatmen, runterkommen. Und schließlich die Fäuste stumm gen Himmel ballen. Den Triumph der anderen als seinen eigenen feiern. Denn "Era vulgaris" hat die Erwartungen erfüllt. Wenn der voll besorgter Anspannung hochgepitchte Puls zu guter Letzt dieser Gewissheit gewichen ist, dann sind die Songs endlich zur Entdeckung freigegeben. Man wird Monate damit zubringen, die Platte zu bereisen, und sich schließlich kaum mehr erinnern, wie dünn das Eis der eigenen Erwartungen einst gewesen war. Wer es hinbekommt, die Spannung derart hochzuhalten und zugleich in aller Gelassenheit aufzulösen, der hat mit seiner Musik auch die Seelen seiner Hörer durchkreuzt. Hat sie wirbeln lassen, hat sie angestachelt, hat sich schlussendlich in sie verknotet. Man hat gewollt, man hat bekommen. Vielleicht schon wieder zu sehr und zu schnell eine Selbstverständlichkeit.
Highlights
- Turnin' on the screw
- Misfit love
- Suture up your future
Tracklist
- Turnin' on the screw
- Sick, sick, sick
- I'm designer
- Into the hollow
- Misfit love
- Battery acid
- Make it wit chu
- 3's & 7's
- Suture up your future
- River in the road
- Run, pig, run
- The fun machine took a shit and died
Gesamtspielzeit: 54:29 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Chron-o John Postings: 307 Registriert seit 09.06.2023 |
2023-06-19 14:48:13 Uhr
Danke, Otto, für die Ergänzungen. Habe sie tatsächlich in meiner Trackliste gar nicht mehr gefunden, vor allem, weil ich Christian Brothers ebenfalls sehr gelungen finde. Needle habe ich lange nicht mehr gehört, müsste ich dann wohl wieder tun.Machina, ich bitte um Entschuldigung. Kann gut nachvollziehen, wenn sie gefallen, aber irgendwie sind sie mir dann doch zu scharf in Ohren, laubsägenartig die Risiken für den Tinnitus erhöhen. Dabei habe ich gar nichts gegen laut, schrill, verrückt. Aber die wollen mir beim besten Willen nicht gefallen. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33931 Registriert seit 07.06.2013 |
2023-06-19 14:28:23 Uhr
"Sick³" und "Battery acid" sind zwei meiner liebsten QOTSA-Zerrer, deshalb tun mir die Wertungen da weh. Aber ja, das Album ist ein anstrengender Bastard. Die schwächeren Songs sind für mich aber eher die unaufgeregteren. |
Otto volle Möhre Postings: 1137 Registriert seit 21.06.2021 |
2023-06-19 14:16:57 Uhr
Bei den Bonustracks fehlen aber noch "Christian Brothers" und "The Needle in the Camel's Eye". ;-) |
Chron-o John Postings: 307 Registriert seit 09.06.2023 |
2023-06-19 11:45:58 Uhr
In einer Disharmonie kann sich auch immer eine schöne Melodie verstecken, was hier mit Sicherheit zuträfe, wenn das punkige, laute Geschrammel nicht wäre, den ich einfach als Krach empfinde.Es muss ja nicht ruhig oder harmonisch zugehen (würde sonst die ersten drei und insbesondere Rated R dann ja auch nicht lieben), aber für mich hat vieles einfach nicht gepasst, obwohl ich immer noch wohlwollend bewertet habe. Auf keinem anderen QOTSA-Album skippe ich aber so viele Songs wie auf Era Vulgaris. |
DerMeister Postings: 1908 Registriert seit 22.06.2013 |
2023-06-19 09:55:16 Uhr
Gerade weil es mehr disharmonisch und experimentell ist, mag ich das Album gerne. Bin mir im Moment nicht sicher wo ich sie ranken würde, besser als die LTP und Villains ist sie aber. |
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Referenzen
Millionaire; Eagles Of Death Metal; Masters Of Reality; Devo; Mark Lanegan Band; Screaming Trees; Payola; Firewater; Stone Temple Pilots; Scumbucket; Blackmail; Kyuss; Sonic Youth; Alice In Chains; Soundgarden; Monster Magnet; Fu Manchu; Wolfmother; The Stooges; The Icarus Line; Urge Overkill; Gang Of Four; Talking Heads; XTC; The Knack; Led Zeppelin; MC5; Motörhead; Deep Purple; Iron Butterfly; Pink Floyd; Zen Guerilla; Burning Brides; Murder City Devils; Eels; The Strokes; Waldorf; Bloc Party; Chavez; Primal Scream; Nine Inch Nails; TV On The Radio; The Cooper Temple Clause; The Dismemberment Plan; Les Savy Fav; My Bloody Valentine
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